Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2022

Kein Abzug „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung

Kein Abzug „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Fall zum Kein Abzug „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung (BGH, Urt. v. 13.5.2022 – V ZR 231/20): zwei Frauen stehen an einem Tisch. Im Hintergrund ist ein Haus. Eine der Frauen unterschreibt einen Vertrag zur Hausveräußerung, obwohl die Kellerwände nass sind.
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Klassisches Klausurproblem

V veräußert an K 2010 ein bebautes Grundstück, auf dem ein 1979 errichtetes Haus steht. Als K einzieht sind – was V wusste – die Kellerwände durchfeuchtet, was auf einer mangelhaften Abdichtung der Kellerwände beruht. Die durchschnittliche Haltbarkeit einer Abdichtung beträgt 40 Jahre.

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Einordnung des Falls

Der BGH hatte in einem Fall zu entscheiden, ob „Neu für alt“ bei Mangelbeseitigung ein Abzug vorgenommen werden müsse oder nicht. Der Anwendungsbereich des Abzugs neu für alt ist auch bei einer nur fiktiven Abrechnung eröffnet. Denn der Schädiger kann nicht beeinflussen, ob die Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt wird oder nicht und der Geschädigte könnte dem Abzug dadurch ausweichen, dass er die Mängelbeseitigung unterlässt. Der Schadensersatz statt der Leistung tritt an die Stelle des Nacherfüllungsanspruchs. BGH: Ob ein Abzug stattfindet, hänge daher davon, ob sich der Käufer im Rahmen der Nacherfüllung auch an den Nacherfüllungskosten beteiligen müsste. Sonst bestünde ein Anreiz für den Verkäufer, die Nacherfüllung nicht durchzuführen, um beim folgenden Schadensersatzanspruch in den Genuss eines Abzugs neu für alt zu kommen. Wird im Kaufrecht ein mangelhaftes Teil durch ein Neuteil ersetzt, hat sich der Käufer an den Kosten dieser Nacherfüllung nicht zu beteiligten, sodass im Schadensersatzanspruch nichts anderes gilt (Grenze: § 439 Abs. 4 S. 2 BGB) (RdNr. 16).

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte K ein Schadensersatzanspruch für die Kosten der neuen neuen Mauerabdichtung aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB zustehen?

Ja!

Übergibt der Verkäufer dem Käufer eine mangelhafte Sache, wandelt sich der Erfüllungsanspruch des Käufers (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) in einen Nacherfüllungsanspruch (§ 439 Abs. 1 BGB). Der Schadensersatz für die Kosten der Nacherfüllung tritt an die Stelle des ursprünglichen Nacherfüllungsanspruchs und ersetzt die Primärleistung, sodass § 281 BGB die einschlägige Anspruchsgrundlage ist.
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2. Liegen Schuldverhältnis, Pflichtverletzung und Vertretenmüssen iSv § 281 BGB vor?

Genau, so ist das!

K und V haben einen Kaufvertrag über das bebaute Grundstück geschlossen (§§ 433, 311 b Abs. 1 BGB). Das bebaute Grundstück war im maßgeblichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 446 S. 1 BGB) mangelhaft iSd § 434 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1–2 BGB, da die Kellerwände feucht und nicht ordnungsgemäß abgedichtet waren. V wusste von der mangelhaften Kellerabdichtung und hat diesen Mangel somit auch zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).

3. Ist der Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB ausgeschlossen, weil K dem V keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat?

Nein, das trifft nicht zu!

§ 281 Abs. 1 S. 1 BGB setzt grundsätzliche eine Nacherfüllungsfrist voraus. Eine Fristsetzung ist aber bei endgültiger Erfüllungsverweigerung oder dem Vorliegen besonderer Umstände entbehrlich (§ 281 Abs. 2 BGB). Ein besonderer Umstand ist die arglistige Täuschung: Hat der Verkäufer bei Vertragsschluss arglistig getäuscht, ist die für eine Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage beschädigt. Dann hat der Käufer ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor eventuellen neuerlichen Täuschungsversuchen zu schützen. V kannte den Mangel und hat K nicht aufgeklärt, also arglistig getäuscht. K musste V keine Frist setzen (§ 281 Abs. 2 Alt. 2 BGB).

4. Kann K als Rechtsfolge grundsätzlich großen oder kleinen Schadensersatz verlangen?

Ja!

Beim großen Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) gibt der Käufer die Leistung zurück und verlangt Geldersatz in Höhe des Gesamtwerts der geschuldeten Leistung (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB). Beim kleinen Schadensersatz behält der Gläubiger die Leistung und fordert Schadensersatz in Höhe der Wertdifferenz der erbrachten und der geschuldeten Leistung (in der Regel die Kosten der Mängelbeseitigung).

5. Kann K erst Ersatz für die Mängelbeseitigung verlangen. wenn er die Abdichtungsarbeiten tatsächlich vornehmen lassen hat?

Nein, das ist nicht der Fall!

Im Schadensersatzrecht ist grundsätzlich auch die Ersatzmöglichkeit für fiktive Schadensbeseitigungskosten anerkannt (Umkehrschluss zu § 249 Abs. 2 S. 1 BGB). Auch im Rahmen der kaufvertraglichen Mängelgewährleistung, die sich schadensrechtlich nach § 251 BGB richtet, gibt es die fiktive Abrechnung. Denn im Unterschied zum Werkrecht gibt es im Kaufrecht keinen Vorschussanspruch (§ 637 Abs. 3 BGB). Ohne fiktive Abrechnung müsste der Käufer daher immer in Vorleistung treten, was nicht sachgerecht ist.

6. Muss sich der Geschädigte, wenn eine alte Sache zerstört und durch eine neue Sache ersetzt wird, regelmäßig den dadurch für ihn entstehenden Wertzuwachs anrechnen lassen?

Ja, in der Tat!

Der Schadensersatz soll den verursachten Schaden beseitigen, den Geschädigten im Vergleich zur Vermögenslage vor dem schädigenden Ereignis aber nicht besser stellen. Wird eine eine höherwertige als die beschädigte Sache als Ersatz geleistet, etwa weil bei der Reparatur beschädigte Altteile durch neuwertige Teile ersetzt werden, steht der Geschädigte besser da als vor dem Schadensfall. Die Differenz stellt grundsätzlich einen auszugleichenden Vorteil dar, soweit die Anrechnung nicht unzumutbar ist (sog. Abzug „neu für alt“).

7. Ist ein Abzug neu für alt ausgeschlossen, wenn der Geschädigte nur fiktive Mangelbeseitigungskosten geltend macht?

Nein!

Der Anwendungsbereich des Abzugs neu für alt ist auch bei einer nur fiktiven Abrechnung eröffnet. Denn der Schädiger kann nicht beeinflussen, ob die Mängelbeseitigung tatsächlich durchgeführt wird oder nicht und der Geschädigte könnte dem Abzug dadurch ausweichen, dass er die Mängelbeseitigung unterlässt.

8. Findet ein Abzug neu für alt auch beim Schadensersatz statt der kaufrechtlichen Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 3, 281 BGB) immer statt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Schadensersatz statt der Leistung tritt an die Stelle des Nacherfüllungsanspruchs. BGH: Ob ein Abzug stattfindet, hänge daher davon, ob sich der Käufer im Rahmen der Nacherfüllung auch an den Nacherfüllungskosten beteiligen müsste. Sonst bestünde ein Anreiz für den Verkäufer, die Nacherfüllung nicht durchzuführen, um beim folgenden Schadensersatzanspruch in den Genuss eines Abzugs neu für alt zu kommen. Wird im Kaufrecht ein mangelhaftes Teil durch ein Neuteil ersetzt, hat sich der Käufer an den Kosten dieser Nacherfüllung nicht zu beteiligten, sodass im Schadensersatzanspruch nichts anderes gilt (Grenze: § 439 Abs. 4 S. 2 BGB) (RdNr. 16).

9. Mindert sich Ks Schadensersatzanspruch dadurch, dass die die Abdichtung der Kellerwände zum Zeitpunkt des Kaufes bereits 30 Jahre alt war?

Nein, das trifft nicht zu!

V ist gem. § 439 Abs. 1 BGB zur Nacherfüllung verpflichtet. Eine Kostenbeteiligung des K sieht das Gesetz nicht vor; vielmehr weist § 439 Abs. 2 BGB etwaige Mehrkosten dem Verkäufer zu. Ein Abzug neu für alt findet daher auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nicht statt.
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