Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2019
Entlassungstheorie bei mittelbarer Täterschaft
Entlassungstheorie bei mittelbarer Täterschaft
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T beauftragt Händler H, seinen Pkw schnellstmöglich für €75.000 zu verkaufen und gibt H den Fahrzeugschein. T verschweigt H aber, dass das Auto eine „Doublette“ ist und daher nur einen Marktwert von €50.000 hat. H vergisst, den Pkw zu inserieren. Daher kommt kein Kaufvertrag zustande.
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Einordnung des Falls
Dieses Urteil beschäftigt sich mit dem Eintritt in die Versuchsphase bei mittelbarer Täterschaft. Hierbei bekräftigt das Gericht die herrschende Entlassungstheorie. Danach beginne der Versuch, wenn der indirekte Täter die nach seiner Vorstellung erforderliche Einwirkung auf das Werkzeug abgeschlossen habe, sodass dieses dem Tatplan nach die Tat im unmittelbaren Anschluss ausführe. Zudem müsse das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet sein. Dabei betont der BGH die zeitliche Nähe zwischen Entlassung des Tatmittlers und der Tatbestandsverwirklichung sowie der damit einhergehenden konkreten Gefährdung des Tatobjekts. Ein unmittelbares Ansetzen läge also nicht vor, wenn es nach der Entlassung erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung kommen solle oder wenn eine konkrete Gefährdung des Rechtsguts unklar bleibe.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Erfüllt den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB), wer einen anderen durch Täuschung zu einer Vermögenshandlung veranlasst, die einen Vermögensschaden hervorruft?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat H sich des vollendeten Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Ist der versuchte Betrug strafbar (§§ 263 Abs. 1, 2, 22 StGB)?
Ja!
4. Versucht eine Straftat, wer mit Tatentschluss unmittelbar zur Tat ansetzt (§ 22 StGB)?
Genau, so ist das!
5. Hatte H Tatentschluss bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 263 Abs. 1 StGB?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Könnte Hintermann T sich wegen versuchten Betrugs in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben (§§ 263 Abs. 1, 2, 22 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?
Ja!
7. Hat der mittelbare Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) nach hM erst dann unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn der Vordermann seinerseits unmittelbar zur Tatbegehung ansetzt?
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Hat Hintermann T nach hM unmittelbar zur Begehung des Betrugs in mittelbarer Täterschaft angesetzt, obwohl Vordermann H den Pkw nicht inseriert hat (§§ 263 Abs. 1, 2, 22 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen der Begehung eines Delikts in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB)?
- Objektiver Tatbestand
- Kein Ausschluss der mittelbaren Täterschaft (bei eigenhändigen & echten Sonderdelikten)
- Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs durch Handlung des Tatmittlers
- Einwirkung des mittelbaren Täters auf den Tatmittler
- Zurechnung der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen durch den Tatmittler
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz des mittelbaren Täters
- Vorsatz bezüglich der Tatbestandsverwirklichung durch den Tatmittler
- Vorsatz bezüglich der die Tatherrschaft begründenden Umstände
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Alexander2
4.6.2022, 16:55:41
Was ist eine „Doublette“?
Nora Mommsen
7.6.2022, 12:00:02
Hallo Alexander2, eine Doublette im Kfz-Bereich ist ein Auto, das äußerlich einem anderen zugelassenen Fahrzeug entspricht, tatsächlich aber ein anderes ist, z.B. deliktischer Herkunft. Um dies zu verschleiern werden für die Doublette Papiere gefälscht unter Verwendung der Fahrzeugidentifikationsnummer des zugelassenen Wagens und so der Schein der Legalität geschaffen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Juragott
4.7.2022, 18:38:19
Ist ein Verkauf des PKW nicht immer ein eher ungewisses Ereignis ? Es kann durchaus längere Zeit dauern bis der PKW verkauft wird oder er wird gar nicht verkauft. Insoweit fällt es mir schwer hier eine unmittelbare Gefährdung des Rechtsguts anzunehmen.
Nora Mommsen
19.7.2022, 16:11:41
Hallo Juragott, das unmittelbare Ansetzen durch T war hier nicht der Verkauf sondern das Inserieren des PKW durch H. Dadurch konnte auch schon eine konkrete Gefährdung eintreten, als dass Interessierte Dispositionen tätigen, die Fahrt (und damit Umkosten) zur Besichtigung auf sich nehmen etc. Es ist immer eine Frage des Einzelfalls und sicher auch anders vertretbar, aber vorliegend stellte sich T laut Sachverhalt vor das Auto werde "schnellstmöglich" verkauft. In seiner Vorstellung musste H daher bereits unmittelbar angesetzt haben. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Nora Mommsen
19.7.2022, 16:11:53
*Unkosten
CitiesOfJudah
10.1.2024, 11:31:00
Aber H hat den Wagen doch noch gar nicht inseriert, demnach kann das Inserieren ja gar nicht das unmittelbare Ansetzen sein. Ich hab es eher so verstanden, dass die T bereits unmittelbar angesetzt hat, indem ihre Einwirkungshandlung auf H abgeschlossen ist und sie davon ausging, die "Sache" nimmt jetzt ihren Lauf. Oder hab ich einen Denkfehler?
GO
14.1.2024, 16:14:59
Hallo, so wie du habe ich es auch verstanden.
Daniel (blabab45)
12.7.2024, 09:30:26
Maßgeblich beim Versuch ist ja stets die Vorstellung des Versuchstäter vom Geschehensablauf. Daher ist auch hier relevant, wann nach der Vorstellung der T eine Betrugshandlung durch den H stattfindet und nicht, wann und ob diese tatsächlich stattfindet: „Ein
unmittelbares Ansetzenist vielmehr im Regelfall schon gegeben, wenn der Tatmittler vom Täter in der Vorstellung entlassen wird, dieser werde die tatbestandsmäßige Handlung in engem Zusammenhang mit dem Abschluss seiner Einwirkung vornehmen. Jedoch fehlt es an einem unmittelbaren Ansetzen des Täters zur Begehung der Tat bereits durch den Abschluss seiner Einwirkung auf den Tatmittler, wenn dies erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung führen SOLL oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann es die GEWÜNSCHTE Folge hat, also wann eine konkrete Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts eintritt.“