+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft 2012 bei der Daimler AG (D) einen Mercedes-Benz mit Dieselmotor für €32.000. Das Auto unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Die Abgasreinigung erfolgt über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt. Hierdurch verringern sich die Stickoxidemissionen. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen reduziert, möglicherweise ab bestimmten Temperaturen sogar ganz abgeschaltet ("Thermofenster"). Diese Abschaltung kann zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen führen. K wertet dies als unzulässig.
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Einordnung des Falls
Daimler-Thermofenster (BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat gegen D einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB, wenn er von D vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurde.
Ja!
Der Anspruch aus § 826 BGB setzt voraus, dass der Schädiger (1) durch sittenwidriges Verhalten (2) vorsätzlich (3) einen Schaden beim Anspruchsteller verursacht hat.
Das Verhalten der verantwortlichen Personen (z.B. Vorstand einer AG) wird der juristischen Person nach § 31 BGB analog zugerechnet (§ 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog).
Da der Wortlaut des § 31 BGB nur Vereine betrifft wird die Norm für alle juristische Personen (z.B. AG und GmbH) und die Personengesellschaften (GbR, OHG u. KG) analog angewandt. Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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2. Der Gegenstand der Sittenwidrigkeit bei § 826 BGB ist derselbe wie bei § 138 Abs. 1 BGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
Im Rahmen von § 826 BGB muss die Schadenszufügung gegen die guten Sitten verstoßen. Sittenwidrig ist dabei ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Maßgeblich für das Unwerturteil sind die Anschauungen der in Betracht kommenden Kreise, wobei ein Durchschnittsmaß von Redlichkeit und Anstand zugrunde zu legen ist.
Im Unterschied zu § 826 BGB (Sittenwidrigkeit des Verhaltens) regelt § 138 Abs. 1 BGB die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts.
3. D handelte schon deshalb sittenwidrig, weil sie das Thermofenster eingebaut hat.
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Nur der bewusste Einsatz des Thermofensters alleine, auch mit dem Zweck einer Kostensenkung und Gewinnerzielung, genüge nicht, um ein sittenwidriges Verhalten anzunehmen. Dies gelte auch dann, wenn das Thermofenster eine unionsrechtlich unzulässige Abschalteinrichtung sei (Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO 715/2007/EG). Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit sei vielmehr nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
4. Sofern D wusste, dass das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung ist und dies in Kauf nahm, kann darin grundsätzlich eine besondere Verwerflichkeit liegen.
Ja!
BGH: Die Annahme von Sittenwidrigkeit setze jedenfalls voraus, dass die verantwortlichen Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.Ob dies der Fall ist, sei durch das Berufungsgericht noch nicht umfassend geprüft worden.
5. Die Entscheidung widerspricht der vorherigen BGH-Entscheidung zu VW, in der die Sittenwidrigkeit aufgrund einer Abschaltvorrichtung bejaht wurde (VI ZR 252/19).
Nein, das ist nicht der Fall!
BGH: VW habe die grundlegende strategische Frage zu treffen gehabt, wie auf die Stickoxidgrenzwerte reagiert werden sollte. VW habe sich entschlossen, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen. Stattdessen sei dem KBA wahrheitswidrig vorgespiegelt worden, dass die Fahrzeuge generell die Grenzwerte einhielten, indem die Autos nur auf dem Prüfstand ordnungsgemäß erschienen. Bei dem bloßen Thermofenster fehle es an einem derartigen arglistigen Vorgehen von Daimler. Das Thermofenster unterscheide nicht zwischen Prüfstand und normalem Fahrbetrieb, sei also nicht spezifisch zur Täuschung bei der Prüfung entwickelt und eingesetzt worden.Der BGH hatte 2021 auch eine Schutzpflichtverletzung und damit einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB abgelehnt. Der EuGH hat nunmehr indes klargestellt, dass die europäische Normen durchaus Individualschutz entfalten und als Schutzgesetze einzustufen sind. Mehr dazu findest Du: hier! Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
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