Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2018
Zivilrecht trifft Strafrecht: Zueignungsabsicht bei Pfandflaschen
Zivilrecht trifft Strafrecht: Zueignungsabsicht bei Pfandflaschen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T gelangt durch ein Loch im Zaun auf das Gelände des Getränkehandels G. Dort entwendet er Pfandflaschen aus Plastik und Glas (Individual- und Einheitsflaschen). Dabei nimmt er an, dass sämtliche Flaschen im Eigentum des G stehen. T hat vor, diese bei G in das Pfandsystem zurückzugeben, um den Pfandwert von €325 zu erhalten.
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Einordnung des Falls
In diesem Fall spielen Zivilrecht und Strafrecht zusammen. Bei der Beurteilung, ob ein Diebstahl an Pfandflaschen vorliegt, ist zwischen Einheits- und Individualfalschen zu unterscheiden. Zivilrechtlich ist es nicht möglich, Eigentum an Individualfalschen zu erwerben. Für die Beurteilung der Zueignungsabsicht kommt es auf das Wissen des Täters von der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an. Geht der Täter bei Einheitsflaschen von einer zutreffenden Eigentumslage aus, beabsichtigt er bei der Rückgabe des Pfandes sich als Eigentümer auszugeben und negiert die wahre Eigentümerstellung des Händlers. Geht der Täter bei Individualflaschen richtig von der Eigentümerstellung des Herstellers aus, will er mit der Rückgabe der Flaschen dessen Eigentumsrecht anerkennen. Es fehlt an der Enteignungsabsicht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T sich strafbar gemacht wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB), wenn T eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen hat, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Verbleibt das Eigentum an Individual- und Einheits-Pfandflaschen beim Hersteller, wenn sie im Supermarkt verkauft werden?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Hat T fremde, bewegliche Sachen weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB), indem er die Pfandflaschen mitgenommen hat?
Ja!
4. Setzt der subjektive Diebstahlstatbestand neben Vorsatz eine Zueignungsabsicht voraus?
Genau, so ist das!
5. Hat der Täter Zueignungsabsicht bezüglich des Sachwerts der Pfandflaschen, wenn er beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Kommt Diebstahl nur in Betracht, wenn sich der Täter das Pfandgut selbst zueignen will und er beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen?
Ja!
7. Hatte T Zueignungsabsicht hinsichtlich des Eigentums an den Einheitsflaschen?
Genau, so ist das!
8. Hatte T Zueignungsabsicht hinsichtlich des Eigentums an den Individualflaschen?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht rechtswidriger Zueignung
- Objektiver Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
- Wegnahme
- Subjektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
1.8.2021, 13:23:19
Bei Lektionen, die den Fall nicht komplett durchlösen, würde ich einen Info-Kasten super finden, in dem steht, was denn am Ende tatsächlich vorliegt.
Lukas_Mengestu
3.12.2021, 18:23:16
Lieben Dank für den Hinweis, Isabell! Im vorliegenden Fall liegt bei den Plastikflaschen ein vollendeter Diebstahl vor, da T hier durch die Rückgabe die Eigentümerstellung eingenommen hat. Gleiches gilt bei lebensnaher Auslegung auch für die Individualflaschen. Denn nach lebensnaher Auslegung hatte T auch insoweit
Zueignungsabsicht, da er davon ausging, durch die Rückgabe würde er die Eigentümerstellung einnehmen. Anders wäre dies nur, wenn er tatsächlich wüsste, dass dies bei Individualflaschen nicht der Fall ist, sondern diese die ganze Zeit im Eigentum des Herstellers verbleiben. Bei Bejahung der
Zueignungsabsicht, ist bezüglich allen Flaschen Diebstahl nach § 242 Abs. 1 BGB zu bejahren. Da das Landgericht zu den Individualflaschen keine Feststellungen getroffen hatte, hat der BGH letzteres aber offen gelassen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team
RobTop
25.10.2024, 11:58:08
Nimmt man an, dass T von der Eigentümerstellung des Herstellers der Individualflasche gewusst hat, liegt dann ein Betrug gem. § 263 I StGB bei Abgabe der Flaschen ins Pfandsystem vor, da er über die Berechtigung zur Rückgabe getäuscht hat?
Karl Augustin
14.7.2022, 22:03:48
Nach der Auffassung des BGH würde sich also jeder einer Sachbeschädigung strafbar machen, der eine Individualflasche kauft, weiß, dass sie Eigentum des Herstellers bleibt und dann wegschmeißt.? Interessante Meinung.
Nora Mommsen
2.8.2022, 12:18:09
Hallo Karl Augustin, so ist es. Bei den wenigen Menschen, die sich der Eigentumslage bewusst sind läge eine Sachbeschädigung vor, wenn sie die Flasche beschädigen oder zerstören. Hat aber in der Praxis natürlich schon wegen der Geringewertigkeit keine Relevanz. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Skywalker
20.10.2023, 18:55:14
Das Individualflaschen im Eigentum des Herstellers bleiben hat tatsächlich eher eine geringe Bedeutung, weil dafür keine Gefahr eines öffentlichen Interesses gefährdet ist (Ausgenommen man betreibt die Sachbeschädigung im wirklich großen Stile - eher unwahrscheinlich) Das hingegen bei den Pfandflaschen-Fällen konkret auf die "Anmaßung des Eigentums"! abgestellt wird ist für die Praxis schon eher relevant und theoretisch daher nicht besonders schlau gelöst. Nur deshalb musste man nämlich die weitere Bedingung aufstellen, und auf die Vorstellung des potenziellen Täters abstellen. Das privilegiert letztendlich den Täter, der sich mit der Kenntnis der Rechtssprechung zur Tat entschließt (der ja eigentlich besonders Strafwürdig erscheint) - und daher solches Abstellen auf subjektive Vorstellungen in ähnlichen Konstellationen auch in der Regel abgelehnt wird. Besser wäre es daher vielleicht einfach allgemeiner auf die Bösgläubigkeit bei der Rückgabe abzustellen.