Examensrelevante Rechtsprechung
Rechtsprechung Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub, u.a.
Liegestütze auf Kirchenaltar: Beschimpfender Unfug oder Kunstfreiheit?
Liegestütze auf Kirchenaltar: Beschimpfender Unfug oder Kunstfreiheit?
13. Juni 2023
8 Kommentare
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Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- Tatobjekt: Wohnung, Geschäftsraum, befriedetes Besitztum, abgeschlossene Diensträume
- Tathandlung: Eindringen (Var. 1) oder Verweilen (Var. 2)
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Strafantrag (§ 123 Abs. 2 StGB)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T begibt sich in einer Kirche in den mittels Kordeln abgesperrten Altarbereich und macht auf dem Altar etwa 30 Liegestütze, bevor er die Kirche wieder verlässt. Die Aktion filmt er im Rahmen eines Kunstprojektes für sein Studium "Freie Kunst".
Diesen Fall lösen 62,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
In dieser Entscheidung geht es um die Grenze zwischen einfachem Hausfriedensbruch und der Störung der Religionsausübung. Der Täter hatte im Rahmen eines Kunstprojekts Liegestütze auf einem Kirchenaltar gemacht. Dies stellt jedenfalls einen Hausfriedensbruch dar, da ein Eindringen in das befriedete Besitztum des Altarbereichs nicht gestattet ist. Problematisch ist, ob die Liegestütze aber auch „beschimpfenden Unfug“ und damit eine Störung der Religionsausübung darstellt. Dies hat das OLG Saarbrücken nun entgegen des LGs bejaht. Der Täter habe den Altar als Inbegriff christlicher Glaubensvorstellungen, buchstäblich mit Füßen getreten.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Erfüllt T den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1 Var. 1 StGB), dadurch, dass er die Kirche betritt?
Nein, das trifft nicht zu!
2. Erfüllt T den Tatbestand des Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1 Var. 1 StGB), dadurch, dass er sich in den abgesperrten Altarbereich begibt?
Ja!
3. Macht T sich wegen Störung der Religionsausübung nach § 167 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar, indem er Liegestütze auf dem Altar macht?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. Macht T sich wegen Störung der Religionsausübung nach § 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar, indem er Liegestütze auf dem Altar macht?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell
15.8.2021, 13:32:06
Die Motivation, mit der T die Kirche betritt spielt also keine Rolle, obwohl die nicht mit dem Willen des Eigentümers übereinstimmt?
Tekkie
22.9.2021, 16:34:00
Genau das habe ich mich auch gefragt, ist aber wohl gleich dem Fall, dass ein Dieb der ein Kaufhaus betritt auch nicht direkt wegen § 123 I Alt. 1 strafbar ist.

Lukas_Mengestu
19.11.2021, 10:21:31
Schöne Frage :-). In der Tat ist die Motivation im Falle des Betreten einer zum "Publikumsverkehr generell geöffneten Räumlichkeit" zunächst unbeachtlich, sofern das Verhalten nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht von einem normalen, gestatten Betreten abweicht. Ein ganz amüsanten Fall hatte das OLG Düsseldorf zu klären, wo die Angeklagten (Hausbesetzer) nach Abriss ihres besetzten Hauses in die Amtsräume des Stadtplanungsamtes eindrangen und zwei Badewannen mit Bauschutt ausschütteten. In diesem Fall wurde schon nach dem äußeren Erscheinungsbild ein widerrechtliches Betreten angenommen (NJW 1982, 2678). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Julia Maxi
6.4.2022, 15:43:18
Wäre es hier sinnvoll bei § 167 I Nr. 2 die
Kunstfreiheitanzusprechen? Der Tatbestand "
beschimpfender Unfug" ist in meinen atheistischen Augen arg unbestimmt und damit vielleicht von diesem Grundrecht in der Auslegung beeinflussbar? Mich hat jedenfalls das Ergebnis der Strafbarkeit doch arg überrascht und kommt mir vom Bauchgefühl her recht unangemessen vor 🙈 Zudem sind Filmaufnahmen in Kirchen ja auch nicht unüblich, oder? LG Julia

Lukas_Mengestu
7.4.2022, 17:30:32
Hallo Julia, das OLG hatte sich hier durchaus mit der
Kunstfreiheitauseinandergesetzt. Allerdings hat es diese nicht bereits im Rahmen der Auslegung des Tatbestandes angewandt, sondern anhand der
Kunstfreiheitüberprüft, ob hierdurch das tatbestandsmäßige Vrehalten gerechtfertigt war. Dies hat es vorliegend mit der Argumentation abgelehnt, dass der
Kunstfreiheitdie Freiheit der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) gegenübersteht, die in § 167 StGB einfachgesetzlich geschützt wird. Bei einer Interessenabwägung der beiden Grundrechte kam es zu dem Ergebnis, dass die
Kunstfreiheithier keinen Vorang habe. Dabei spielte weniger der Umstand eine Rolle, dass Videoaufnahmen gemacht wurden, als dass hier der Altar sprichwörtlich "mit Füßen getreten" wurde. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp Paasch
23.10.2022, 11:04:36
Den Fall hatten wir an der Universität des Saarlandes 2019 als Semesterabschlussklausur, allerdings in StaatsR II (Grundrechte), wobei wir uns auch mit der
Kunstfreiheitauseinandersetzen durften. Interessanterweise Fall, den gibt es wohl aber so schnell kein 2. Mal.^^
Saufen_Fetzt
21.10.2022, 12:23:44
Krass, was für ein Müll im StGB steht 😂

Inkognito
3.6.2025, 19:14:37
Ich möchte an dieser Stelle zunächst dem massiven Drang widerstehen zwischen Username und Inhalt eine Verbindung zu ziehen und auf diesen Einwand so sachlich wie möglich eingehen: Dieser Paragraph schützt nicht etwa die religiösen Befindlichkeiten als solche (deren Beschimpfung meines Erachtens nach tatsächlich nicht strafbar sein sollte) oder religiöse Objekte an sich (Wer eigene Bibeln Korane oder Scientology-Handbücher verbrennen oder in Schweineblut marinieren möchte sollte dies meiner Meinung nach dürfen da er sie bezahlt hat) sondern das Recht der Gläubigen, dass niemand in IHR Haus kommt und sich dort wie Sau aufführt. Um mal im Jargon des ersten Posts zu bleiben: Jeder darf bei sich zuhause neben das Klo urinieren, aber ich denke, dass andere durchaus im Recht sind, wenn sie sich ein solches gebaren in den eigenen 4 Wänden verbieten. Auch ich finde das Durchführen von Liegestützen auf einem Altar noch nicht so unfassbar respektlos, dass ich dafür eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren befürworten würde. Aber wenn man sich halt dabei filmt so einen Unsinn zu machen dann hat man halt Pech.