+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T gelangt durch ein Loch im Zaun auf das Gelände des Getränkehandels G. Dort entwendet er Pfandflaschen aus Plastik und Glas (Individual- und Einheitsflaschen). Dabei nimmt er an, dass sämtliche Flaschen im Eigentum des G stehen. T hat vor, diese bei G in das Pfandsystem zurückzugeben, um den Pfandwert von €325 zu erhalten.
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Einordnung des Falls
In diesem Fall spielen Zivilrecht und Strafrecht zusammen. Bei der Beurteilung, ob ein Diebstahl an Pfandflaschen vorliegt, ist zwischen Einheits- und Individualfalschen zu unterscheiden. Zivilrechtlich ist es nicht möglich, Eigentum an Individualfalschen zu erwerben. Für die Beurteilung der Zueignungsabsicht kommt es auf das Wissen des Täters von der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an. Geht der Täter bei Einheitsflaschen von einer zutreffenden Eigentumslage aus, beabsichtigt er bei der Rückgabe des Pfandes sich als Eigentümer auszugeben und negiert die wahre Eigentümerstellung des Händlers. Geht der Täter bei Individualflaschen richtig von der Eigentümerstellung des Herstellers aus, will er mit der Rückgabe der Flaschen dessen Eigentumsrecht anerkennen. Es fehlt an der Enteignungsabsicht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T sich strafbar gemacht wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB), wenn T eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen hat, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen?
Genau, so ist das!
Die Verwirklichung des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) setzt im objektiven Tatbestand die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache und im subjektiven Tatbestand neben dem Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale die Absicht rechtswidriger
Zueignung voraus.
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2. Verbleibt das Eigentum an Individual- und Einheits-Pfandflaschen beim Hersteller, wenn sie im Supermarkt verkauft werden?
Nein, das trifft nicht zu!
Der BGH differenziert: (1) Individualflaschen sind Flaschen, die eine dauerhafte Kennzeichnung tragen, die sie als Eigentum des Herstellers ausweise (z.B. Coca Cola). Sie bleiben im Eigentum des Herstellers. (2) Einheitsflaschen sind Flaschen, die keine individuelle Markierung haben. Das Eigentum an Einheitsflaschen gehe jeweils auf den nächsten Erwerber über (RdNr. 7).
3. Hat T fremde, bewegliche Sachen weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB), indem er die Pfandflaschen mitgenommen hat?
Ja!
Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist. Individualflaschen stehen im Eigentum des Herstellers und sind mithin für T fremd. Einheitsflaschen stehen im Eigentum des letzten Erwerbers. Auch sie sind für T fremd. Wegnahme ist der Bruch fremden Allein- oder Mitgewahrsams und die Begründung neuen (nicht notwendig eigenen) Gewahrsams an der Sache. T hat durch Entwendung der Flaschen den Gewahrsam des vorherigen Eigentümers gebrochen und durch Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft neuen Gewahrsam begründet.
4. Setzt der subjektive Diebstahlstatbestand neben Vorsatz eine Zueignungsabsicht voraus?
Genau, so ist das!
Der Diebstahl ist ein Delikt mit überschießender Innentendenz. Der subjektive Tatbestand setzt neben dem Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale auch die Absicht rechtswidriger
Zueignung voraus. Dafür ist erforderlich, dass der Täter (1) zumindest bedingten Vorsatz hat, die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert dem Vermögen des Eigentümers dauerhaft zu entziehen und (2) die Absicht hat, die Sache oder den in ihr verkörperten Wert sich selbst oder einem Dritten zumindest vorübergehend anzueignen.
5. Hat der Täter Zueignungsabsicht bezüglich des Sachwerts der Pfandflaschen, wenn er beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen?
Nein, das trifft nicht zu!
BGH: Das Pfandgeld sei nicht der unmittelbar im Pfandgut verkörperte Wert. Sachwert im Sinne der Vereinigungstheorie sei nur der nach Art und Funktion mit der Sache verbundene Wert, nicht hingegen der erzielbare Veräußerungserlös an der Sache. Habe der Täter vor, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen, liege eine
Zueignung des Sachwerts nicht vor. Der Pfandwert diene lediglich als Anreiz zur Rückgabe der Flaschen und werde erst durch die Verwertung im Pfandsystem erzielt (RdNr. 12).
6. Kommt Diebstahl nur in Betracht, wenn sich der Täter das Pfandgut selbst zueignen will und er beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen?
Ja!
BGH: Voraussetzung sei, dass der Täter die Flaschen unter Leugnung des Eigentumsrechts des wahren Eigentümers in das Pfandsystem (das insoweit einer Rücknahmepflicht unterliegt) zurückgelangen lassen wolle, er sich also eine eigentümerähnliche Stellung an dem Leergut anmaße. Hierfür komme es maßgeblich auf die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den entwendeten Flaschen und die Folgen der Rückführung in das Pfandsystem an. Da das Vorstellungsbild des Täters von der tatsächlichen zivilrechtlichen Rechtslage abweichen könne, seien hierzu Feststellungen zu treffen (RdNr. 12f.)
Genau, so ist das!
Trotz Rückgabe des Pfandleerguts gegen Entgelt an den Eigentümer liegt
Zueignungsabsicht (bezüglich der Einheitsflaschen) vor, wenn der Täter dessen Eigentumsrecht leugnet und eine eigene Berechtigung vortäuscht. BGH: Habe der Täter bei zutreffender Einschätzung der Eigentumslage (in Bezug auf Einheitsflaschen) vor, das dem Eigentümer entwendete Pfandleergut gegen Erstattung des Pfandbetrags in das Pfandsystem zurückzugeben, beabsichtige er, sich wie ein Eigentümer des Pfandleerguts zu gerieren und die Eigentümerstellung des wahren Eigentümers zu leugnen. Dies gelte selbst dann, wenn er das Pfandleergut dem Händler zurückgeben wolle, dem er es zuvor entwendet habe (RdNr. 14).
Ja, in der Tat!
BGH: Schätze der Täter die Eigentumslage bezüglich Individualflaschen richtig ein (was die Ausnahme sein dürfte) und wolle durch die Rückgabe der Individualflaschen das Eigentumsrecht des Herstellers/Abfüllers nicht leugnen, sondern anerkennen und diesem das Pfandleergut über das Pfandsystem wieder zukommen lassen, maße er sich weder eine eigentümerähnliche Stellung an noch sei sein Vorsatz darauf gerichtet, den Eigentümer dauerhaft zu enteignen. Nehme er aber (was die Regel sein dürfte) fälschlicherweise an, dass das Eigentum auch bei Individualflaschen im Vertriebsweg auf den jeweiligen Erwerber der Getränke übergeht, wolle er auch den (vermeintlichen) Eigentümer enteignen und beabsichtige, durch Rückgabe in das Pfandsystem sich selbst an die Stelle des wahren Eigentümers zu setzen. Dann liege auch hier
Zueignungsabsicht vor (RdNr. 15f.).
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht rechtswidriger Zueignung
- Objektiver Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
- Wegnahme
- Rechtswidrigkeit
- Schuld