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Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2022

Fall zum Kein Abzug „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung (BGH, Urt. v. 13.5.2022 – V ZR 231/20): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Fall zum Kein Abzug „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung (BGH, Urt. v. 13.5.2022 – V ZR 231/20): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zum Kein Abzug „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung (BGH, Urt. v. 13.5.2022 – V ZR 231/20): zwei Frauen stehen an einem Tisch. Im Hintergrund ist ein Haus. Eine der Frauen unterschreibt einen Vertrag zur Hausveräußerung, obwohl die Kellerwände nass sind.
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Klassisches Klausurproblem

V veräußert an K 2010 ein bebautes Grundstück, auf dem ein 1979 errichtetes Haus steht. Als K einzieht sind – was V wusste – die Kellerwände durchfeuchtet, was auf einer mangelhaften Abdichtung der Kellerwände beruht. Die durchschnittliche Haltbarkeit einer Abdichtung beträgt 40 Jahre.

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Einordnung des Falls

Der BGH hatte in einem Fall zu entscheiden, ob „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung ein Abzug vorgenommen werden müsse oder nicht. Der Anwendungsbereich des Abzugs neu für alt ist auch bei einer nur fiktiven Abrechnung eröffnet. Denn der Schädiger kann nicht beeinflussen, ob die Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt wird oder nicht und der Geschädigte könnte dem Abzug dadurch ausweichen, dass er die Mängelbeseitigung unterlässt. Der Schadensersatz statt der Leistung tritt an die Stelle des Nacherfüllungsanspruchs. BGH: Ob ein Abzug stattfindet, hänge daher davon, ob sich der Käufer im Rahmen der Nacherfüllung auch an den Nacherfüllungskosten beteiligen müsste. Sonst bestünde ein Anreiz für den Verkäufer, die Nacherfüllung nicht durchzuführen, um beim folgenden Schadensersatzanspruch in den Genuss eines Abzugs neu für alt zu kommen. Wird im Kaufrecht ein mangelhaftes Teil durch ein Neuteil ersetzt, hat sich der Käufer an den Kosten dieser Nacherfüllung nicht zu beteiligten, sodass im Schadensersatzanspruch nichts anderes gilt (Grenze: § 439 Abs. 4 S. 2 BGB) (RdNr. 16).

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte K ein Schadensersatzanspruch für die Kosten der neuen neuen Mauerabdichtung aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zustehen?

Ja!

Übergibt der Verkäufer dem Käufer eine mangelhafte Sache, wandelt sich der Erfüllungsanspruch des Käufers (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) in einen Nacherfüllungsanspruch (§ 439 Abs. 1 BGB). Der Schadensersatz für die Kosten der Nacherfüllung tritt an die Stelle des ursprünglichen Nacherfüllungsanspruchs und ersetzt die Primärleistung, sodass § 281 BGB die einschlägige Anspruchsgrundlage ist.
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2. Liegen Schuldverhältnis, Pflichtverletzung und Vertretenmüssen iSv § 281 BGB vor?

Genau, so ist das!

K und V haben einen Kaufvertrag über das bebaute Grundstück geschlossen (§§ 433, 311 b Abs. 1 BGB). Das bebaute Grundstück war im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 446 S. 1 BGB) mangelhaft iSd § 434 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1–2 BGB, da die Kellerwände feucht und nicht ordnungsgemäß abgedichtet waren. V wusste von der mangelhaften Kellerabdichtung und hat diesen Mangel somit auch zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).

3. Ist der Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB ausgeschlossen, weil K dem V keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB setzt grundsätzliche eine Nacherfüllungsfrist voraus. Eine Fristsetzung ist aber bei endgültiger Erfüllungsverweigerung oder dem Vorliegen besonderer Umstände entbehrlich (§ 281 Abs. 2 BGB). Ein besonderer Umstand ist die arglistige Täuschung: Hat der Verkäufer bei Vertragsschluss arglistig getäuscht, ist die für eine Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage beschädigt. Dann hat der Käufer ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor eventuellen neuerlichen Täuschungsversuchen zu schützen. V kannte den Mangel und hat K nicht aufgeklärt, also arglistig getäuscht. K musste V keine Frist setzen (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB).

4. Kann K als Rechtsfolge grundsätzlich großen oder kleinen Schadensersatz verlangen?

Ja!

Beim großen Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) gibt der Käufer die Leistung zurück und verlangt Geldersatz in Höhe des Gesamtwerts der geschuldeten Leistung (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB). Beim kleinen Schadensersatz behält der Gläubiger die Leistung und fordert Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz der erbrachten und der geschuldeten Leistung (in der Regel die Kosten der Mängelbeseitigung).

5. Kann K erst Ersatz für die Mängelbeseitigung verlangen. wenn er die Abdichtungsarbeiten tatsächlich vornehmen lassen hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Schadensersatzrecht ist grundsätzlich auch die Ersatzmöglichkeit für fiktive Schadensbeseitigungskosten anerkannt (Umkehrschluss zu § 249 Abs. 2 S. 1 BGB). Auch im Rahmen der kaufvertraglichen Mängelgewährleistung, die sich schadensrechtlich nach § 251 BGB richtet, gibt es die fiktive Abrechnung. Denn im Unterschied zum Werkrecht gibt es im Kaufrecht keinen Vorschussanspruch (§ 637 Abs. 3 BGB). Ohne fiktive Abrechnung müsste der Käufer daher immer in Vorleistung treten, was nicht sachgerecht ist.

6. Muss sich der Geschädigte, wenn eine alte Sache zerstört und durch eine neue Sache ersetzt wird, regelmäßig den dadurch für ihn entstehenden Wertzuwachs anrechnen lassen?

Ja, in der Tat!

Der Schadensersatz soll den verursachten Schaden beseitigen, den Geschädigten im Vergleich zur Vermögenslage vor dem schädigenden Ereignis aber nicht besser stellen. Wird eine eine höherwertige als die beschädigte Sache als Ersatz geleistet, etwa weil bei der Reparatur beschädigte Altteile durch neuwertige Teile ersetzt werden, steht der Geschädigte besser da als vor dem Schadensfall. Die Differenz stellt grundsätzlich einen auszugleichenden Vorteil dar, soweit die Anrechnung nicht unzumutbar ist (sog. Abzug „neu für alt“).

7. Ist ein Abzug neu für alt ausgeschlossen, wenn der Geschädigte nur fiktive Mangelbeseitigungskosten geltend macht?

Nein!

Der Anwendungsbereich des Abzugs neu für alt ist auch bei einer nur fiktiven Abrechnung eröffnet. Denn der Schädiger kann nicht beeinflussen, ob die Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt wird oder nicht und der Geschädigte könnte dem Abzug dadurch ausweichen, dass er die Mängelbeseitigung unterlässt.

8. Findet ein Abzug neu für alt auch beim Schadensersatz statt der kaufrechtlichen Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 3, 281 BGB) immer statt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Schadensersatz statt der Leistung tritt an die Stelle des Nacherfüllungsanspruchs. BGH: Ob ein Abzug stattfindet, hänge daher davon, ob sich der Käufer im Rahmen der Nacherfüllung auch an den Nacherfüllungskosten beteiligen müsste. Sonst bestünde ein Anreiz für den Verkäufer, die Nacherfüllung nicht durchzuführen, um beim folgenden Schadensersatzanspruch in den Genuss eines Abzugs neu für alt zu kommen. Wird im Kaufrecht ein mangelhaftes Teil durch ein Neuteil ersetzt, hat sich der Käufer an den Kosten dieser Nacherfüllung nicht zu beteiligten, sodass im Schadensersatzanspruch nichts anderes gilt (Grenze: § 439 Abs. 4 S. 2 BGB) (RdNr. 16).

9. Mindert sich Ks Schadensersatzanspruch dadurch, dass die die Abdichtung der Kellerwände zum Zeitpunkt des Kaufes bereits 30 Jahre alt war?

Nein, das trifft nicht zu!

V ist gem. § 439 Abs. 1 BGB zur Nacherfüllung verpflichtet. Eine Kostenbeteiligung des K sieht das Gesetz nicht vor; vielmehr weist § 439 Abs. 2 BGB etwaige Mehrkosten dem Verkäufer zu. Ein Abzug neu für alt findet daher auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nicht statt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ASA

asanzseg

22.2.2023, 11:23:47

Hi! Ich finde den Verlauf der Fragen ein wenig bis sehr verwirrend. Ihr wollt uns erst auf den Abzug im Rahmen des Schadens bei alt gegen neu aufmerksam machen, wobei ihr davor die AGL im Rahmen des Gewährleistungsrechts prüft. Die Frage „wird eine alte Sache zerstört und durch eine neue Sache ersetzt, muss sich der Geschädigte…“ ist allgemein gefasst. Hier wollt ihr auf den Grundsatz der Naturalrestitution bzw. der Beschränkung des Schadens wenn der Gläubiger danach ein „mehr erhält“ als er erhalten hätte wenn die Sache mangelfrei gewesen wäre ( allgemeine Schadenslehre). Und dann springt ihr in den Fragen aber wieder zurück und sagt ja aber bei der SE statt der Nacherfüllung gilt eine Ausnahme? Also ist das demnach nur im Rahmen von Se statt der Leistung vor Gefahrübergang bei dem der Grundsatz alt gegen neu gilt? Und ab jetzt nicht im Rahmen des Gewährleistungsrechts ? ( ich nehme an für werklieferungvertrag nach 650 I gilt dieser Grundsatz dann auch? Liebe grüße

ASA

asanzseg

22.2.2023, 11:38:53

Ich füge noch einen Gedanken hinzu. Der BGH sagt in seiner Entscheidung, es wird dann nicht alt gegen Neu- Grundsatz angewandt, wenn der SE statt der Leistung-Anspruch vollumfänglich den der Nacherfüllung umfasst. Ist zB der Mangel aber bspw. an der Anzeige des sonst mangelfreien Heizungskessel (20 Jahre alt) und wird aufgrund des Alters keine Anzeige mehr auffindbar sein die zu diesem Modell passt sodass das Ganze ausgetauscht werden muss gegen ein neues Modell. Dann ist ja der Anspruch der nacherfüllung eigentlich nur auf die Anzeige beschränkt der Austausch ist also ein „mehr“ als der NE-Anspruch. Was passiert dann? Anwendung der Grundsätze neu gegen alt 🫣

paul

paul

28.2.2023, 10:03:02

Unmöglichkeit der Nachbesserung und

Unverhältnismäßigkeit

der Ersatzlieferung=> SE, Minderung

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.5.2023, 17:36:57

Hallo Asanzseg, vielen Dank für Deine Nachfrage. Der Aufbau des Falles verläuft hier entlang der Prüfungsstruktur einer Klausur. Als Einstieg wird hier insoweit die entsprechende Anspruchsgrundlage gewählt (§§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB), die wesentliche Musik spielt dann aber bei der Frage des Umfangs des Schadens. Die zentrale Aussage des Urteils ist hier, dass letztlich das Gewährleistungsrecht den vom BGH aufgestellten Grundsatz "Abzug neu für alt" (vgl. erstmals BGH, Urt. v. 24.3.1959 - VI ZR 90/58 = BGHZ 30, 29 = NJW 1959, 1078) überlagert. Der Gedanke ist dabei folgender: Wenn dem Geschädigten ein Anspruch auf Nacherfüllung zusteht und er bei erfolgreicher Nacherfüllung besser stünde als zuvor, dann müsse die wertmäßige Differenz auch beim Schadensersatz unberücksichtigt bleiben. Andernfalls wäre es ja für den Gewährleistenden vorteilhafter, den Kunden auf den Schadensersatz zu verweisen, wenn er sich hier gegebenenfalls eine Vorteilsausgleichung anrechnen lassen muss. Entsprechend gehen wir hier von dem Grundsatz (neu für alt) zur Ausnahme (wenn Schadensersatz an die Stelle der Nacherfüllung tritt). Da auf den

Werklieferungsvertrag

die kaufrechtlichen Regelungen (auch zur Nacherfüllung) gelten, gilt hier entsprechend nichts anderes. Und zu Deiner weiteren Nachfrage: In dem von Dir gebildeten Abwandlungsfall dürfte die Nacherfüllung vermutlich an § 439 Abs. 4 BGB scheitern (unverhältnismäßige Kosten). Sofern aber kein Anspruch auf Nacherfüllung besteht, sehe ich auch keinen Grund, den Grundsatz der Vorteilsausgleichung an dieser Stelle einzuschränken. Bei einem kompletten Austausch des Gaskessels aufgrund einer defekten Anzeige dürfte es insofern in der Tat angezeigt sein, einen Abzug "neu für alt" vorzunehmen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

HUG

Hugo

25.3.2023, 17:25:54

Hallo! Könnte man statt "Abzug Alt für Neu" auch einfach Vorteilsanrechnung sagen? Danke :-)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.3.2023, 16:27:52

Hallo Hugo, "neu für alt" ist eine Erscheinungsform der Vorteilsanrechnung, die eben dazu dient Bereicherung durch ein Schadensereignis beim Geschädigten zu verhindern. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

INDUB

InDubioProsecco

7.6.2023, 20:48:40

Was wäre der Anknüpfungspunkt im Wortlaut für den Abzug „neu für alt“? Die Subsumtion unter § 249 I 1 im Rahmen des „hat den Zustand herzustellen“?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.6.2023, 11:21:42

Hallo InDubioProsecco, genau so ist es. Die Wiederherstellung des früheren Zustands erfordert eine Vermögensvergleichung zwischen der Lage heute und der früheren Lage. Dem deutschen

Schadensrecht

liegt dabei die Wertung zugrunde, dass der Geschädigte zwar keinen Nachteil aus der Schädigung erleiden soll (Totalreparation). Er soll aber hierdurch am Ende auch nicht besser stehen, sodass Vorteile, die darüber hinausgehen sollen, ausgeglichen werden müssen. Sehr klar und prägnant hat der BGh dies u.a. in folgendem Urteil (unter 1 a) ) dargelegt: BGH, Urteil vom 24. 3. 1959 - VI ZR 90/58 (https://www.prinz.law/urteile/bgh/VI_ZR__90-58https://www.prinz.law/urteile/bgh/VI_ZR__90-58). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Steinfan

Steinfan

20.2.2024, 19:12:48

Ich glaube das ist missverständlich. Bei Schadensersatz statt der Leistung wird ja gerade nicht unter § 249 subsumiert, da Naturalrestitution ausgeschlossen ist (§ 281 IV). Vielmehr kommt § 251 zur Anwendung. § 249 kann hier lediglich zur Argumentation herangezogen werden. Eine Wortlautanknüpfung für die Vorteilsausgleichung gibt es nicht direkt. Die Vorteilsausgleichung wird bei der

Differenzhypothese

angesprochen und dort aus dem Bereicherungsverbot hergeleitet (vgl. BeckOGK/Brand BGB STAND 1.3.22 § 249 Rn. 290ff.). LG

suessmaus

suessmaus

12.2.2024, 12:20:29

in welcher Fallkonstellation müsste sich denn der Käufer an den Nacherfüllungskosten beteiligen?

AM

Anony Mous

19.4.2024, 17:44:47

würde mich auch interessieren!

A143

Anna C. 143

15.8.2024, 08:43:02

Mich tatsächlich auch :)

A143

Anna C. 143

15.8.2024, 08:44:29

Liebes Jura Fuchs Team was wären denn Fallkonstellationen, in denen ein Abzug neu für alt einschlägig wäre? Vielen Dank schonmal für die Antwort! Anna


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