Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

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Zivilrecht trifft Strafrecht: Zueignungsabsicht bei Pfandflaschen

Zivilrecht trifft Strafrecht: Zueignungsabsicht bei Pfandflaschen

22. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T nimmt von Gelände des G Pfandflaschen mit in dem Gedanken daran, den Pfand für diese zu erhalten.

T gelangt durch ein Loch im Zaun auf das Gelände des Getränkehandels G. Dort entwendet er Pfandflaschen aus Plastik und Glas (Individual- und Einheitsflaschen). Dabei nimmt er an, dass sämtliche Flaschen im Eigentum des G stehen. T hat vor, diese bei G in das Pfandsystem zurückzugeben, um den Pfandwert von €325 zu erhalten.

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Einordnung des Falls

In diesem Fall spielen Zivilrecht und Strafrecht zusammen. Bei der Beurteilung, ob ein Diebstahl an Pfandflaschen vorliegt, ist zwischen Einheits- und Individualfalschen zu unterscheiden. Zivilrechtlich ist es nicht möglich, Eigentum an Individualfalschen zu erwerben. Für die Beurteilung der Zueignungsabsicht kommt es auf das Wissen des Täters von der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an. Geht der Täter bei Einheitsflaschen von einer zutreffenden Eigentumslage aus, beabsichtigt er bei der Rückgabe des Pfandes sich als Eigentümer auszugeben und negiert die wahre Eigentümerstellung des Händlers. Geht der Täter bei Individualflaschen richtig von der Eigentümerstellung des Herstellers aus, will er mit der Rückgabe der Flaschen dessen Eigentumsrecht anerkennen. Es fehlt an der Enteignungsabsicht.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T sich strafbar gemacht wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB), wenn T eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen hat, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen?

Genau, so ist das!

Die Verwirklichung des Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) setzt im objektiven Tatbestand die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache und im subjektiven Tatbestand neben dem Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale die Absicht rechtswidriger Zueignung voraus.
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2. Verbleibt das Eigentum an Individual- und Einheits-Pfandflaschen beim Hersteller, wenn sie im Supermarkt verkauft werden?

Nein, das trifft nicht zu!

Der BGH differenziert: (1) Individualflaschen sind Flaschen, die eine dauerhafte Kennzeichnung tragen, die sie als Eigentum des Herstellers ausweise (z.B. Coca Cola). Sie bleiben im Eigentum des Herstellers. (2) Einheitsflaschen sind Flaschen, die keine individuelle Markierung haben. Das Eigentum an Einheitsflaschen gehe jeweils auf den nächsten Erwerber über (RdNr. 7).

3. Hat T fremde, bewegliche Sachen weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB), indem er die Pfandflaschen mitgenommen hat?

Ja!

Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht und nicht herrenlos ist. Individualflaschen stehen im Eigentum des Herstellers und sind mithin für T fremd. Einheitsflaschen stehen im Eigentum des letzten Erwerbers. Auch sie sind für T fremd. Wegnahme ist der Bruch fremden Allein- oder Mitgewahrsams und die Begründung neuen (nicht notwendig eigenen) Gewahrsams an der Sache. T hat durch Entwendung der Flaschen den Gewahrsam des vorherigen Eigentümers gebrochen und durch Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft neuen Gewahrsam begründet.

4. Setzt der subjektive Diebstahlstatbestand neben Vorsatz eine Zueignungsabsicht voraus?

Genau, so ist das!

Der Diebstahl ist ein Delikt mit überschießender Innentendenz. Der subjektive Tatbestand setzt neben dem Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale auch die Absicht rechtswidriger Zueignung voraus. Dafür ist erforderlich, dass der Täter (1) zumindest bedingten Vorsatz hat, die Sache selbst oder den in ihr verkörperten Wert dem Vermögen des Eigentümers dauerhaft zu entziehen und (2) die Absicht hat, die Sache oder den in ihr verkörperten Wert sich selbst oder einem Dritten zumindest vorübergehend anzueignen.

5. Hat der Täter Zueignungsabsicht bezüglich des Sachwerts der Pfandflaschen, wenn er beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Das Pfandgeld sei nicht der unmittelbar im Pfandgut verkörperte Wert. Sachwert im Sinne der Vereinigungstheorie sei nur der nach Art und Funktion mit der Sache verbundene Wert, nicht hingegen der erzielbare Veräußerungserlös an der Sache. Habe der Täter vor, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen, liege eine Zueignung des Sachwerts nicht vor. Der Pfandwert diene lediglich als Anreiz zur Rückgabe der Flaschen und werde erst durch die Verwertung im Pfandsystem erzielt (RdNr. 12).

6. Kommt Diebstahl nur in Betracht, wenn sich der Täter das Pfandgut selbst zueignen will und er beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen?

Ja!

BGH: Voraussetzung sei, dass der Täter die Flaschen unter Leugnung des Eigentumsrechts des wahren Eigentümers in das Pfandsystem (das insoweit einer Rücknahmepflicht unterliegt) zurückgelangen lassen wolle, er sich also eine eigentümerähnliche Stellung an dem Leergut anmaße. Hierfür komme es maßgeblich auf die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den entwendeten Flaschen und die Folgen der Rückführung in das Pfandsystem an. Da das Vorstellungsbild des Täters von der tatsächlichen zivilrechtlichen Rechtslage abweichen könne, seien hierzu Feststellungen zu treffen (RdNr. 12f.)

7. Hatte T Zueignungsabsicht hinsichtlich des Eigentums an den Einheitsflaschen?

Genau, so ist das!

Trotz Rückgabe des Pfandleerguts gegen Entgelt an den Eigentümer liegt Zueignungsabsicht (bezüglich der Einheitsflaschen) vor, wenn der Täter dessen Eigentumsrecht leugnet und eine eigene Berechtigung vortäuscht. BGH: Habe der Täter bei zutreffender Einschätzung der Eigentumslage (in Bezug auf Einheitsflaschen) vor, das dem Eigentümer entwendete Pfandleergut gegen Erstattung des Pfandbetrags in das Pfandsystem zurückzugeben, beabsichtige er, sich wie ein Eigentümer des Pfandleerguts zu gerieren und die Eigentümerstellung des wahren Eigentümers zu leugnen. Dies gelte selbst dann, wenn er das Pfandleergut dem Händler zurückgeben wolle, dem er es zuvor entwendet habe (RdNr. 14).

8. Hatte T Zueignungsabsicht hinsichtlich des Eigentums an den Individualflaschen?

Ja, in der Tat!

BGH: Schätze der Täter die Eigentumslage bezüglich Individualflaschen richtig ein (was die Ausnahme sein dürfte) und wolle durch die Rückgabe der Individualflaschen das Eigentumsrecht des Herstellers/Abfüllers nicht leugnen, sondern anerkennen und diesem das Pfandleergut über das Pfandsystem wieder zukommen lassen, maße er sich weder eine eigentümerähnliche Stellung an noch sei sein Vorsatz darauf gerichtet, den Eigentümer dauerhaft zu enteignen. Nehme er aber (was die Regel sein dürfte) fälschlicherweise an, dass das Eigentum auch bei Individualflaschen im Vertriebsweg auf den jeweiligen Erwerber der Getränke übergeht, wolle er auch den (vermeintlichen) Eigentümer enteignen und beabsichtige, durch Rückgabe in das Pfandsystem sich selbst an die Stelle des wahren Eigentümers zu setzen. Dann liege auch hier Zueignungsabsicht vor (RdNr. 15f.).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
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Eine Besprechung von:
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

1.8.2021, 13:23:19

Bei Lektionen, die den Fall nicht komplett durchlösen, würde ich einen Info-Kasten super finden, in dem steht, was denn am Ende tatsächlich vorliegt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.12.2021, 18:23:16

Lieben Dank für den Hinweis, Isabell! Im vorliegenden Fall liegt bei den Plastikflaschen ein vollendeter Diebstahl vor, da T hier durch die Rückgabe die Eigentümerstellung eingenommen hat. Gleiches gilt bei lebensnaher Auslegung auch für die Individualflaschen. Denn nach lebensnaher Auslegung hatte T auch insoweit

Zueignungsabsicht

, da er davon ausging, durch die Rückgabe würde er die Eigentümerstellung einnehmen. Anders wäre dies nur, wenn er tatsächlich wüsste, dass dies bei Individualflaschen nicht der Fall ist, sondern diese die ganze Zeit im Eigentum des Herstellers verbleiben. Bei Bejahung der

Zueignungsabsicht

, ist bezüglich allen Flaschen Diebstahl nach § 242 Abs. 1 BGB zu bejahren. Da das Landgericht zu den Individualflaschen keine Feststellungen getroffen hatte, hat der BGH letzteres aber offen gelassen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-team

ROBT

RobTop

25.10.2024, 11:58:08

Nimmt man an, dass T von der Eigentümerstellung des Herstellers der Individualflasche gewusst hat, liegt dann ein Betrug gem. § 263 I StGB bei Abgabe der Flaschen ins Pfandsystem vor, da er über die Berechtigung zur Rückgabe getäuscht hat?

KAAU

Karl Augustin

14.7.2022, 22:03:48

Nach der Auffassung des BGH würde sich also jeder einer Sachbeschädigung strafbar machen, der eine Individualflasche kauft, weiß, dass sie Eigentum des Herstellers bleibt und dann wegschmeißt.? Interessante Meinung.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

2.8.2022, 12:18:09

Hallo Karl Augustin, so ist es. Bei den wenigen Menschen, die sich der Eigentumslage bewusst sind läge eine Sachbeschädigung vor, wenn sie die Flasche beschädigen oder zerstören. Hat aber in der Praxis natürlich schon wegen der Geringewertigkeit keine Relevanz. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Skywalker

Skywalker

20.10.2023, 18:55:14

Das Individualflaschen im Eigentum des Herstellers bleiben hat tatsächlich eher eine geringe Bedeutung, weil dafür keine Gefahr eines öffentlichen Interesses gefährdet ist (Ausgenommen man betreibt die Sachbeschädigung im wirklich großen Stile - eher unwahrscheinlich) Das hingegen bei den Pfandflaschen-Fällen konkret auf die "Anmaßung des Eigentums"! abgestellt wird ist für die Praxis schon eher relevant und theoretisch daher nicht besonders schlau gelöst. Nur deshalb musste man nämlich die weitere Bedingung aufstellen, und auf die Vorstellung des potenziellen Täters abstellen. Das privilegiert letztendlich den Täter, der sich mit der Kenntnis der Rechtssprechung zur Tat entschließt (der ja eigentlich besonders Strafwürdig erscheint) - und daher solches Abstellen auf subjektive Vorstellungen in ähnlichen Konstellationen auch in der Regel abgelehnt wird. Besser wäre es daher vielleicht einfach allgemeiner auf die Bösgläubigkeit bei der Rückgabe abzustellen.


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