Öffentliches Recht

VwGO

Fortsetzungsfeststellungsklage

Statthaftigkeit der FFK bei Verpflichtungskonstellation 3: analoge Anwendung: Veränderte Sach- oder Rechtslage

Statthaftigkeit der FFK bei Verpflichtungskonstellation 3: analoge Anwendung: Veränderte Sach- oder Rechtslage

3. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Immobilien-Hai H beantragt eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Luxusimmobilie. Nach Ablehnung seines Antrags klagt er. Während des Prozesses erlässt die Gemeinde, in dessen Gebiet sich das Bauernhaus befindet, eine wirksame Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit der FFK bei Verpflichtungskonstellation 3: analoge Anwendung: Veränderte Sach- oder Rechtslage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Für die gerichtliche materielle Entscheidung einer Verpflichtungsklage ist die Sach- und Rechtslage des Zeitpunkts der Klageerhebung maßgeblich.

Nein, das ist nicht der Fall!

Prozessrechtlich maßgeblich für die Entscheidung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Wenn es keine mündliche Verhandlung gibt, wird auf den Moment der gerichtlichen Entscheidung abgestellt. Für die materielle Entscheidung kommt es bei der Verpflichtungsklage auf den prozessrechtlich maßgeblichen Zeitpunkt an. Ob ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts besteht, wird also nach Rechts-und Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung beurteilt. Bei der Anfechtungsklage ist dagegen grundsätzlich die Rechts- bzw. Sachlage maßgeblich, die bei Erlass des Verwaltungsakts herrschte.
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2. H hat zunächst einen Anspruch auf Erlass der Baugenehmigung geltend gemacht. Statthaft war die Verpflichtungsklage.

Ja, in der Tat!

Begehrt der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts, ist die Verpflichtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Eine Verpflichtungsklage ist dann erfolgreich, wenn der Kläger einen Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsakts hat. Fällt der behauptete Anspruch nach Klageerhebung (bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) wegen einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage weg, kann die ursprünglich Verpflichtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt werden (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog). Diese richtet sich dann auf die Feststellung, dass der Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts vor Änderung der Sach- oder Rechtslage bestand.

3. H kann wegen der Veränderungssperre keinen Anspruch mehr auf Erlass der Baugenehmigung haben. Es wäre damit nicht sinnvoll, an der Verpflichtungsklage festzuhalten.

Ja!

Eine Veränderungssperre ist nach ein Sicherungsinstrument, mit dem Gemeinden kurzzeitig keine weiteren Baugenehmigungen auf einem bestimmten Gebiet erlassen (§ 14 BauGB). Die Gemeinde hat während des Prozesses eine Veränderungssperre für das Baugebiet erlassen, in dem H bauen will. Damit ist klar, dass eine Baugenehmigung (vorübergehend) nicht erlassen werden kann. Somit ist es aus Hs Sicht nicht sinnvoll, weiterhin an der Verpflichtungsklage auf Erlass der begehrten Baugenehmigung festzuhalten. Denn wenn H zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erlass der Baugenehmigung hat, wird die Verpflichtungsklage nicht zu seinen Gunsten entschieden.

4. Die Rechtslage ist zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine andere, als zum Zeitpunkt der Antragstellung.

Genau, so ist das!

Zwischen der Antragstellung bei der Behörde und der gerichtlichen Entscheidung darüber, ob ein Anspruch des Antragstellers auf Erlass des Verwaltungsakts besteht, vergeht in der Regel eine Zeit. Daher kann es dazu kommen, dass die Sach- oder Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung eine andere ist, als zum Zeitpunkt der Antragstellung. Ob ein Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts besteht, wird aber nach der Rechts-und Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der gerichtlichen Entscheidung beurteilt. Dadurch, dass die Veränderungssperre erlassen wurde, nachdem H den Erlass der Baugenehmigung beantragt hat, hat sich die Rechtslage verändert.

5. Die Fortsetzungsfeststellungsklage scheidet in diesem Fall als statthafte Klageart aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ergibt sich, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage dann statthaft sein muss, wenn ein Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts deshalb nicht mehr weiterverfolgt werden kann, weil dieser Anspruch wegen einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (bzw. Entscheidung der Klage) weggefallen ist (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog). Hs ursprünglicher Anspruch ist wegen einer Veränderung der Rechtslage weggefallen. Statthaft ist die Fortsetzungsfeststellungsklage gerichtet auch die Feststellung, dass er ursprünglich einen Anspruch auf Erlass der Baugenehmigung hatte.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TR

Tristan

9.5.2022, 09:15:31

Mir erschließt sich nicht, weshalb hier die FFK statthaft sein soll. Soweit die Veränderungssperre der Baugenehmigung im Wege steht, läßt sich deren

Rechtmäßigkeit

doch inzident in der

Versagungsgegenklage

prüfen. Ggf. könnte ja außerdem eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2, 3 BauGB einschlägig sein. In beiden Fällen käme H doch noch an seine Baugenehmigung. Müßte dann nicht die Verpflichtungsklage weiter statthaft sein?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

11.5.2022, 11:51:12

Hallo Tristan, wir haben den Sachverhalt an dieser Stelle noch einmal präzisiert. An der Wirksamkeit der Veränderungssperre bestehen hier keine Zweifel. Insofern kommt eine FFK hier in Betracht, da die Erteilung einer Baugenehmigung aufgrund der Sperre erst einmal nicht mehr möglich ist (vgl. auch BVerwG NVwZ

199

9, 523) und insoweit ggfs. ein

Amtshaftungsanspruch

in Betracht kommt (vgl. BGH NVwZ

199

4, 405). Die Voraussetzung der Ausnahme nach § 14 Abs. 3 BauGB liegt nicht vor, da es gerade an der Genehmigung fehlt. In Betracht kommt in der Tat noch eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB. Dann dürften aber öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Dies lässt sich anhand der Sachverhaltsangaben nicht eindeutig beantworten. Stehen diese indes nicht entgegen, so käme hier in der Tat auch die Verpflichtung zum Erlass einer Ausnahmegenehmigung und infolge dessen auch einer Baugenehmigung in Betracht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

TR

Tristan

12.5.2022, 00:15:33

Herzlichen Dank für die Antwort!

Johannes Nebe

Johannes Nebe

5.11.2022, 15:14:38

Letzte Subsumtion: gerichtet "auf" die Feststellung

EVA

evanici

4.9.2023, 13:58:57

Die Erklärung erschließt sich mir nicht: "Prozessrechtlich maßgeblich für die Entscheidung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung."(...)"Bei der Anfechtungsklage ist dagegen grundsätzlich die Rechts- bzw. Sachlage maßgeblich, die bei Erlass des Verwaltungsakts herrschte."

NI

Nilson2503

19.9.2023, 14:01:56

Lieber Evanici, in dem von Dir durch Klammern ausgelassenen Teil des Zitats liegt gewissermaßen der Teufel im Detail. Man unterscheidet zwischen dem prozessrechtlichen und materiell rechtlichen entscheidungserheblichen Zeitpunkt. Ersteres bezieht sich auf die Frage der Zulässigkeit der Klage, wohingegen letzteres sich auf die Begründetheit bezieht. Heißt: Bei der AK ist für die Frage der

Rechtmäßigkeit

des VA grds. der Zeitpunkt des Erlasses entscheidend. Bei der VK dann der Zeitpunkt der letzten mV.

HEUZ

Heuzi

28.2.2024, 09:05:42

m.E. wäre es hier noch hilfreich für die entscheidungsrelevanten Zeitpunkte normative Anknüpfungspunkte herzustellen. Bei der Anfechtungsklage wird z.B. von den Gerichten oft auf § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ("ursprünglicher VA") referenziert.


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