1. K sieht sich durch das Handeln der Polizei in seinen Rechten verletzt. Für eine Klage ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und es an einer abdrängenden Sonderzuweisung fehlt (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ).
Genau, so ist das!
So steht es in § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO (lesen!). Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlich ist. Nach der modifizierten Subjektstheorie handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Norm vor, sie einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigt und verpflichtet. Die Streitigkeit ist nichtverfassungsrechtlicher Art, wenn es an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit fehlt. Die den polizeilichen Maßnahmen zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlagen sind solche des öffentlichen Rechts, da sie ausschließlich Hoheitsträger berechtigen und verpflichten. Damit liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, die auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Streitigkeit gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist .
2. Handelt es sich bei der Identitätsfeststellung und der erkennungsdienstlichen Behandlung um reine Maßnahmen der Strafverfolgung, sodass der Rechtsstreit gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist?
Nein, das trifft nicht zu!
§ 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG ist eine abdrängende Sonderzuweisung. Danach sind Maßnahmen von Justizbehörden auf dem Gebiet der Strafrechtspflege den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Zu Maßnahmen der Strafrechtspflege zählen auch Maßnahmen der Strafverfolgung . Bezweckt eine Maßnahme sowohl die präventive Gefahrenabwehr als auch die repressive Strafverfolgung (sog. doppelfunktionale Maßnahme) bestimmt die h.M. den einschlägigen Rechtsweg danach, worin der objektive Schwerpunkt der Maßnahme liegt. Die hierfür maßgebliche Betrachtung erfolgt ex ante anhand der Person eines verständigen Bürgers in der Position des Betroffenen.
Bei Identitätsfeststellung und erkennungsdienstlicher Behandlung handelte es sich um sog. doppelfunktionale Maßnahmen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung, die nach dem maßgeblichen Eindruck des K zumindest auch auf polizeirechtlicher Grundlage erfolgten (RdNr. 28). Demnach sind die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG nicht erfüllt und der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.
In einer Klausur des Öffentlichen Rechts wird in einem solchen Fall immer der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein.
3. Die angegriffenen polizeilichen Maßnahmen haben sich bereits vor Klage erledigt. Ist die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog statthaft?
Ja!
Gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO stellt das Gericht auf Antrag fest, dass ein Verwaltungsakt, der sich nach Klageerhebung erledigt hat, rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Die dort geregelte Fortsetzungsfeststellungklage wird analog auf Fälle angewandt, in denen der Verwaltungsakt sich bereits vor Klageerhebung erledigt hat. Ingewahrsamnahme und Platzverweis sind Verwaltungsakte, die sich bereits vor Klageerhebung erledigt haben, sodass die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft ist (RdNr. 30).
K griff noch andere polizeiliche Maßnahmen an, wie die Verweigerung eines Toilettengangs und die fehlende Versorgung mit Trinkwasser während des Gewahrsams. Hierbei handelte es sich um bloße Realakte, für die die allgemeine Leistungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) statthaft ist (RdNr. 30).
4. K erhebt erst ein Jahr nach Erledigung der polizeilichen Maßnahmen Klage beim zuständigen VG. Ist die Klage unzulässig, weil er sein Klagerecht verwirkt hat ?
Nein, das ist nicht der Fall!
Eine Klage, die sich- wie hier - auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts richtet, der sich vorprozessual vor Eintritt der Bestandskraft erledigt hat, unterliegt keiner Frist (RdNr. 31). Allerdings kann der Kläger sein Klagerecht verwirken. „Die Verwirkung des Klagerechts setzt voraus, dass die Klageerhebung gegen Treu und Glauben verstößt, weil der Kläger trotz Kenntnis von der Möglichkeit der Klageerhebung über einen längeren Zeitraum erst zu einem derart späten Zeitpunkt Klage erhebt, dass der Beklagte nicht mehr mit einer Klagerhebung rechnen musste und sich hierauf auch tatsächlich eingerichtet hat“ (RdNr. 32). VGH: Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Ein schutzwürdiges Vertrauen könne nach der gesetzlichen Wertung in § 58 Abs. 2 VwGO regelmäßig erst nach Ablauf eines Jahres entstehen. Zudem berücksichtigte das Gericht, dass der Anwalt des K bereits einen Monat nach dem Vorfall Akteneinsicht beantragte, sodass das Land Baden-Württemberg als Beklagter im Zeitpunkt der Klageerhebung von einem fortbestehenden rechtlichen Klärungsinteresse des K ausgehen musste.Aus historischen Gründen trägt das Oberverwaltungsgericht in Baden-Württemberg den Namen Verwaltungsgerichtshof (VGH), § 184 VwGO iVm § 1 Abs. 1 S. 1 AGVwGO BW.
5. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn K ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der polizeilichen Maßnahmen nachweisen kann.
Ja, in der Tat!
Die Fallgruppen für ein besonderes Feststellungsinteresse sind Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse, schwerer Grundrechtseingriff und die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses (letztere allerdings nur bei Erledigung nach Klageerhebung). In polizeirechtlichen Fällen wird oft ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegen. Allerdings solltest Du – wie auch das Gericht hier – immer alle möglicherweise einschlägigen Fallgruppen prüfen.
6. Bei Vollzug der Ingewahrsamnahme fesselte die Polizei K und verweigerte ihm angeblich grundlegende Bedürfnisse (Trinkwasser und Toilettengang). Handelt es sich bei den angegriffenen Maßnahmen um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die ein besonderes Feststellungsinteresse begründen?
Ja!
Das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art.19 Abs. 4 GG) verlangt, ein berechtigtes Feststellungsinteresse anzuerkennen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff sich typischerweise so kurzfristig erledigt, dass die betroffene Person gerichtlichen Rechtsschutz in einem Hauptsachverfahren regelmäßig nicht erlangen kann (RdNr. 37). VGH: Dies trifft auf die angegriffenen Maßnahmen zu. Die polizeiliche Ingewahrsamnahme und deren Vollstreckung mittels Fesselung, die von K gerügte Verweigerung eines Toilettengangs und Versagung von Trinkwasser, die Identitätsfeststellung und erkennungsdienstliche Behandlung sowie der Platzverweis greifen (schwerwiegend) in die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) ein und das Versammlungsrecht (Art. 8 Abs. 1 GG) ein. Zudem sind sie typischerweise nur von kurzer Dauer (vgl. RdNr. 38).
Ein Rehabilitationsinteresse hat der VGH hier ebenfalls angeprüft, aber im Ergebnis abgelehnt, weil die diskriminierende Wirkung zum Zeitpunkt der Klage – über fünf Jahre nach dem Vorfall – nicht mehr fortwirkte (RdNr. 36).
7. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, sofern der Verwaltungsakt vor seiner Erledigung rechtswidrig war und K dadurch in seinen Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Genau, so ist das!
Diesen Satz solltest Du in der Prüfung als Obersatz verwenden.Die Prüfung der Begründetheit erfolgt demnach wie bei der ursprünglichen Klage. Liegt – wie hier – eine Anfechtungssituation vor, prüfst Du demnach, ob die angegriffenen Maßnahmen rechtswidrig waren und K in seinen Rechten verletzen. Liegen mehrere Maßnahmen vor, solltest Du diese Prüfung für jede Maßnahme einzeln durchführen. Hierfür musst Du zunächst die jeweils einschlägige Ermächtigungsgrundlage ermitteln.
8. Soweit Befugnisnormen des Versammlungsgesetzes anwendbar sind, ist die Anwendung der Befugnis- und Aufgabenzuweisungsnormen des Polizeirechts grundsätzlich ausgeschlossen.
Ja, in der Tat!
Das Versammlungsgesetz regelt die Befugnisse zur Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren. Diese abschließende spezialgesetzliche Regelung erlaubt einen Rückgriff auf polizeirechtliche Befugnisse grundsätzlich erst nach der Auflösung der Versammlung (sog. „Polizeifestigkeit“ des Versammlungrechts) (RdNr. 42). Die im Vergleich zum allgemeinen Polizeirecht besonderen Voraussetzungen für beschränkende Maßnahmen nach dem Versammlungsgesetz sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG).
Enthält das Versammlungsgesetz Lücken, wie etwa bei der Störerauswahl, ist der Rückgriff auf ergänzende polizeirechtliche Bestimmungen allerdings nicht ausgeschlossen. Gleiches gilt in anderen Fällen, in denen das VersG keine abschließende Regelung trifft, bspw. bei sog. Minusmaßnahmen.
9. Die Anwendung des Versammlungsrechts setzt voraus, dass es sich bei der Personengruppe um eine Versammlung handelte.
Ja!
Die Sperrwirkung des Versammlungsgesetzes setzt eine Versammlung voraus. Der Versammlungsbegriff ist im Versammlungsgesetz nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung ist unter einer Versammlung die örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung zu verstehen. Dabei umfasst der Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes auch die unfriedliche Versammlung, auch wenn diese nicht den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG genießt. Dies ergebe sich u.a. aus der Systematik des Versammlungsgesetzes, welches Eingriffsbefugnisse auch gegenüber unfriedlichen Versammlungen regelt (z.B. §§ 5 Nr. 3 VersG, 13 Abs. 1 Nr. 2 VersG) (RdNr. 48). VGH: Danach können auch sog. Blockadeaktionen in den Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes fallen, soweit diese von dem gemeinschaftlichen Zweck der Meinungskundgabe getragen sind (RdNr. 49).
10. Sind sog. „Verhinderungsblockaden“ Versammlungen i.S.d Versammlungsgesetzes?
Nein, das ist nicht der Fall!
Unter den Versammlungsbegriff fallen auch Zusammenkünfte, bei denen die Teilnehmer ihre Meinungen durch ihre bloße Anwesenheit z.B. in der Gestalt einer Blockade, zum Ausdruck bringen (sog. „demonstrative Blockade“). Die Blockade muss jedoch ein dem Kommunikationsanliegen untergeordnetes Mittel zur Verstärkung der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit sein (RdNr. 51). Keine Versammlung seien demgegenüber strategische Blockaden, deren primärer Zweck es ist, eigene Forderungen zwangsweise durchzusetzen, die Rechte Dritter gezielt zu beeinträchtigen oder das, was die Teilnehmer politisch missbilligen, tatsächlich zu stören oder zu verhindern (sog. „Verhinderungsblockade“). Denn sie seien nicht auf eine Meinungskundgabe gerichtet (RdNr. 52).
Eine Auffassung in der Literatur ist der Ansicht, dass auch „Verhinderungsblockaden“ unter den Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes fallen (RdNr. 53 mit Nachweisen).
11. Einige Personen hielten Transparente (z.B. „Den nationalistischen Konsens brechen“) und Plakate und skandierten entsprechende Sprechchöre. Handelte es sich bei der Personengruppe deswegen um eine „demonstrative Blockade“?
Nein, das trifft nicht zu!
Für die Abgrenzung einer „demonstrativen Blockade“ von einer bloßen „Verhinderungsblockade“ kommt es maßgeblich darauf an, ob sich die Ansammlung nach ihrem individuellen Gesamtgepräge im Kern kommunikativer Mittel bedient und nicht ausschließlich bezweckt, die Veranstaltung, gegen die sie sich richtet, mit physischen Mitteln zu verhindern. Der Kommunikationszweck müsse eindeutig im Vordergrund stehen. Nicht ausreichend sei es, wenn die Teilnehmer lediglich bei Gelegenheit einer Blockade ihre Meinung kundtun (RdNr. 54). VGH: Die öffentliche Meinungskundgabe, u.a. durch die Transparente und Sprechchöre, sei hier nur bei Gelegenheit des Versuches, den AfD-Parteitag mit physischen Mitteln zu stören, erfolgt. Die Personen zeigten durch den Einsatz von Pyrotechnik und das Aufstellen von Barrikaden an Hauptverkehrspunkten gewalttätiges Verhalten, welches der Zusammenkunft ihr maßgebliches objektives Gepräge gegeben habe. Die Blockade von Verkehrswegen zur Verhinderung des AfD-Parteitages sei danach primärer Zweck gewesen. Insgesamt stellte die Ansammlung damit keine Versammlung, sondern eine Verhinderungsblockade dar (RdNr. 55ff.)
12. § 28 Abs. 1 Nr. Nr. 1 PolG BaWü a.F. verlangt für die Ingewahrsamnahme einer Person eine (unmittelbar bevorstehende) erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Stellt die Blockade eine solche dar?
Ja!
Unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit fallen die Unverletzlichkeit der Normen der geschriebenen Rechtsordnung, die privaten Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, Bestand und Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen sowie sonstiger Hoheitsträger. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Gewahrsams ist, ob aus der ex ante-Perspektive des handelnden Polizeibeamten eine konkrete Gefahrenlage bestand, welche sich auf konkrete Tatsachen stützt (RdNr. 67). VGH: Im Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens sei mit den Blockaden des Verkehrs, den Sachbeschädigungen und dem Einsatz von Pyrotechnik bereits eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit eingetreten und weitere Störungen hätten unmittelbar bevorgestanden.
13. K behauptet, er sei an den Blockaden nicht beteiligt gewesen, sondern erst kurz vor der Einkesselung dazugestoßen. Hat die Polizei ihn deswegen fälschlicherweise als Verhaltensstörer (§ 6 PolG BaWü) eingestuft?
Nein, das ist nicht der Fall!
Verhaltensstörer ist grundsätzlich derjenige, der durch sein Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung stört. Allerdings zählt auch der Anscheinsstörer darunter. Anscheinsstörer ist, wer ex post betrachtet keine Gefahr verursacht, aber aus der ex ante-Perspektive bei einem fähigen, besonnenen und sachkundigen Polizeibeamten den Eindruck der Gefahrverursachung erweckt. K habe durch seine Anwesenheit in der Personengruppe und sein Auftreten, welches ihn jedenfalls nicht offensichtlich von den übrigen in Gewahrsam genommenen Personen unterschied, in zurechenbarer Weise den Anschein erweckt, selbst Störer zu sein. Ob seine Angaben tatsächlich zutreffen, sei bei der gebotenen ex ante-Betrachtung unerheblich (RdNr. 73).
14. War die mehrere Stunden andauernde Ingewahrsamnahme verhältnismäßig?
Ja, in der Tat!
Jeder Grundrechtseingriff muss verhältnismäßig sein (vgl. für polizeiliche Maßnahmen §§ 3, 5 PolG BaWü). Demnach müsste die Ingewahrsamnahme zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und angemessen gewesen sein. Bei Freiheitsentziehungen nach Art. 104 Abs. 2 GG gilt hierfür ein besonders strenger Maßstab (RdNr. 74). Da es sich bei dem Gewahrsam um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, müssen diese Voraussetzungen nicht nur bei seiner Anordnung, sondern während seiner gesamten Dauer vorliegen (RdNr. 76)
VGH: Die Ingewahrsamnahme sei zur Gefahrenabwehr geeignet gewesen. Platzverweise als milderes Mittel, hätte die Polizei angesichts der Vielzahl an gewaltbereiten Störern nicht durchsetzen können, sodass sie nicht zur Gefahrenabwehr gleich geeignet gewesen seien. Angesichts des Ausmaßes der bereits eingetretenen Störung und der zu erwartenden Gefährdungen für gewichtige Rechtsgüter sei die Ingewahrsamnahme auch angemessen gewesen (RdNr. 76). Gleiches gelte für die Aufrechterhaltung des Gewahrsams (RdNr. 77).
15. Es gab zu wenig Richter, um allen in Gewahrsam genommenen Personen rechtliches Gehör zu gewähren. Über Ks Ingewahrsamnahme wurde demnach keine richterliche Entscheidung eingeholt. War sie deswegen nach § 28 Abs. 3 S. 3 a.F. PolG BaWü rechtswidrig?
Nein!
Die Ingewahrsamnahme nach § 28 PolG BaWü a.F. ist eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 Abs. 2 GG, sodass nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 und 2 GG der Richter über Zulässigkeit und Fortdauer der polizeilichen Freiheitsentziehung zu entscheiden hat. Nimmt die Polizei eine Person nach §28 Abs. 1 PolG a.F. in Gewahrsam, hat sie deswegen nach § 28 Abs. 3 S. 3 PolG BaWü a.F. unverzüglich eine richterliche Entscheidung über den Gewahrsam herbeizuführen. Die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes des Gewahrsams ergehen würde (§ 28 Abs. 3 S. 4 PolG BaWü a.F.). Es waren doppelt so viele in Gewahrsam genommenen Personen wie angenommenen. Deswegen sei die polizeiliche Prognose, dass für K eine richterliche Entscheidung über den Gewahrsam nicht vor dem für die Entlassung vorgesehenen Zeitpunkt ergehen würde, nicht zu beanstanden (RdNr. 83). Natürlich kann sich das Gericht nicht einfach durch unzureichende personelle Vorkehrungen seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs entziehen. Auch diesen Punkt spricht das Gericht in seiner Entscheidung an, bleibt aber bei dem Schluss, dass das Gewahrsam rechtmäßig war (RdNr. 84).
16. K wurde während des 4-stündigen Gewahrsams ein Toilettenbesuch versagt. Liegt darin ein Verstoß gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG)?
Genau, so ist das!
Die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) begründet die Schutzpflicht des Staates, die Person in Polizeigewahrsam menschenwürdig zu behandeln. Zu den Mindeststandards gehören hygienische Haft- oder Gewahrsamsbedingungen einschließlich des Zugangs zu sanitären Einrichtungen und der Möglichkeit, körperliche Bedürfnisse unter Wahrung der eigenen Intimsphäre zu verrichten. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben stimmen im Wesentlichen mit den aus Art. 3 EMRK folgenden besonderen Schutzpflichten des Staates gegenüber Personen in Polizeigewahrsam überein. In der Versagung des Toilettenbesuchs lüber einen 4-stündigen Zeitraum liegt eine über den Gewahrsam hinausreichende selbständige Verletzung der Rechte aus Art. 1 Abs. 1 GG (RdNr. 93).
K wurde außerdem über einen Zeitraum von 11 Stunden Trinkwasser vorenthalten, was ebenfalls einen Menschenwürdeverstoß darstellte (RdNr. 94).