Strafrecht

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Entscheidungen von 2021

Brandstiftung durch Zerstörung einer bereits unbrauchbaren Wohnung (BGH, Beschl. v. 24.08.2021 – 3 StR 247/21)

Brandstiftung durch Zerstörung einer bereits unbrauchbaren Wohnung (BGH, Beschl. v. 24.08.2021 – 3 StR 247/21)

25. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fabian (F) verbrennt alte Fotos seiner Ex in einem Eimer in seiner Wohnung, die Teil eines Mehrfamilienhauses ist. Versehentlich springt das Feuer auf die Wohnung über, sodass sie unbewohnbar wird. Wenige Tage später zündet F sie erneut an, um sich umzubringen. Sie wird noch weiter zerstört. F überlebt.

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Einordnung des Falls

Brandstiftung durch Zerstörung einer bereits unbrauchbaren Wohnung (BGH, Beschl. v. 24.08.2021 – 3 StR 247/21)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Mehrfamilienhaus ist taugliches Tatobjekt des § 306a Abs.1 Nr.1 StGB.

Genau, so ist das!

§ 306a Abs.1 Nr.1 StGB nennt als taugliches Tatobjekt der schweren Brandstiftung ein Gebäude, das der Wohnung von Menschen dient. Ein Gebäude ist ein Bauwerk, das durch Mauern und Wände begrenzt, mit dem Erdreich fest verbunden und zum Betreten durch Menschen bestimmt und geeignet ist. Eine Räumlichkeit dient als Wohnung von Menschen, wenn sie ihrer konkreten Verwendung nach zumindest vorübergehend zur Unterkunft vorgesehen ist und so zum Mittelpunkt des Aufenthalts gemacht wird. Das Mehrfamilienhaus dient als Wohnhaus mehrerer Parteien und ist somit ein Wohngebäude im Sinne des § 306a Abs.1 Nr.1 StGB.
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2. F hat das Haus in Brand gesetzt, indem er die Fotos anzündete und das Feuer übersprang.

Ja, in der Tat!

Eine Sache ist in Brand gesetzt, wenn sie in einer Weise vom Feuer erfasst ist, dass ein Weiterbrennen aus eigener Kraft möglich ist. Erforderlich ist das Brennen eines für den bestimmungsgemäßen Gebrauchs wesentlichen Teils. Nachdem F die Fotos angezündet hat, sprang das Feuer über, ein Weiterbrennen aus eigener Kraft war möglich. Zumindest in der Wohnung des F loderte das Feuer, sodass ein für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hauses wesentlicher Teil brannte.

3. Handelte F vorsätzlich?

Nein!

Der Täter hat Vorsatz, wenn er mit dem Willen zur Verwirklichung des Tatbestandes (voluntatives Element) in Kenntnis aller objektiven Tatumstände (kognitives Element) handelt. Das Feuer sprang versehentlich über, als F Fotos in seiner Wohnung anzündete. F hatte auch nicht billigend in Kauf genommen, dass das Feuer überspringt.

4. Durch das Entzünden der Fotos, hat sich F aber zumindest der fahrlässigen schweren Brandstiftung strafbar gemacht (§§ 306a Abs.1 Nr.1, 306d Abs.1 StGB).

Genau, so ist das!

Fahrlässig handelt, wer bei objektiver Vorhersehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Zudem muss dem Täter der Erfolg auch subjektiv vorwerfbar sein. Dies ist der Fall, wenn er subjektiv sorgfaltswidrig handelt, trotz subjektiver Vorhersehbarkeit des Erfolgs. F zündete Fotos in seiner Wohnung an. Es war vorhersehbar, dass das Feuer überspringen kann und so das Haus in Brand gesetzt wird. F hätte dies erkennen und verhindern können.

5. F könnte sich erneut nach § 306a Abs.1 Nr.1 StGB strafbar gemacht haben, indem er zurückkehrte und seine Wohnung anzündete.

Ja, in der Tat!

Nach § 306a Abs.1 Nr.1 StGB macht sich strafbar, wer ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient, in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört. Die schwere Brandstiftung ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt: die Brandstiftung wird in diesem Fall wegen ihrer generellen Gefährlichkeit für Leib und Leben von Menschen als strafwürdig angesehen. § 306a StGB bezweckt den Schutz von Menschen vor der Gefährdung durch Brände.

6. Genügt es für die Verwirklichung des Tatbestands, dass nur Fs Wohnung und nicht das Haus durch den Brand vollends zerstört wird?

Ja!

Ein teilweises Zerstören liegt bei einer Brandstiftung in einem Mehrfamilienhaus grundsätzlich vor, wenn ein zum selbständigen Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes durch die Brandlegung unbrauchbar geworden ist. Bei der Wohnung des F handelt es sich um einen zum selbstständigen Gebrauch bestimmten Teil des Wohngebäudes. Dadurch, dass F seine Wohnung anzündete, wurde diese vollends zerstört.

7. Können bereits unbewohnbare Wohnungen erneut zerstört werden?

Genau, so ist das!

BGH: Dass eine Wohnung bereits unbrauchbar ist, stehe ihrer weiteren Zerstörung nicht entgegen. § 306a StGB schütze nicht nur die Nutzbarkeit einer Wohnung, sondern auch die Sachsubstanz des Wohnobjekts. Danach könne eine aufgrund von Brandschäden nicht nutzbare Wohnung abermals durch Brandlegung zerstört werden, wenn die Sachsubstanz weiter beeinträchtigt wird und sich das Ausmaß der Schäden vertieft. Zudem gehen auch mit der erneuten Brandlegung auch erhebliche Personengefährdungen einher. Unabhängig davon, ob eine Wohnung bereits zuvor unbrauchbar war, drohten insbesondere allgemeine Gefahren für sonstige Hausbewohner oder Rettungskräfte. (RdNr.12).

8. F hat sich der schweren Brandstiftung strafbar gemacht, indem er seine Wohnung anzündete (§ 306a Abs.1 Nr.1 StGB).

Ja, in der Tat!

Obwohl die Wohnung bereits durch die erste Tat unbewohnbar war, ist nicht auszuschließen, dass sich dennoch Menschen zu Wohnzwecken in ihr aufhalten. Zudem wurde die Sachsubstanz des Hauses durch den zweiten Brand erneut angegriffen, wodurch sich die Intensität der Zerstörung erhöhte. Anders als bei der ersten Tat handelte F auch vorsätzlich. Er war weder gerechtfertigt noch schuldunfähig.Im Originalfall wurde F hinsichtlich dieser Tat freigesprochen, da zu seinen Gunsten Schuldunfähigkeit unterstellt wurde. Hier gibt der verkürzte Sachverhalt allerdings für die Annahme der Schuldunfähigkeit noch keine hinreichenden Anhaltspunkte.

9. Wird die fahrlässige schwere Brandstiftung hier im Rahmen der Gesetzeskonkurrenz von der vorsätzlichen schweren Brandstiftung verdrängt (materielle Subsidiarität)?

Nein!

Der Grundgedanke der Subsidiarität liegt darin, dass ein Straftatbestand nur dann zur Anwendung kommen soll, wenn nicht ein anderer vorgeht. Dieser Vorrang beruht insbesondere darauf, dass die vorgehende Strafnorm dasselbe Rechtsgut intensiver verletzt. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass die in Betracht kommenden Taten in Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander stehen. Bei der fahrlässigen schweren Brandstiftung und der schweren Brandstiftung handelt es sich um zwei Handlungen im natürlichen und im juristischen Sinne, sodass keine Tateinheit, sondern Tatmehrheit (§ 53 StGB) vorliegt. Damit tritt die fahrlässige schwere Brandstiftung nicht als (materiell) subsidiär zurück, sondern ist in den Schuldspruch aufzunehmen.Beispiel für materielle Subsidiarität: Die vollendete Körperverletzung verdrängt die vorangegangene versuchte Körperverletzung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TI

Timurso

6.2.2023, 20:46:46

Warum wird hier gesagt, dass sich Menschen in der unbrauchbar gewordenen Wohnung aufhalten könnten? Reicht es nicht aus, dass diese sich anderswo im Haus aufhalten könnten und durch die Brandstiftung gefährdet werden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.3.2023, 10:27:39

Hallo Timurso, ausgereicht hätte dies in der Tat auch. Der Hinweis des BGH bezog sich hier letztlich noch einmal auf den konkreten Fall. Denn nach den landgerichtlichen Feststellungen befanden sich zum Zeitpunkt des 2. Brandes in der eigentlich unbrauchbaren Wohnung noch die Zeugin M und ein Herr T, die in der Wohnung Alkohol und Kokain konsumierten (https://openjur.de/u/2361699.html). Insofern wurde hier nur klargestellt, dass allein die Tatsache, dass eine Wohnung objektiv als unbrauchbar gilt, nicht notwendigerweise heißt, dass sie leer ist und sich keine Menschen darin aufhalten. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

AS

as.mzkw

21.9.2024, 13:57:52

Käme auch eine Strafbarkeit nach § 306 I Nr. 1 StGB in Betracht? Das Mehrfamilienhaus steht ja nicht im Alleineigentum des Täters.


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