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Subjektiver Schadenseinschlag bei einem möglichen Weiterverkauf der erlangten Sache? - Jurafuchs

Subjektiver Schadenseinschlag bei einem möglichen Weiterverkauf der erlangten Sache? - Jurafuchs

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A bedroht den O in seinem Restaurant. O soll entweder Weinkisten kaufen oder wird umgebracht.

A verlangt vom Inhaber eines italienischen Restaurants O, dass er ihm 20 Kartons Wein für 450 € abkauft. O weigert sich, da er nur Prädikatsweine ausschenke. A droht daraufhin, ihn „abzustechen“. O willigt ein. Der Wein ist objektiv 450 € wert. O könnte ihn weiterverkaufen.

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Einordnung des Falls

Man könnte bei einfacher Betrachtung annehmen, dass es einfach ist zu beurteilen, wann ein Schaden vorliegt: Nachher hat man weniger als vorher. Das ist aber zu kurz gegriffen. In dieser Entscheidung äußert sich der BGH zum subjektiven Schadenseinschlag. Danach kann in Ausnahmefällen der subjektive Wert des erlangten Gegenstands für den Verletzten und nicht der objektive berücksichtigt werden. Danach liegt ein Schaden vor, wenn: (1) dem Opfer Mittel entzogen werden, die für eine angemessene Wirtschafts- und Lebensführung unerlässlich sind, (2) das Opfer zu weiteren vermögensschädigenden Handlungen gezwungen wird, oder (3) das Opfer die (wirtschaftlich gleichwertige) Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfang in zumutbarer Weise verwenden kann.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach dem für die Rspr. relevanten äußeren Erscheinungsbild hat A dem O die 450€ nicht weggenommen. O hat sie preisgegeben. Könnte A eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) begangen haben?

Ja!

Die Rechtsprechung grenzt Raub (§ 249 StGB) und räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens ab: Raub, wenn der Täter die Sache wegnimmt, räuberische Erpressung, wenn das Opfer sie preisgibt (Fischer, 64. Aufl. 2017, § 255 RdNr. 6).
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2. Hat A den O mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht?

Genau, so ist das!

Drohung ist das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 240 RdNr. 31). A hat O gedroht, ihm das Leben zu nehmen.

3. Ist nach der Rechtsprechung der Nötigungserfolg verwirklicht worden, indem O dem A die €450 Geld übergeben hat?

Ja, in der Tat!

Die Rechtsprechung verlangt - anders als die Literatur - als Nötigungserfolg keine Vermögensverfügung des Opfers. Vielmehr genügt jedes Tun, Dulden oder Unterlassen.A hat O durch die Drohung ihm das Leben zu nehmen zur Übergabe des Geldes genötigt.Die h.L. verlangt dagegen eine Vermögensverfügung. Kommt es aus Sicht des Opfers auf seine Mitwirkung an, so liege eine Vermögensverfügung vor. Könne der Täter sich die Sache auch ohne Mitwirkung des Opfers nehmen, so liege eine Wegnahme und damit Raub (§ 249 StGB) vor.

4. Entsteht ein Schaden nur, wenn die Verfügung zu einer nicht kompensierten Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts führt?

Ja!

Der Begriff des Vermögensnachteils in §§ 253, 255 StGB entspricht dem des Vermögensschadens in § 263 StGB. Ausgangspunkt bei der Schadensermittlung ist das Prinzip der Gesamtsaldierung. Geschützt ist das Individualvermögen. Die Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers ist (anders als etwa bei der Nötigung, § 240 StGB) nur insoweit geschützt, als sie ihrerseits einen geldwerten Vermögensteil beinhaltet (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 253 RdNr. 12; § 263 RdNr. 3, 111). Beim Kauf einer Sache ist entscheidend, ob die Sache den vereinbarten Kaufpreis wert ist. Der Wein ist objektiv 450 € wert. Nach diesem Maßstab ist O kein Schaden entstanden.

5. O will den ihm aufgezwungenen Wein nicht verwenden. Ist O deshalb ein Schaden nach den Grundsätzen des subjektiven/individuellen Schadenseinschlags entstanden?

Nein, das ist nicht der Fall!

In Ausnahmefällen berücksichtigt die Rspr. den subjektiven Wert des erlangten Gegenstands für den Verletzten, d.h. die subjektive Verwertbarkeit. Ein Schaden liegt vor, wenn: 1) dem Opfer Mittel entzogen werden, die für eine angemessene Wirtschafts- und Lebensführung unerlässlich sind, 2) das Opfer zu weiteren vermögensschädigenden Handlungen gezwungen wird, oder 3) das Opfer die (wirtschaftlich gleichwertige) Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfang in zumutbarer Weise verwenden kann (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 263 RdNr. 147f.). BGH: Keine der Fallgruppen sei einschlägig. O hätte den Wein weiterverkaufen können (RdNr. 3f).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Erpressung (§ 253 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Nötigungshandlung (Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel)
      2. Nötigungserfolg (Duldung, Handlung, Unterlassung)
      3. Vermögensverfügung (umstritten)
      4. Vermögensnachteil
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz bzgl. 1.a.-d.
      2. Bereicherungsabsicht
      3. Stoffgleichheit
      4. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Vermögensverschiebung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
    1. Allgemeine Rechtfertigungsgründe
    2. Verwerflichkeit der Nötigung nach § 253 Abs. 2 StGB
  3. Schuld
  4. Strafzumessungsregel nach § 253 Abs. 4 StGB

Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?

  1. Täuschung über Tatsachen
  2. Irrtum (kausal durch Täuschung)
  3. Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
  4. Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)

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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

18KA

18 Punkte Kandidat

21.3.2022, 18:27:28

Hier sollte wegen der Vermögensverfügung der Sachverhalt genauer geschildert werden. Denn nur weil O dem A das

Geld

übergibt, liegt ja noch keine Vermögensverfügung vor. Es braucht ja noch eine Entscheidungsmöglichkeit des O, wobei die Entscheidung, nicht zu bezahlen und sich dafür töten zu lassen ja gerade nicht ausreicht, sonst wäre stets eine Entscheidungsmöglichkeit und damit stets nach der Lit. eine vermögensverfügung gegeben

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.3.2022, 13:05:45

Hallo 18 Punkte Kandidat, vielen Dank für den Hinweis - wir haben den Fall nun präzisiert und klargestellt, dass wir hier die Lösung unter Zugrundelegung der Auffassung der Rechtsprechung darstellen. Für diese ist eine "Vermögensverfügung" überhaupt nicht erforderlich bei der räuberischen Erpressung. Vielmehr genügt jeder durch das Nötigungsmittel bewirkte

Nötigungserfolg

. Völlig richtig ist aber, dass nach Auffassung der Literatur eine räuberische Erpressung nur in Betracht kommt, wenn eine Vermögensverfügung vorliegt. Die Literatur grenzt dies nach der inneren Willensrichtung des Opfers ab. Sofern es auf dessen Mitwirkung zwingend ankommt, so liegt eine Vermögensverfügung vor (zB Öffnen des Safes um an das

Geld

zu gelangen). Könnte der Täter sich dagegen die abgenötigte Sache einfach nehmen (zB

Geld

börse), so läge keine Vermögensverfügung vor, selbst wenn das Opfer die Sache nach dem äußeren Erscheinungsbild weggibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JC1909

jc1909

13.9.2024, 07:56:15

Im Sachverhalt ist doch angelegt, dass O die Prädikatsweine nicht ausschenkt. Wird ein

individueller Schadenseinschlag

also nur verneint, weil er sie theoretisch verkaufen kann?

HAGE

hagenhubl

17.9.2024, 10:58:58

Es wird keine Dispositionsfreiheit geschützt. Es geht nur um die Frage, ob das Opfer die Leistung irgendwie zumutbar verwenden kann oder nicht.


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