Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2021
Höchstrichterliche Entscheidung zum Studierendenschreck Alternativvorsatz
Höchstrichterliche Entscheidung zum Studierendenschreck Alternativvorsatz
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A steht vor B und N. Er schlägt mit einem Hammer in deren Richtung. Dabei geht er davon aus, entweder B oder N zu treffen und zu verletzen. Dass er beide trifft, hält er nicht für möglich. Er trifft B am Kopf. N wird nicht getroffen. Bevor A erneut zuschlagen kann, wird er von Passanten überwältigt.
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Einordnung des Falls
Der Dolus Alternativus zeichnet sich dadurch aus, dass der Wille des Täters sich auf zwei gesetzliche Tatbestände bzw. Taterfolge bezieht, die sich wechselseitig ausschließen. Wie miteinander verbundene, sich gegenseitig ausschließende Erfolge bei verschiedenen Opfern zu behandeln sind, war bisher nicht höchstrichterlich entschieden. Auch wenn der Täter es für ausgeschlossen halte, mehr als ein Delikt zu vollenden, schließe dies nicht den Vorsatz bezüglich beider Delikte, bzw. beiden Taterfolgen aus, so der BGH nun. Dies sei kein „Verstoß gegen Denkgesetze“. Beide Vorsätze könnten miteinander verbunden werden, solange sie nicht den sicheren Eintritt eines der Erfolge zum Gegenstand hätten.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat A den objektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von B verwirklicht (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB)?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. A könnte ferner der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von N strafbar sein. Ist der Versuch der gefährlichen Körperverletzung strafbar (§ 224 Abs. 2 StGB)?
Ja, in der Tat!
3. Hatte A Tatentschluss für eine versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil von N (§§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja!
4. Hat A sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil von N strafbar gemacht (§§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
5. Konsumiert die gefährliche Körperverletzung den Versuch auf Konkurrenzebene im Wege der Gesetzeseinheit?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Stehen die gefährliche Körperverletzung und die versuchte gefährliche Körperverletzung zueinander in Tateinheit (§ 52 StGB)?
Ja!
7. handelte A vorsätzlich hinsichtlich einer gefährlichen Körperverletzung von B?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jeylastar
27.7.2021, 10:36:57
Schreibt man in den Konkurrenzen einfach nur Tateinheit? Ich dachte, dass dann eine der Fälle (Spezialität, Subsidiarität oder
Konsumtion) zwangsweise gegeben sein muss
ri
28.7.2021, 17:14:33
Spezialität, Subsidiarität und Konsumption sind vor Feststellung der Idealkonkurrenz zu prüfen und schließen Tateinheit bei Vorliegen aus. Also erst ist zu prüfen, ob eine Handlung vorliegt, dann ob Spezialität, Konsumption oder Subsidiarität vorliegen und die nicht konsumierten oder durch Spezialität oder Subsidiarität ausgeschlossen Delikte stehen in Tateinheit.
jomolino
14.10.2021, 18:01:58
Zwei Fragen: Wie kann ich denn Vorsatz (bzgl N) ablehnen aber Tatentschluss bejahen? Widerspricht sich das nicht? Und generell heißt nicht
alternativvorsatz, dass gerade hinsichtlich beiden
Tatobjekten Vorsatz gegeben ist? Zweite Frage: seit Januar gab es keine aktuellen Urteile mehr aus diesem Jahr? Kommen die noch?
Lukas_Mengestu
15.10.2021, 09:48:32
Hi nomamo, vielen Dank für deinen Hinweis. Wir haben die Aufgabe noch einmal etwas überarbeitet, da das in der Tat etwas missverständlich ausgedrückt war. Richtig ist, dass A hier
Alternativvorsatzgegenüber beiden hatte und insoweit zunächst einmal gegenüber beiden potentiell eine vollendete gefährliche Körperverletzung hätte verüben können (je nachdem, wen er hier trifft). Nun stellt sich nur noch die Frage, wie man mit dem zweiten Opfer umgeht, das verschont geblieben ist. Während teilweise argumentiert wird, der Vorsatz sei ja nun "verbraucht", da der Täter nur davon ausging 1 Opfer zu treffen, hat der BGH sich der Auffassung angeschlossen, dass trotz des Umstandes, dass
Alternativvorsatzvorliegt, die Versuchsstrafbarkeit dennoch in Betracht kommt. Insoweit wird der Vorsatz quasi "verdoppelt". Andernfalls hätte man ihn "nur" 1x wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilen können. Dies hilt der BGH indes für unbillig. Denn "erst mit der tateinheitlichen Verurteilung" werde der Schuldgehalt "erschöpfend abgebildet und klargestellt" (vgl. RdNr. 14). Und auch bezüglich Deiner zweiten Frage kann ich Dich beruhigen. Unsere Redaktion sitzt auch hier bereits daran neue Fälle auszuarbeiten. Es gibt also auch dort zeitnah neue Fälle. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Klaus
29.12.2021, 22:46:31
Müsste A hinsichtlich der versuchten gefKV nicht strafbefreiend zurückgetreten sein?
Philipp Paasch
11.7.2022, 23:41:49
Wieso müsste er das?
Cathartic
14.2.2022, 12:41:08
A will nur die Rechtsgüter einer Person verletzten, nie die Rechtsgüter von zwei Personen gleichzeitig . Richtig? Gleichwohl verstoßen der BGH mit d h.L. gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, weil die Gefährdungssituation bzgl. einer weiteren Person dies aus normativen Gründen erfordert?
Lukas_Mengestu
15.2.2022, 19:56:39
Hallo Cathartic, der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch besagt ja, dass zwei einander in derselben Hinsicht widersprechende Aussagen nicht zugleich zutreffen können. Oftmals wird er auf eine Aussage und deren Verneinung bezogen. Ein Widerspruch liegt z.B. vor, wenn ich einserseits sage, "ich bin Forumsmoderator bei Jurafuchs" und "ich bin NICHT Forumsmoderator bei Jurafuchs". Es kann logischerweise nur eine von beiden Aussagen zutreffen. Beim dolus alternativus ist dieser Schluss in meinen Augen dagegen nicht zwingend. Denn nur weil der Täter den Erfolg nur einmal herbeiführen will, ist ja nicht zwingend gesagt, dass er diesen nicht zweimal versuchen möchte. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team
Cathartic
18.2.2022, 19:25:36
Hallo danke für die Rückmeldung. Meines Erachtens ist die Differenzierung zwischen Tatentschluss und Vorsatz nicht angezeigt, weil es in beiden Fällen um das Handlungsunrecht geht, welches auf den Willen zurückgeführt wird. Der Dolus-Alternativus beschreibt eine Entweder-Oder-Situation. Ich will A oder B treffen. Nicht beide gleichzeitig. Das Ergebnis des BGH bedeutet, dass er verurteilt wird, sowohl A als auch B gleichzeitig verletzten zu wollen. Sowohl Vorsatz als auch Tatentschluss treffen Aussagen hinsichtlich der Willensbildung. Damit verstößt der BGH gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Wenn er bzgl. A Dolus Vorsatz/Tatentschluss wegen alternativus bejaht, dann kann er bzgl. B den Vorsatz/Tatentschluss logisch zwingend nicht bejahen. Denn er kann ja nur einen Willen gebildet haben, eine Person verletzen zu wollen. Dies hat auch nichts damit zu tun, dass der Vorsatz "verbraucht" ist. Es ist ein formallogischer Verstoß.
Patrick
11.4.2022, 02:25:10
Hier wurde trotz Versuchsprüfung zu Lasten des A nicht dessen Rücktritthorizont erörtert. Bei einer Versuchsprüfung muss immer, zumindest kurz, der vermeintliche Rücktritt nach § 24 StGB angesprochen werden (ein Urteil, dass bei einer Versuchsstrafbarkeit nicht den Rücktrittshorizont des Angeklagten erörtert, ist meine ich auch reversibel).
Lukas_Mengestu
13.4.2022, 18:03:58
Hallo Patrick, vielen Dank für Deinen Hinweis. Wir haben den Fall entsprechend ergänzt. Im Originalfall war es tatsächlich so, dass bereits nach dem ersten Schlag Verwandte der Opfer in das Geschehen eingriffen und A überwältigten. Im Hinblick auf den Revisionsgrund musst Du differenzieren. Die rechtliche Würdigung der Ausgangsinstanzen ist häufig recht dürftig. Dies liegt daran, dass der BGH die rechtlichen Feststellungen komplett selbst überprüfen kann. Schwerpunkt der Urteile der Ausgangsinstanz ist insoweit die Feststellung des Sachverhaltes und die Beweiswürdigung. Kann anhand der Feststellungen des Sachverhaltes keine Aussage darüber getroffen werden, ob der Täter zurückgetreten ist oder nicht, so stellt dies in der Tat einen Revisionsgrund dar, der mit der sog.
Darstellungsrügeangegriffen werden kann. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jurafuchsles
4.7.2022, 08:58:55
Ich dachte bei einem Versuch muss der Tatentschluss auf die Vollendung der Tat gerichtet sein? Hier steht der bedingte Körperverletzungsvorsatz beinhaltet auch den Tatentschluss, sofern die Tat nicht vollendet werden kann. Wie passt das zusammen?
Lukas_Mengestu
4.7.2022, 16:58:01
Hallo jurafuchsles, der Kniff in der Begründung des BGH ist, dass der Täter hier grundsätzlich zwei Körperverletzungsvorsätze gehabt habe, da nicht sicher war, welche der beiden Körperverletzungen letztlich vollendet würde. In einer solchen Situation läge nicht nur 1 Körperverletzungsvorsatz hinsichtlich der vollendeten Tat vor, sondern sowohl Vorsatz bgzl. der vollendeten als auch bzgl. der versuchten Tat. Dies gelte selbst dann, wenn von Anfang an klar sei, dass es nicht möglich wäre, beide Taten zu verwirklichen. Dies ist aber wie dargestellt nicht unumstritten. Ein Teil der LIteratur sieht darin eine unzulässige Verdoppelung des Vorsatzes, da streng genommen der Täter eben nur den Vorsatz hatte, eine Körperverletzung zu begehen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
lennart20
13.3.2023, 16:05:56
Wenn er im vorliegenden Fall bevorzugt hätte, den B zu treffen, es aber auch in Kauf nimmt N zu treffen und letztendlich N trifft. Müsste man zusätzlich im subjektiven Tatbestand des vollendeten Delikts (an N) einen atypischen Kausalverlauf prüfen? Oder bin ich da auf der falschen Fährte?
Nora Mommsen
14.3.2023, 12:37:31
Hallo lennart20, danke für deine Frage. Dies ist kein Fall des atypischen Kausalverlaufs. In der von dir beschriebenen Konstellation hat A direkten Vorsatz B zu treffen und
Eventualvorsatzden N zu treffen. Da bedarf es keines Hilfskonstrukts wie dem atypischen Kausalverlauf. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team