Wirklicher Wille (nicht) geäußert?

16. April 2025

14 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die G beobachtet, wie der Hund der Nachbarin N von dieser unbemerkt durch das offene Fenster nach draußen springt und davon rennt. Als G versucht, das Tier für die N wieder einzufangen, beißt der Hund sie in die Hand.

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Einordnung des Falls

Wirklicher Wille (nicht) geäußert?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G verlangt nun von N Ersatz der Heilbehandlungskosten für die Bisswunde. Scheitert ein Anspruch aus GoA bereits an den Grundvoraussetzungen aus § 677 BGB?

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 677 BGB setzen Ansprüche aus echter GoA (egal, ob berechtigt oder unberechtigt) voraus, dass ein Geschäftsführer (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen ausführt, (3) ohne vom Geschäftsherrn beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Das Einfangen des Hundes der N ist ein reines Geschäft der N und damit für G objektiv fremd. Der Fremdgeschäftsführungswille wird vermutet. N hat die G weder dazu beauftragt, noch war die G gegenüber N sonst dazu berechtigt. Vielmehr wusste N gar nicht, dass ihr Hund entwischt ist.
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2. Damit ein Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB besteht, muss die GoA berechtigt im Sinne des § 683 S. 1 BGB sein.

Ja!

Eine GoA ist nach § 683 S. 1 BGB berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist dabei stets vorrangig zu prüfen. Sein mutmaßlicher Wille wird erst relevant, wenn sein wirklicher Wille nicht ermittelbar ist, weil er diesen nicht zum Ausdruck gebracht hat. Der mutmaßliche Wille des Geschäftsherrn ergibt sich in der Regel aus seinem objektiven Interesse.

3. Wenn der wirkliche Wille des Geschäftsherrn nicht feststellbar ist, scheidet eine berechtige GoA aus (§ 683 S. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Wenn der wirkliche Wille des Geschäftsherrn nicht ermittelbar oder erkennbar ist, so ist dessen mutmaßlicher Wille entscheidend (§ 683 S. 1 BGB). Der mutmaßliche Wille wird aus objektiver Sicht bestimmt. Maßgeblich ist, ob der Geschäftsherr bei objektiver Betrachtung der gesamten Umstände mit der Geschäftsübernahme einverstanden gewesen wäre. Der mutmaßliche Wille entspricht daher regelmäßig dem Interesse des Geschäftsherrn (§ 683 S. 1 BGB).

4. Entspricht die Geschäftsführung dem zum Ausdruck gebrachten wirklichen Willen der N?

Nein!

Der wirkliche Wille des Geschäftsherrn ist der Wille, den dieser zum Zeitpunkt der Geschäftsübernahme entweder tatsächlich oder konkludent (aus den Umständen erkennbar) zum Ausdruck gebracht hat. Nicht erforderlich ist, dass dieser Wille gegenüber dem Geschäftsführer geäußert worden ist oder dann dieser Kenntnis von der Willensäußerung hat. Da N gar nicht bemerkte, wie ihr Hund entwischte, konnte sie auch keinen Willen bezüglich des Einfangens des Tieres äußern.

5. Ist die GoA hier berechtigt im Sinne des § 683 S. 1 BGB?

Ja, in der Tat!

Da der wirkliche Wille der N nicht feststellbar ist, kommt es auf ihren mutmaßlichen Willen an. Bei objektiver Betrachtung der Gesamtumstände wäre N mit dem Einfangen ihres unbemerkt entlaufenden Hundes durch G einverstanden gewesen. Daher entspricht das Einfangen ihrem mutmaßlichen Willen.

6. Kann G somit die Heilbehandlungskosten für die Bisswunde an ihrer Hand von N ersetzt verlangen (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB)?

Ja!

Nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat der Geschäftsführer einer berechtigten GoA einen Anspruch auf Ersatz derjenigen Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Nach h.M. zählen auch sog. risikotypische Begleitschäden als Aufwendungen im Sinne des § 670 BGB analog. Der Hundebiss ist ein typischer Personenschaden, der beim Einfangen eines Hundes entstehen kann. G hat somit einen Anspruch gegen N aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB auf Ersatz der Heilbehandlungskosten. Art und Umfang des Aufwendungsersatzanspruchs schauen wir uns später genauer an!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

15.6.2022, 15:46:02

Zieht man den Gedanken der risikotypischen Begleitschäden nicht aus § 110 Abs. 1 HBG analog?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.6.2022, 17:04:35

Hallo Rick-dich, nach gefestigter Rechtsprechung sind

risikotypische Begleitschäden

ersatzfähig. Überwiegend wird hierbei auf § 670 S. 1 BGB analog abgestellt (BeckOGK/Thole, 15.2.2022, BGB § 683 Rn. 39). §

110 HGB

wird dabei zur Bestimmung herangezogen, wann ein Schaden dem Auftrag zuzuordnen ist und § 670 HGB analog anzuwenden ist (so MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 670 Rn. 17). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Steinfan

Steinfan

28.3.2024, 19:23:32

Nach MoPeG § 716 I BGB nF.

Wesensgleiches Minus

Wesensgleiches Minus

24.1.2025, 14:46:54

Wie ist das objektive Interesse des Geschäftsherrn zu beurteilen, wenn der geschäftsführer für diesen eine schuld aus einem vertrag mit einem dritten tilgt (267 I BGB) und sich danach erst herausstellt, dass dieser vertrag ex-tunc nichtig ist? ist das objektive interesse aufgrund der ex-tunc wirkung dann zu verneinen?

rubenrubenruben

rubenrubenruben

19.2.2025, 09:58:46

Muss in der Normkette für den Anspruch auf Aufwendungsersatz zum Ausdruck gebracht werden, dass §

670 analog

angewandt wird?

flexxiero

flexxiero

11.3.2025, 13:00:09

Naja @[rubenrubenruben](244746), der § 683 S. 1 verweist ja inhaltlich auf den § 670. Daher liegt ja keine planwidrige Regelungslücke vor. Lieben Gruß

Kathi

Kathi

1.3.2025, 15:53:55

Hi, könnte der Anspruch aus der berechtigten GoA auch der Krankenkasse zustehen, die in der Regel die Behandlungskosten zunächst übernimmt?

LEO

leon.

4.4.2025, 12:09:04

Vorliegend soll zwar eine andere Thematik im Schwerpunkt behandelt werden, allerdings wäre ggf. ein Vertiefungshinweis auf § 833 zwecks venetzten Lernens noch sinnvoll :)


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