Unproblematischer Fall

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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H wohnt in einem Mehrfamilienhaus, das Bauherrin B auf ihr Grundstück gebaut und eine Wohnung darin an H vermietet hatte. B will das Haus nun zu Geld machen und unterteilt es daher in 5 Wohnungen. Bezüglich der Wohnung, in der H wohnt, schließt B einen notariell beurkundeten Kaufvertrag mit C in Höhe von €400.000. H erklärt, er wolle die Wohnung gern für €400.000 kaufen.

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Einordnung des Falls

Unproblematischer Fall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B und H haben kein Vorkaufsrecht vereinbart, sodass H keinen Anspruch auf ein solches haben kann.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Vorkaufsrecht kann nicht nur durch vertragliche Einigung (zB. schuldrechtliches Vorkaufsrecht nach §§ 463 ff. BGB oder dingliches Vorkaufsrecht nach §§ 1094 ff. BGB) entstehen, sondern auch kraft Gesetzes. Ein gesetzliches Vorkaufsrecht findet sich in § 577 BGB. B und H haben kein vertragliches Vorkaufsrecht vereinbart. H könnte aber einen Anspruch auf Abschluss des Kaufvertrags haben, wenn ihm ein gesetzliches Vorkaufsrecht zusteht.
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2. Ein Vorkaufsrecht nach § 577 BGB setzt voraus, dass Wohnungseigentum nach Überlassung an den Mieter begründet worden ist oder begründet werden soll und ein Vorkaufsfall eingetreten ist.

Ja!

Das Vorkaufsrecht nach § 577 BGB entsteht für den Mieter, wenn an Wohnräumen, die ihm zum Gebrauch überlassen wurden (z.B. durch Mietvertrag), Wohnungseigentum begründet wird und dieses sodann an einen Dritten verkauft wird (Vorkaufsfall). Wohnungseigentum kann auf zwei Arten entstehen. Entweder wird das bebaute Grundstück vom Eigentümer aufgeteilt (§ 8 WEG) oder die Miteigentümer einigen sich vertraglich über eine Aufteilung (§ 3 WEG). Nach § 577 Abs. 1 Var. 2 BGB reicht es auch aus, wenn das Wohneigentum nach Überlassung der Wohnräume begründet werden soll und dann an einen Dritten verkauft wird.

3. H ist Inhaber eines Vorkaufsrechts nach § 577 BGB und kann die Wohnung für €400.000 kaufen.

Genau, so ist das!

Das Vorkaufsrecht nach § 577 BGB entsteht für den Mieter, wenn an Wohnräumen, die ihm zum Gebrauch überlassen wurden (z.B. durch Mietvertrag), Wohnungseigentum begründet und dieses sodann an einen Dritten verkauft wird (Vorkaufsfall). B hat H per Mietvertrag Wohnräume entgeltlich zum Gebrauch überlassen. Danach wurde an diesen Wohnräumen erstmalig Wohnungseigentum nach § 8 WEG begründet, sodass über die Wohnung als Sondereigentum verfügt werden kann. B hat dann mit C einen Kaufvertrag über die Wohnung geschlossen. Damit steht B nach § 577 BGB ein Vorkaufsrecht zu und er kann die Wohnung für €400.000 kaufen.

4. Das Mietvorkaufsrecht schützt den Mieter insbesondere vor Kündigungen wegen Eigenbedarfs durch den Erwerber.

Ja, in der Tat!

Wird Eigentum veräußert, ist der Mieter grundsätzlich schon durch § 566 BGB geschützt, indem der Erwerber in den Mietvertrag des Veräußerers eintritt. Trotzdem wird dem Mieter in der Realität häufig wegen Eigenbedarf des neuen Eigentümers gekündigt. Wird an einer Wohnung, die dem Mieter bereits zum Gebrauch überlassen wurde, das erste Mal Sondereigentum begründet und dieses verkauft, kann der Mieter eine solche Kündigung vorbeugen, indem er die Wohnung nach § 577 BGB zu den gleichen Konditionen selbst kauft.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

12.3.2022, 12:36:07

Steht eure Antwort nach der Frage nach Eigenbedarfskündigungen (bei der übrigens ein "vor" zu viel steht) nicht in Widerspruch zu § 577 Abs. 1 S. 2?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2022, 13:43:48

Hallo Daniel, das müsstest Du mir noch einmal erklären. § 577 Abs. 1 S. 2 BGB betrifft ja den Sonderfall, dass der Vermieter die Wohnung an seine Familienangehörigen verkauft. Hier besteht kein Mietvorkaufsrecht. Im Regelfall wird die Wohnung aber an jemand Fremden verkauft. Dabei besteht die Gefahr, dass diese Person selbst einziehen möchte und eine Eigenbedarfskündigung aussprechen kann. Dem wird durch das Mietvorkaufsrecht theoretisch vorgebeugt. Praktisch werden aber die wenigsten Mieter die finanziellen Mittel haben, um hiervon tatsächlich Gebrauch zu machen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DAN

Daniel

14.3.2022, 19:23:08

Meine Frage bezieht sich auf die letzte Frage/These in diesem Fall. Laut der dortigen Antwort schütze das Vorkaufsrecht insbesondere vor Eigenbedarfskündigungen. Das leuchtet mir aber nicht ein. Denn sofern damit der Bedarf des Vermieters selbst gemeint ist, verkauft er die Wohnung ja gar nicht an sich selbst und es tritt gar kein Vorkaufsfall ein. Und sofern die Familien- oder Haushaltsangehörigen gemeint sind, ist ein Vorkaufsrecht ja durch § 577 I 2 BGB ausgeschlossen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2022, 19:51:30

Alles klar, danke Dir. Wie gesagt bezieht die These sich auf die Kündigung durch den Erwerber. Dieser könnte ja Eigenbedarf anmelden. Wenn der Mieter sein Vorkaufsrecht aber geltend macht, so wird er davor geschützt. Beste Grüße, Lukas

webuser 2014

webuser 2014

16.3.2023, 11:49:51

577 BGB auch bei Verkauf oder nur bei Sondereigentum? Hätte H das Haus nicht per Grundbuch aufgeteilt, hätte der Mieter immer noch Vorkaufsrecht? Was für folgen für den Verkäufer gibt es, wenn du er den Mieter den Verkauf nicht mitteilt bis es zu spät ist?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.3.2023, 12:08:58

Hallo webuser 2014, ein Vorkaufsrecht setzt zunächst voraus, dass NACH

Überlassung

an den Mieter Wohnungseigentum begründet wurde (§ 577 Abs. 1 BGB). Bestand das Sondereigentum zuvor bzw. wird ein gesamtes Haus verkauft, so fehlt es an den Voraussetzungen des Vorkaufsrechts. Das Vorkaufsrecht wirkt aber nicht dinglich bzw. kann vor Ausübung auch nicht gesichert werden, zB durch Vormerkung. Verstößt der Verkäufer gegen das Vorkaufsrecht und übereignet er das Grundstück an einen Dritten, so kommt es im Hinblick auf die Folge ein wenig auf das Verhalten des Dritten an. Ist dieser nicht bereit die Wohnung (ggfs. zu einem höheren Preis) an den Verkäufer zurückzuübereignen, so liegt für diesen

subjektive Unmöglichkeit

(§ 275 Abs. 1 BGB) vor. Er ist dann allerdings schadensersatzpflichtig. Dabei ist zu beachten, dass eine unvermietete Wohnung einen höheren Preis erzielt, als eine vermietete. Da der Mieter selbst bei einer Weiterveräußerung hätte ausziehen und die Wohnung unvermietet veräußern können, dürfte regelmäßig nach der

Differenzhypothese

ein Schaden zu bejahen sein (zu den Einzelheiten der Berechnung auch (MüKoBGB/Häublein, 9. Aufl. 2023, BGB § 577 Rn. 41). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Frau_An

Frau_An

23.9.2023, 19:10:12

Mir ist aufgefallen, dass die Zeichnung den Rollen im SV nicht entspricht ^^

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

2.2.2024, 12:10:48

Ich verstehe nicht wieso er laut Lösung sicher für 400.000 € die Wohnung kaufen kann. Nur, weil die anderen beiden sich darüber geeinigt hatten? Hätte doch gut möglich sein können dass Eigentümer und Vorkaufsberechtigter sich über eine ganz andere Summe z.B. 420.000 € geeinigt hätten oder spielt das hier keine Rolle?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

7.7.2024, 22:17:20

Hey, mit wirksamer Ausübung des Vorkaufsrechts kommt ein Vertrag zwischen noch Eigentümer und Vorkaufsberechtigten zu den gleichen Konditionen wie der Vertrag zwischen noch Eigentümer und dem dritten Käufer zustande § 464 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift über den Vorkauf findet laut § 577 Abs. 1 S. 3 auch in diesem Fall Anwendung. Dh der Vorkaufsberechtigte kann die Wohnung hier auch für die 400.000€ kaufen.


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