Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Korrespondenzdienstleistung

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Korrespondenzdienstleistung

4. Juli 2025

7 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In Italien dürfen nur öffentlich-rechtliche Anstalten Fernsehsendungen ausstrahlen. S ist Betreiber eines staatlich nicht genehmigten Fernsehunternehmens, das über Italien hinaus ausstrahlt, und wird deswegen angeklagt.

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV: Korrespondenzdienstleistung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Übertragung von Fernsehsendungen fällt unter die Warenverkehrsfreiheit.

Nein, das ist nicht der Fall!

In gegenständlicher Hinsicht schützt die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV die Ein- und Ausfuhr von Unionswaren. Waren sind nach der Rechtsprechung des EuGH alle beweglichen, körperlichen Güter (wobei dies nicht zwingend nötig ist, da auch Strom erfasst wird), die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Die Übertragung von Fernsehsendungen ist unkörperlicher Natur und stellt damit keine Ware im Sinne des Vertrags dar. Der sachliche Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ist daher nicht eröffnet. Dagegen unterliegt der Handel mit sämtlichen Materialien, Tonträgern oder sonstigen Erzeugnissen, die für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen genutzt werden, den Bestimmungen über den freien Warenverkehr.
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2. Die Übertragung von Fernsehsendungen stellt eine Dienstleistung i.S.d. Art 57 AEUV dar.

Ja, in der Tat!

Die Dienstleistung ist subsidiär und lässt sich in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten als selbstständige, vorübergehende Leistungen definieren, die einen entgeltlichen Charakter haben muss. Das Merkmal der Selbstständigkeit wird in Art. 57 AEUV zwar nicht ausdrücklich angesprochen, ergibt sich aber aus den beispielhaft in Art. 57 Abs. 2 AEUV genannten Tätigkeiten und in Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das Merkmal "vorübergehend" ergibt sich in Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit. Die Übertragung von Fernsehsendungen hat entgeltlichen Charakter, weil es ausreicht, dass jedenfalls ein Teil der Dienstleistung von der werbetreibenden Industrie mitfinanziert wird. Außerdem handelt es sich dabei um eine eine selbstständige, nicht weisungsgebundene Tätigkeit. Zwar handelt es sich nicht um eine vorübergehende Leistung, da die Übertragung in der Regel dauerhaft und kontinuierlich stattfindet. Allerdings dient dieses Kriterium auch nur der Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit und ist nicht etwa fester Bestandteil der Definition. Da vorliegend aber eine Niederlassung durch die Übertragung von Fernsehsendungen in andere Mitgliedstaaten unstreitig nicht gegeben ist, kommt es auf dieses Merkmal nicht an.

3. Es handelt sich vorliegend um die aktive Form der Dienstleistungsfreiheit.

Nein!

Als aktive Dienstleistungsfreiheit wird die Situation bezeichnet, dass sich der Dienstleistungserbringer in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort seine Dienstleistung anzubieten und auszuführen. Vorliegend ergibt sich P nicht in einen anderen Mitgliedstaat, um dort Fernsehsendungen zu überträgt. Er übertragt sie vielmehr von Italien aus. Es handelt sich also nicht um die aktive Dienstleistungsfreiheit.

4. Es handelt sich um die passive Form der Dienstleistungsfreiheit.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die passive Dienstleistungsfreiheit liegt vor, wenn sich der Dienstleistungsempfängers in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Vorliegend begibt sich das Fernsehpublikum nicht nach Italien, um dort die Fernsehsendungen zu konsumieren. Vielmehr wird die Fernsehsendung in die verschiedenen Mitgliedstaaten übertragen. Die passive Dienstleistungsfreiheit ist daher nicht betroffen.

5. Weder der Dienstleistungserbringer, noch der Dienstleistungsempfänger begeben sich über eine Grenzen. Ist der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit dennoch eröffnet?

Ja, in der Tat!

Auch die Form der sog. Korrespondenzdienstleistung ist anerkannt. Bei der Korrespondenzdienstleistung erfolgt der für den Vollzug der Dienstleistung erforderliche Austausch von Informationen und Leistungen auf Distanz im Wege der Korrespondenz. Weder der Dienstleistungserbringer noch der Dienstleistungsempfänger überschreiten die Grenze. Nur das unkörperliche Produkt vollzieht einen Grenzübertritt. Dies reicht für den grenzüberschreitende Bezug aus. Da vorliegend die Fernsehsendung als Dienstleistung mitgliedstaatliche Grenzen überschreitet, ist der grenzüberschreitende Bezug vorliegend gegeben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RO

Romeo

4.2.2023, 13:36:45

Teilweise wird fälschlicherweise von der

Niederlassungsfreiheit

gesprochen, obwohl der Lösungstext auf die

Dienstleistungsfreiheit

abspielt.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.2.2023, 13:26:21

Hey Romeo, Danke für den Hinweis. Haben wir geändert :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

MAR

marie

30.8.2023, 22:12:01

Könnte hier nicht das Strom Argument greifen? Fernsehsendungen ist Ergeugnisse von Wert und mit ihnen kann Handel betrieben werden?

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

26.3.2025, 09:47:14

In solchen Fällen geht es ja aber nicht um den Strom an sich. Den bezieht ja jeder selbst. Die Person hier handelt nicht mit Strom, sondern bietet die Möglichkeit an sein Bild und Ton zu empfangen

flari0n

flari0n

29.5.2025, 14:56:55

Ich glaube die Frage war, ob man nicht argumentieren könnte, dass „Bild & Ton“ hier (so ähnlich wie Strom) das unkörperliche Erzeugnis von Wert ist, mit dem Handel getrieben werden kann. Dem würde ich entgegenhalten, dass es schwierig ist, mit der Sendung Handel zu treiben. Man könnte sie jedenfalls, sobald man sie empfangen hat, nicht einfach weiter veräußern. Gewissermaßen ist die Sendung „flüchtiger“ als Strom, den man Speichern und wieder veräußern kann. Dass man die Sendung aufzeichnen und dann die Aufzeichnung veräußern kann, steht dem nicht entgegen. Denn die Aufzeichnung ist etwas wesentlich anderes als das Senden von Inhalten (insbesondere weil sie körperlich geworden ist). Aber kann man sicherlich auch alles anders sehen :)


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