Entlassungstheorie bei mittelbarer Täterschaft - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T denkt daran, wie H in ihrem Auftrag einen Betrug begeht.

T beauftragt Händler H, seinen Pkw schnellstmöglich für €75.000 zu verkaufen und gibt H den Fahrzeugschein. T verschweigt H aber, dass das Auto eine „Doublette“ ist und daher nur einen Marktwert von €50.000 hat. H vergisst, den Pkw zu inserieren. Daher kommt kein Kaufvertrag zustande.

Einordnung des Falls

Dieses Urteil beschäftigt sich mit dem Eintritt in die Versuchsphase bei mittelbarer Täterschaft. Hierbei bekräftigt das Gericht die herrschende Entlassungstheorie. Danach beginne der Versuch, wenn der indirekte Täter die nach seiner Vorstellung erforderliche Einwirkung auf das Werkzeug abgeschlossen habe, sodass dieses dem Tatplan nach die Tat im unmittelbaren Anschluss ausführe. Zudem müsse das geschützte Rechtsgut bereits in diesem Zeitpunkt konkret gefährdet sein. Dabei betont der BGH die zeitliche Nähe zwischen Entlassung des Tatmittlers und der Tatbestandsverwirklichung sowie der damit einhergehenden konkreten Gefährdung des Tatobjekts. Ein unmittelbares Ansetzen läge also nicht vor, wenn es nach der Entlassung erst nach längerer Zeit zur Tatbegehung kommen solle oder wenn eine konkrete Gefährdung des Rechtsguts unklar bleibe.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Erfüllt den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB), wer einen anderen durch Täuschung zu einer Vermögenshandlung veranlasst, die einen Vermögensschaden hervorruft?

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Genau, so ist das!

Der objektive Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB setzt die folgenden Tatbestandsmerkmale voraus: Eine Täuschung ist die ausdrückliche oder konkludente Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel bewusster Irreführung. Irrtum bezeichnet das Auseinanderfallen von subjektiver Vorstellung und objektiver Wahrheit. Eine Vermögensverfügung ist jedes bewusste, freiwillige Handeln, Dulden oder Unterlassen, durch welches das Vermögen unmittelbar gemindert wird. Ein Vermögensschaden ist ein negativer Saldo, der im Wege einer Gesamtbetrachtung aller Zu- und Abflüsse berechnet wird.

2. Hat H sich des vollendeten Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs setzt zunächst die Erfüllung aller Merkmale des objektiven Tatbestands voraus. H hatte vergessen, den Pkw zu inserieren. Deshalb kam auch kein Kaufvertrag mit einem Dritten zustande. Folglich fehlt es bereits an den objektiven Tatbestandsmerkmalen des Irrtums, der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens. Deshalb scheidet eine Strafbarkeit wegen vollendeten Betrugs bereits aus.

3. Ist der versuchte Betrug strafbar (§§ 263 Abs. 1, 2, 22 StGB)?

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Ja!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Der Betrug ist gemäß § 263 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft und ist damit ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB). Der versuchte Betrug ist laut Gesetz strafbar (§ 263 Abs. 2 StGB).

4. Versucht eine Straftat, wer mit Tatentschluss unmittelbar zur Tat ansetzt (§ 22 StGB)?

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Genau, so ist das!

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Subjektiv setzt der Versuch Tatentschluss voraus. Dieser liegt vor, wenn der Täter endgültig entschlossen ist, den Tatbestand zu verwirklichen. Objektiv setzt der Versuch einer Straftat unmittelbares Ansetzen zur tatbestandlichen Handlung voraus. Dabei ist auf die Vorstellung des Täters abzustellen. Der Täter hat unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn er subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte zur Tatbestandsverwirklichung führen.

5. Hatte H Tatentschluss bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 263 Abs. 1 StGB?

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Nein, das trifft nicht zu!

Der für den Versuch erforderliche Tatentschluss setzt Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale voraus. Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich (Tatbestandsirrtum) (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). H wusste nicht, dass der Pkw eine „Doublette“ ist. Er unterlag einem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB) und handelte daher nicht vorsätzlich. H hat sich mangels Vorsatzes nicht wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht (§263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB).

6. Könnte Hintermann T sich wegen versuchten Betrugs in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht haben (§§ 263 Abs. 1, 2, 22 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?

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Ja!

Täter ist, wer die Tat selbst begeht (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB). Täter kann aber auch sein, wer die Tat durch einen anderen begeht (mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht selbst, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Tatmittlers“. Jemand begeht eine Tat „durch einen anderen“, wenn er die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Tatmittlers zurechenbar verursacht. Dies erfordert (1) einen eigenen Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Tatmittlers und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

7. Hat der mittelbare Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) nach hM erst dann unmittelbar zur Tat angesetzt, wenn der Vordermann seinerseits unmittelbar zur Tatbegehung ansetzt?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Der BGH unterscheidet zwei Konstellationen: (1) Im Grundsatz liegt ein unmittelbares Ansetzen des mittelbaren Täters bereits dann vor, wenn der mittelbare Täter seine Einwirkungen auf den Tatmittler abgeschlossen hat. Dies ist dann der Fall, wenn der Tatmittler vom Täter in der Vorstellung entlassen wird, der Tatmittler werde die tatbestandsmäßige Handlung in engem Zusammenhang mit dem Abschluss der Einwirkung des Täters vornehmen. (2) Anders ist es, wenn die Tatbegehung erst nach längerer Zeit beginnen soll oder der Beginn ungewiss ist. Dann fehlt es an der erforderlichen konkreten Gefährdung des angegriffenen Rechtsguts. In diesem Fall ist ein unmittelbares Ansetzen des Tatmittlers selbst erforderlich.Teilweise wird das unmittelbare Ansetzen dagegen entweder bereits bei der ersten Einwirkung auf den Tatmittler bejaht (Einzellösung) oder aber erst dann, wenn der Vordermann unmittelbar ansetzt (Gesamtlösung).

8. Hat Hintermann T nach hM unmittelbar zur Begehung des Betrugs in mittelbarer Täterschaft angesetzt, obwohl Vordermann H den Pkw nicht inseriert hat (§§ 263 Abs. 1, 2, 22 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Nach Vorstellung des Hintermanns T sollte Vordermann H den Pkw zeitnah nach der Beauftragung inserieren und verkaufen. Ts Einwirkungen auf H waren daher abgeschlossen. Es war daher nicht erforderlich, dass Vordermann H seinerseits unmittelbar zur Tatbegehung ansetzt. T hat sich wegen versuchten Betrugs in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht (§§ 263 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB).

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen der Begehung eines Delikts in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB)?

  1. Objektiver Tatbestand
    1. Kein Ausschluss der mittelbaren Täterschaft (bei eigenhändigen & echten Sonderdelikten)
    2. Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs durch Handlung des Tatmittlers
    3. Einwirkung des mittelbaren Täters auf den Tatmittler
    4. Zurechnung der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen durch den Tatmittler
  2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz des mittelbaren Täters
    1. Vorsatz bezüglich der Tatbestandsverwirklichung durch den Tatmittler
    2. Vorsatz bezüglich der die Tatherrschaft begründenden Umstände
  3. Rechtswidrigkeit
  4. Schuld

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