„Kücükdeveci“

25. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K wird entlassen. Für die Berechnung der Kündigungsfrist wird ihre Beschäftigungszeit vor dem 25. Lebensjahr entsprechend nach § 622 Abs. 2 BGB a.F. unbeachtet gelassen. Der EuGH hat im Wege der Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit von § 622 BGB a.F. mit Unionsrecht zu entscheiden.

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Einordnung des Falls

„Kücükdeveci“

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Regelung in § 622 Abs. 2 BGB a.F. stellte einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 der europäischen Richtlinie gegen Altersdiskriminierung dar (RL 2000/78/EG), welcher nicht gerechtfertigt werden kann.

Ja, in der Tat!

Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie sind Diskriminierungen aufgrund des Alters grundsätzlich unzulässig. Ungleichbehandlungen stellen aber dann keine Diskriminierung dar, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgen, objektiv erforderlich und angemessen sind. Eine Rechtfertigung von Ungleichebehandlungen ist mithin möglich. Den Mitgliedstaaten steht insoweit ein weiter Ermessensspielraum zu. Eine Rechtfertigung vor dem Hintergrund höherer persönlicher und beruflicher Mobilität jüngerer Arbeitnehmer kommt nicht in Betracht. § 622 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. stellt ein Verstoß gegen die Richtlinie gegen Altersdiskriminierung dar.
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2. Die Richtlinie entfaltet auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unmittelbare Wirkung. Das entgegenstehende nationale Recht muss daher wegen Verstoßes gegen die Richtlinie unangewendet bleiben.

Nein!

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Richtlinie keine Verpflichtungen für Einzelne begründen. Eine Berufung auf die Richtlinie als solche gegenüber einem Privaten ist daher grundsätzlich nicht möglich. Die unmittelbare Wirkung der Richtlinien zwischen Privaten, also im Horizontalverhältnis, ist nicht zulässig.

3. Das zuständige nationale Gericht ist jedoch verpflichtet nationales Recht richtlinienkonform auszulegen

Genau, so ist das!

Nach dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet ihr nationales Recht im Einklang mit den bestehenden EU-Richtlinien auszulegen. Aus Art. 288 Abs. 3 AEUV ergibt sich, dass Richtlinien für die Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit sind daher auch Gerichte als Judikative dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um diese Verpflichtung zu erfüllen. Der EuGH stützt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung neben Art. 288 Abs. 3 AEUV auch auf die Loyalitätspflichten der Mitgliedstaaten aus Art. 4 Abs. 3 EUV.

4. Die nationale Vorschrift ist der richtlinienkonformen Auslegung nur zugänglich, wenn die Klarheit und Bestimmtheit des Wortlauts dem nicht entgegensteht.

Ja, in der Tat!

Das nationale Gericht ist verpflichtet, das nationale Recht im Rahmen des Möglichen richtlinienkonform auszulegen. Die Gerichte müssen daher auch die Möglichkeiten einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ausnutzen. Allerdings wird die Kompetenzverteilung zwischen Judikative und Legislative anerkannt, sodass die Gerichte nicht verpflichtet sind, contra legem auszulegen. § 622 Abs. 2 S. 2 ist wegen seines klaren und eindeutigen Wortlauts einer richtlinienkonformen Auslegung nicht zugänglich.

5. Die nationale Vorschrift verstößt jedoch auch gegen das Verbot der Altersdiskriminierung als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts. Das nationale Recht muss daher auch im Verhältnis zwischen Privaten unangewendet bleiben.

Ja!

Entgegenstehendes nationalen Recht muss auch dann unangewendet bleiben, wenn ein Verstoß gegen einen primärrechtlicher Rechtssatz vorliegt, der mit den Ziele der Richtlinie gleichlaufend ist. Dies gilt auch für Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war das Verbot der Altersdiskriminierung als allgemeiner Grundsatz bereits als Grundrecht in Art. 6 EUV, Art. 21 GRCh umgesetzt. Die Unanwendbarkeit der Norm folgt daher eigentlich aus dem Verstoß gegen Unionsgrundrechte als Primärrecht und der objektiven Wirkung der Unionsgrundrechte.

6. Das Gericht muss den EuGH gemäß Art. 267 AEUV anrufen, um die Unvereinbarkeit einer Vorschrift mit Unionsrecht klären zu lassen, bevor es die Vorschrift unangewendet lassen kann.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, ist eine unionsrechtswidrige nationale Regelung, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, unangewendet zu lassen. Eine Verpflichtung zur Vorlage ergibt sich aus Sicht des EuGH jedoch nicht daraus, dass Gerichte nach nationalem Recht Regelungen erst dann unangewendet lassen dürfen, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sind. Das nationale Gericht ist zwar nicht verpflichtet, aber auch nicht gehindert, den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen, bevor es eine Vorschrift unangewendet lässt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MAR

Marius

11.7.2022, 15:27:56

Diese ganze Lektion hat so dermaßen löchrige Sachverhalte, dass es zum blinden Herumraten mutiert. Gurkenglas, Quote frustriert im Arsch, ab zur nächsten Lektion.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.7.2022, 13:51:30

Hallo Marius, vielen Dank für Dein Feedback. Es tut uns leid, wenn Dir diese Lektion nicht gefallen hat und Du dadurch Einbußen bei Deiner Lernquote hattest. Wenn Du uns bei der Verbesserung unserer Fälle unterstützen möchtest, kannst Du uns gerne schreiben, welche Informationen Dir in den Sachverhalten konkret gefehlt haben. Aufgaben, die Dir nicht gefallen, kannst Du zudem jederzeit überspringen (über die 3 Punkte in der oberen rechten Ecke). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MAR

Marius

13.7.2022, 17:08:54

Hi Lukas, Da hast du natürlich recht: ich war da jetzt nicht allzu konkret. Trotz Schwerpunktsvorlesung „Vertiefung Europarecht“ kenne ich die Altersdiskriminierungsrichtlinie nicht. Kann natürlich neu sein… Entweder ist sie fiktiv, dann sind die Informationen im Sachverhalt quasi nonexistent und ich rate herum „ob XY davon erfasst ist“ oder eben nicht, oder sie ist real. Dann wäre eine Verlinkung aber auch (dejure?) echt hilfreich, um anhand dessen die Fragen vernünftig beantworten zu können. So habe ich hingegen keine Ahnung, keine Infos und rate rum. Ich fand diese Lektion sehr unkonkret.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.7.2022, 18:19:58

Hi Marius, vielen lieben Dank für die Konkretisierung! Die Richtlinie haben wir uns in der Tat nicht ausgedacht. Vielmehr handelt es sich hierbei um die Richtlinie 2000/78/EG, die auch die Grundlage für unser AGG ist. Aber in der Tat waren die Fragen hier ohne die entsprechende Verlinkung nur schwer zu beantworten, weswegen wir diese nun ergänzt haben :-) Sollte Dir bei anderen Aufgaben noch einmal etwas fehlen, so zögere bitte nicht, uns wieder darauf hinzuweisen. Dann können wir die entsprechenden Ergänzungen vornehmen. Herzlichen Dank und beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lord Denning

Lord Denning

4.1.2024, 16:51:33

Ich stimme dem Gesagten zu. Dir letzten beiden Aufgaben (die Folgenden habe ich noch nicht gemacht) waren irgendwie nicht kohärent und die Informationen schwer nachzuvollziehen. Es wäre super, wenn ihr die Aufgaben irgendwie nochmal überprüft.

BL

Blotgrim

14.11.2022, 00:17:41

Hier müsste vielleicht noch erwähnt werden, was in 622 Abs.2 a.F. steht. Ohne dass zu wissen muss man raten ob es gegen die Richtlinie verstößt Lg

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.11.2022, 10:08:08

Hallo Blotgrim, in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB hieß es: "Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt." Da es auf den genauen Wortlaut nicht ankam, haben wir das im Sachverhalt lediglich paraphrasiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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