+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
E ist Eigentümerin einer frischen, goldbraunen Brezel, die sie sich gerade von der Bäckerei für €1 gekauft hat. Diese legt sie kurz neben sich, um ihr Portemonnaie einzupacken. In diesem unbeobachteten Moment kommt der gefräßige G und isst die neben E liegende Brezel auf.
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Einordnung des Falls
Eingriffskondiktion Grundfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Voraussetzungen einer Eingriffskondiktion könnten erfüllt sein (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
Dem Bereicherungsgläubiger steht ein Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (Eingriffskondiktion) zu, wenn vier Voraussetzungen gegeben sind: Der Anspruchsgegner (Bereicherungsschuldner) müsste (1) etwas erlangt haben. Dies müsste (2) in sonstiger Weise, also nicht durch Leistung erfolgt sein. Dies ist (3) auf Kosten des Bereicherungsgläubigers geschehen, wenn ein Eingriff in ein fremdes Recht vorliegt. Zuletzt muss der Bereicherungsschuldner den Bereicherungsgegenstand (4) ohne Rechtsgrund erlangt haben.
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2. Als „etwas erlangt“ kommen nur konkrete Vermögenswerte in Betracht (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
Bereicherungsgegenstand bei der Eingriffskondiktion ist jeder Verwendungs-, Nutzungs- oder Eingriffserfolg eines fremden Rechts. Hierbei kommt es nicht auf einen Vermögenswert oder auf eine Gegenständlichkeit an. G hat durch den Verzehr jedenfalls Gebrauchsvorteile an der Brezel im Wert von €1 erlangt.
3. G hat die Brezel durch Leistung erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Nein!
Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens. E hat weder bewusst, noch zweckgerichtet Gs Vermögen gemehrt. Eine Leistung der E an G ist somit nicht ersichtlich.
4. G hat die Brezel „in sonstiger Weise“ erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
Der Bereicherungsschuldner erlangt den Bereicherungsgegenstand „in sonstiger Weise“, wenn er ihn nicht durch Leistung erlangt. Ob eine Leistung vorliegt, bestimmt sich nach den Grundsätzen der Leistungskondiktion. Eine Leistung der E an G ist somit nicht ersichtlich. E hat die Brezel „in sonstiger Weise“ erlangt.
5. Das Tatbestandsmerkmal „auf dessen Kosten“ ist erfüllt, wenn ein Eingriff in ein fremdes Recht vorliegt.
Ja, in der Tat!
Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Es ist also auf die Rechtsposition, um die es bereicherungsrechtlich geht, abzustellen. Diese muss von der Rechtsordnung dem Gläubiger zur ausschließlichen Verfügung zugewiesen wird. Deutlich wird dies nochmal am Beispiel des Eigentums (§ 903 S. 1 BGB). Die Rechtsordnung weist hier dem Eigentümer sämtliche denkbaren Nutzungsmöglichkeiten der Sache zu. Wer in das Eigentum eingreift, begeht einen Eingriff iSd § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.
6. Es liegt ein Eingriff in ein fremdes Recht vor.
Ja!
Eingriff bedeutet nach der herrschenden Zuweisungstheorie die Verletzung des Zuweisungsgehalts eines fremden Rechts. Die Rechtsposition, um die es hier geht, ist das Eigentum (§ 903 S. 1 BGB). Das Eigentum weist jegliche Nutzungsmöglichkeiten ausschließlich dem Eigentümer zu, also auch den Verzehr. G hat durch den Verzehr in die Nutzungsmöglichkeiten von Es Eigentum eingegriffen. Ein Eingriff liegt vor.
7. Die Voraussetzung „ohne Rechtsgrund“ entspricht der gleichnamigen Voraussetzung bei der Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Bei dem Tatbestandsmerkmal „ohne Rechtsgrund“ bei der Leistungskondiktion kommt es darauf an, ob ein Kausalverhältnis für die Vermögensverschiebung vorliegt (z.B. ein Kaufvertrag). Im Gegensatz dazu kommt es bei der Nichtleistungskondiktion darauf an, ob die Rechtsordnung dem Bereicherungsschuldner einen Behaltensgrund für den Bereicherungsgegenstand vorsieht. In Betracht kommen gesetzliche Behaltensgründe (gutgläubiger Erwerb, §§ 932 ff. BGB, gutgläubiger entgeltlicher Erwerb, § 816 Abs. 1 BGB) und vertragliche Behaltensgründe (z.B. Anspruch, den der eingreifende Schuldner selbst erfüllt hat).
8. Gs Bereicherung war ohne Rechtsgrund iSd Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).
Ja, in der Tat!
Die Bereicherung des Bereicherungsschuldners ist ohne Rechtsgrund, wenn dem Schuldner kein Behaltensgrund zusteht. Es gibt gesetzliche und vertraglich Behaltensgründe. Gesetzliche Behaltensgründe, wie etwa der gutgläubige Erwerb, kommen nicht in Betracht. Auch ist kein vertraglicher Behaltensgrund ersichtlich. Gs Bereicherung war somit ohne Rechtsgrund.
9. Die Rechtsfolge des Herausgabeanspruchs nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB.
Nein!
Liegen die Voraussetzungen der Kondiktion vor, ist der Schuldner zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Hierbei richtet sich der Umfang des Bereicherungsanspruch nach den §§ 818 ff. BGB. Die §§ 249 ff. BGB sehen die Rechtsfolge für Schadensersatzansprüche vor. Diese sind allerdings unpassend für den Herausgabeanspruch.
10. G hat die Brezel grundsätzlich in natura herauszugeben (§ 818 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Grundsätzlich ist die Rechtsfolge des Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Herausgabe der Bereicherung, die sich wiederum nach dem Prinzip des § 818 Abs. 1 BGB richtet.
G kann die Brezel allerdings nicht mehr in natura herausgeben, weil er sie schon aufgegessen hat.
11. Weil G die Brezel schon aufgegessen hat, ist er entreichert und schuldet E bereicherungsrechtlich nichts (mehr).
Nein, das trifft nicht zu!
G haftet nach § 818 Abs. 2 BGB auf Wertersatz. Auch ist G nicht etwa entreichert (§ 818 Abs. 3 BGB), da er durch den Verzehr der Brezel der E eigene Aufwendungen erspart hat. Der Wert der Brezel beläuft sich auf €1. G hat also E Wertersatz in Höhe von €1 zu leisten.