Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2015
Subjektiver Schadenseinschlag bei einem möglichen Weiterverkauf der erlangten Sache?
Subjektiver Schadenseinschlag bei einem möglichen Weiterverkauf der erlangten Sache?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A verlangt vom Inhaber eines italienischen Restaurants O, dass er ihm 20 Kartons Wein für 450 € abkauft. O weigert sich, da er nur Prädikatsweine ausschenke. A droht daraufhin, ihn „abzustechen“. O willigt ein. Der Wein ist objektiv 450 € wert. O könnte ihn weiterverkaufen.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Man könnte bei einfacher Betrachtung annehmen, dass es einfach ist zu beurteilen, wann ein Schaden vorliegt: Nachher hat man weniger als vorher. Das ist aber zu kurz gegriffen. In dieser Entscheidung äußert sich der BGH zum subjektiven Schadenseinschlag. Danach kann in Ausnahmefällen der subjektive Wert des erlangten Gegenstands für den Verletzten und nicht der objektive berücksichtigt werden. Danach liegt ein Schaden vor, wenn: (1) dem Opfer Mittel entzogen werden, die für eine angemessene Wirtschafts- und Lebensführung unerlässlich sind, (2) das Opfer zu weiteren vermögensschädigenden Handlungen gezwungen wird, oder (3) das Opfer die (wirtschaftlich gleichwertige) Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfang in zumutbarer Weise verwenden kann.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Nach dem für die Rspr. relevanten äußeren Erscheinungsbild hat A dem O die 450€ nicht weggenommen. O hat sie preisgegeben. Könnte A eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) begangen haben?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat A den O mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht?
Genau, so ist das!
3. Ist nach der Rechtsprechung der Nötigungserfolg verwirklicht worden, indem O dem A die €450 Geld übergeben hat?
Ja, in der Tat!
4. Entsteht ein Schaden nur, wenn die Verfügung zu einer nicht kompensierten Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts führt?
Ja!
5. O will den ihm aufgezwungenen Wein nicht verwenden. Ist O deshalb ein Schaden nach den Grundsätzen des subjektiven/individuellen Schadenseinschlags entstanden?
Nein, das ist nicht der Fall!
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Erpressung (§ 253 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- Nötigungshandlung (Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel)
- Nötigungserfolg (Duldung, Handlung, Unterlassung)
- Vermögensverfügung (umstritten)
- Vermögensnachteil
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz bzgl. 1.a.-d.
- Bereicherungsabsicht
- Stoffgleichheit
- Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Vermögensverschiebung und entsprechender Vorsatz
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Allgemeine Rechtfertigungsgründe
- Verwerflichkeit der Nötigung nach § 253 Abs. 2 StGB
- Schuld
- Strafzumessungsregel nach § 253 Abs. 4 StGB
Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?
- Täuschung über Tatsachen
- Irrtum (kausal durch Täuschung)
- Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
- Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
18 Punkte Kandidat
21.3.2022, 18:27:28
Hier sollte wegen der Vermögensverfügung der Sachverhalt genauer geschildert werden. Denn nur weil O dem A das Geld übergibt, liegt ja noch keine Vermögensverfügung vor. Es braucht ja noch eine Entscheidungsmöglichkeit des O, wobei die Entscheidung, nicht zu bezahlen und sich dafür töten zu lassen ja gerade nicht ausreicht, sonst wäre stets eine Entscheidungsmöglichkeit und damit stets nach der Lit. eine vermögensverfügung gegeben
Lukas_Mengestu
23.3.2022, 13:05:45
Hallo 18 Punkte Kandidat, vielen Dank für den Hinweis - wir haben den Fall nun präzisiert und klargestellt, dass wir hier die Lösung unter Zugrundelegung der Auffassung der Rechtsprechung darstellen. Für diese ist eine "Vermögensverfügung" überhaupt nicht erforderlich bei der räuberischen Erpressung. Vielmehr genügt jeder durch das Nötigungsmittel bewirkte
Nötigungserfolg. Völlig richtig ist aber, dass nach Auffassung der Literatur eine räuberische Erpressung nur in Betracht kommt, wenn eine Vermögensverfügung vorliegt. Die Literatur grenzt dies nach der inneren Willensrichtung des Opfers ab. Sofern es auf dessen Mitwirkung zwingend ankommt, so liegt eine Vermögensverfügung vor (zB Öffnen des Safes um an das Geld zu gelangen). Könnte der Täter sich dagegen die abgenötigte Sache einfach nehmen (zB Geldbörse), so läge keine Vermögensverfügung vor, selbst wenn das Opfer die Sache nach dem äußeren Erscheinungsbild weggibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jc1909
13.9.2024, 07:56:15
Im Sachverhalt ist doch angelegt, dass O die Prädikatsweine nicht ausschenkt. Wird ein individueller Schadenseinschlag also nur verneint, weil er sie theoretisch verkaufen kann?
hagenhubl
17.9.2024, 10:58:58
Es wird keine Dispositionsfreiheit geschützt. Es geht nur um die Frage, ob das Opfer die Leistung irgendwie zumutbar verwenden kann oder nicht.