+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T will O abhalten, Geld von D einzufordern. Dazu schlägt er O zu Boden und tritt mehrfach mit seinen Stahlkappenschuhen auf Os Hinterkopf. T nimmt Os Tod dabei billigend in Kauf. Als T sicher ist, dass der noch laut röchelnde O D nicht mehr belästigen werde, lässt er von ihm ab. O wird ohne Ts Zutun gerettet.
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Einordnung des Falls
Der BGH hat in diesem Urteil bekräftigt, dass dür die Abgrenzung zwischen dem unbeendeten und den beendeten Versuch der tätereigene, subjektive Rücktrittshorizont maßgeblich sei. Danach liege ein beendeter Versuch auch dann vor, wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Todeseintritt bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte T sich wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht haben, indem er den O zu Boden schlug und auf seinen Kopf eintrat (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Eine Strafbarkeit wegen Versuchs setzt voraus, dass der Täter mit (1)Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung (2)unmittelbar ansetzt, (3) rechtswidrig und schuldhaft handelt und (4)nicht strafbefreiend zurückgetreten ist. Zu Beginn der Versuchsprüfung ist zudem kurz festzustellen, dass das unvollendete Delikt im Versuch strafbar ist.
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2. Hatte T Tatentschluss O zu töten, als er auf seinen Kopf trat?
Ja, in der Tat!
Tatentschluss umfasst den Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie eventuell vorliegende deliktsspezifische subjektive Tatbestandsmerkmale.
T hat erkannt, dass O durch die Tritte auf den Kopf sterben könnte. Obwohl er O nur einschüchtern wollte, nahm er eine mögliche Todesfolge zumindest billigend in Kauf.
3. Hat T unmittelbar dazu angesetzt, O zu töten?
Ja!
Der Täter setzt unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung an, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.
Indem T den O geschlagen und mit Stahlkappenschuhen gegen den Kopf getreten hat, hat er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht's los überschritten. Auch bedurfte es objektiv keiner wesentlichen Zwischenschritte mehr, den Tod des O herbeizuführen. T handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.
4. Könnte T strafbefreiend zurückgetreten sein, indem er von weiteren Tritten auf Os Kopf absah (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Der Rücktritt vom Versuch setzt voraus, dass der Versuch (1) nicht fehlgeschlagen ist und der Täter die (2) erforderliche Rücktrittshandlung (3) freiwillig erfüllt. Die erforderliche Rücktrittshandlung des Alleintäters hängt davon ab, in welchem Versuchsstadium er sich befindet. Bei einem unbeendeten Versuch muss der Täter lediglich die weitere Tatausführung aufgeben (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB). Der beendete Versuch fordert die aktive Abwendung des Erfolgseintritts (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB) oder zumindest des ernsthaften Bemühens zur Erfolgsabwendung (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB). Bei mehreren Beteiligten bestimmen sich die Rücktrittsvoraussetzungen nach §24 Abs. 2 StGB.
5. Ist der Tötungsversuch des T fehlgeschlagen?
Nein, das trifft nicht zu!
Ein Fehlschlag liegt vor, wenn der Täter entweder tatsächlich erkennt oder irrig annimmt, dass die Vollendung der geplanten Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne zeitliche Zäsur nicht mehr möglich ist.
Aus der Sicht des T war es nach dem letzten Tritt auf Os Kopf noch möglich, dass dieser durch weitere Gewaltanwendung sterben würde.
6. Richtet sich dDie Bestimmung des Versuchsstadiums nach den Vorstellungen des Täters von der Tat?
Ja!
Die Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch beruht, ebenso wie die Feststellung, ob der Versuch fehlgeschlagen ist, ausschließlich auf der Vorstellung des Täters im Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung (
Rücktrittshorizont). Danach ist der Versuch unbeendet, wenn der Täter meint, noch nicht alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung zur Vollendung der Tat notwendig ist. Beendet ist der Versuch, wenn der Täter glaubt, alles Notwendige und Mögliche zur Tatbestandsverwirklichung getan zu haben.
7. War der Versuch aus Ts Sicht nach dem letzten Tritt auf Os Kopf unbeendet?
Genau, so ist das!
BGH: Die Annahme eines unbeendeten Versuchs setze bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit Eventualvorsatz handelnden Täters besondere Umstände voraus, die die Wertung zulassen, er habe den Tod nach der letzten Tathandlung nicht für möglich gehalten(RdNr. 17).
BGH: Ein solcher Umstand liege in Os wahrnehmbaren, lauten Atemgeräuschen, die bei Gesamtwürdigung des Rücktrittshorizonts zu einem unbeendeten Versuchs führen (RdNr. 17). Zugunsten des T ist anzunehmen, dass er nicht dachte, O würde ohne weiteres Zutun infolge der Kopfverletzungen sterben.
8. Kann T einem Teil der Literatur zufolge nicht mehr zurücktreten, weil er sein außertatbestandliches Ziel, den O zur Ruhe zu bringen, auch ohne Os Tod erreicht hat?
Ja, in der Tat!
Wenn der Täter sein außertatbestandliches Ziel auch ohne den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges erreicht, sei das bloße Aufgeben der weiteren Tatausführung keine Rücktrittsleistung, die die Straffreiheit des Täters rechtfertigen kann.
T hat sein außertatbestandliches Ziel auch ohne Os Tod erreicht. Obwohl er von weiteren Tritten auf Os Kopf abgesehen hat, wäre der Rücktritt nach einem Teil der Literatur deshalb ausgeschlossen.
Wenn es dem Täter nicht auf den tatbestandlichen Erfolg ankam, soll ihm nicht zu Gute gehalten werden, dass er etwas unterlässt, was er nie gewollt hat. Das bloße Aufgeben der weiteren Tatausführung bringe keine Gesinnungsumkehr zum Ausdruck, die für eine honorierungswürdige Rücktrittsleistung wesentlich sei.
9. Ist nach der Rspr. des BGH ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch auch bei außertatbestandlicher Zielerreichung möglich?
Ja!
Ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch sei auch dann möglich, wenn der Täter die Tat nur deshalb aufgibt, weil er sein außertatbestandliches Ziel schon erreicht hat.
T hat aus seiner Sicht nicht alles Notwendige und Mögliche getan, um O zu töten. Somit liegt ein unbeendeter Versuch vor und kann T nach Ansicht des BGH durch das freiwillige Aufgeben der Tat zurücktreten, obwohl er sein außertatbestandliches Ziel erreicht hat.
Der Wortlaut des §24 Abs. 1 Alt. 1 StGB fordere keinen besonders honorierbaren Verzicht, sondern schlicht das Aufgeben der Tat, also die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale. Der Täter solle auch gegenüber dem, der sein Opfer wissentlich oder absichtlich töten will und dennoch durch bloßes freiwilliges Aufhören vom unbeendeten Tötungsversuch zurücktreten kann, nicht schlechter stehen.
10. Hat T die weitere Tatausführung auch freiwillig aufgegeben?
Genau, so ist das!
BGH: Der Täter handelt freiwillig, wenn er weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollenden.
T hat ohne äußere Einflüsse und nicht aufgrund psychischer Unfähigkeit zur Tatvollendung von weiteren Tritten auf Os Kopf abgesehen. Er ließ von O ab, weil er davon ausging, er werde D in Zukunft nicht mehr belästigen. Die außertatbestandliche Zielerreichung ändert nichts an der Freiwilligkeit der Tataufgabe. Damit ist T strafbefreiend vom versuchten Totschlag zurückgetreten.Durch die Tritte gegen den Kopf hat er sich aber zumindest der gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB).
Wie prüfst Du den Rücktritt vom beendeten Versuch im Fall des § 24 Abs. 1 S. 2 StGB?
- Kein fehlgeschlagener Versuch
- Beendeter Versuch
- Keine Vollendung, ohne Zutun des Täters
- Rücktrittshandlung: Ernsthaftes Bemühen der Erfolgsabwendung (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB)
- Freiwilligkeit