Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2021

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke

9. Mai 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A bereitet sich im Nebenzimmer auf den geplanten Mord an B vor. B erwartet Böses.
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Klassisches Klausurproblem

Bei einem Treffen in seiner Wohnung will A die B erschießen, sollte sie nicht zu ihm zurückkehren. Als B an der Trennung festhält, verlässt A kurz das Wohnzimmer. B schwant Böses. A kehrt mit einer Pistole zurück, die er zuvor in der Flurkommode versteckt hatte, und schießt B tödlich in den Kopf.

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Einordnung des Falls

Der BGH hat in dieser Entscheidung den Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke präzisiert. Bei einer lang geplanten Tat könne es für die Beurteilung der Arglosigkeit nicht auf den Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs ankommen. Vielmehr sei der Zeitpunkt maßgeblich, in welchem der Täter das Opfer unter Ausnutzung der Arglosigkeit in eine hilflose Lage verbringt, die bis zur Tatausführung andauert. Hierbei ist wichtig, dass das Tatopfer bei Schaffung dieser Lage nicht mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnen müsse. Vielmehr genüge die Erwartung eines Angriffs gegen die körperliche Unversehrtheit.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A sich wegen Mordes strafbar gemacht, wenn er B heimtückisch getötet hat (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.Der Tatbestand des Mordes (§ 211 StGB) ist dem Totschlag (§ 212 StGB) vorangestellt. Die Rspr. behandelt den Mord aufgrund des unterschiedlichen Wortlautes („Mörder“ /„Totschläger“) als eigenständiges Tötungsdelikt. Für die h.L. stellt der Mord dagegen eine Qualifikation des Totschlags (§ 212 StGB) dar. Relevant wird die Unterscheidung, wenn mehrere an einer Tötung beteiligt sind und nicht alle Beteiligten besondere persönliche Merkmale aufweisen (Rspr: § 28 Abs. 1 StGB, h.L.: § 28 Abs. 2 StGB).
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2. War B zum Zeitpunkt des Schusses arglos und aufgrund dessen auch wehrlos?

Nein, das trifft nicht zu!

Arglos ist ein Opfer, das sich zu Beginn der Tötungshandlung keines erheblichen Angriffs gegen seine körperliche Unversehrtheit versieht. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Als A das Wohnzimmer verließ, rechnete B bereits damit, dass A ihr etwas antun würde. Zum Zeitpunkt des Schusses war sie daher nicht arglos.

3. Ist der ,aßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arglosigkeit ausschließlich der erste mit Tötungsvorsatz geführte Angriff?

Nein!

BGH: Grundsätzlich müsse die Arglosigkeit zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs vorliegen. Bei einer von langer Hand geplanten Tat könne das Heimtückische jedoch gerade in den Vorkehrungen liegen, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen. Ausreichend sei dann, dass der mit Tötungsvorsatz handelnde Täter das Opfer im Vorbereitungsstadium unter Ausnutzung von dessen Arglosigkeitin eine Lage aufgehobener oder stark eingeschränkter Abwehrmöglichkeiten bringt und die so geschaffene Lage bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht. Unerheblich sei dann, ob das Opfer noch vor Beginn des Angriffs die ihm drohende Gefahr erkennt (RdNr. 13).

4. Ist Heimtücke vorliegend ausgeschlossen, da B damit rechnete, dass A ihr etwas antun würde als dieser kurz das Wohnzimmer verließ?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Landgericht hatte die Arglosigkeit noch mit dem Hinweis abgelehnt, dass B vor dem ersten Schuss möglicherweise mit einem Angriff gerechnet habe.BGH:Bei einer geplanten Tat, könne die Heimtücke gerade in der Vorbereitung der Tat liegen, die bei der Ausführung fortwirkt. In diesem Fall komme es für die Arglosigkeit ausnahmsweise nicht auf den Angriffszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Vorbereitungshandlung an (RdNr. 13). A versteckte die Pistole bereits bevor B ihn besuchte in seiner Flurkommode. Mit dieser wollte er B erschießen, sollte diese nicht bereit sein, wieder zu ihm zurückzukehren. Als B den A in seiner Wohnung aufsuchte, ahnte sie nichts von As Vorhaben und war arglos. Unschädlich ist insoweit, dass sie als A das Wohnzimmer verließ mit einem Angriff rechnete.

5. War B wehrlos?

Ja, in der Tat!

Wehrlosigkeit liegt vor, wenn das Opfer aufgrund der Arglosigkeit in seinen Abwehrmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Das ist der Fall, wenn das Opfer daran gehindert ist, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder in sonstiger Weise auch durch verbale Äußerungen auf den Täter einzuwirken, um den Angriff zu beenden.Die Pistole befand sich für A in greifbarer Nähe, sodass B keine Zeit blieb, um zu fliehen oder Hilfe zu holen. Ihre Abwehrmöglichkeiten waren daher durch die von A im Voraus geschaffenen Tatbedingungen, stark eingeschränkt. B war aufgrund ihrer Arglosigkeit daher auch wehrlos.

6. Hat A bewusst die Arg- und Wehrlosigkeit der B in feindseliger Willensrichtung zur Tötung ausgenutzt?

Ja!

In subjektiver Hinsicht erfordert der Heimtückemord neben dem Tötungsvorsatz auch ein Ausnutzungsbewusstsein. Hierfür genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen hat und sie für seine Tatbegehung instrumentalisiert. Ihm muss bewusst sein, dass er einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen überrascht.A hatte geplant, die ihn ahnungslos besuchende B unter Ausnutzung ihrer wehrlosen Situation mit der bereitgelegten Pistole zu töten, sollte sie nicht zu ihm zurückkehren. A handelte daher mit dem erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein sowie in feindlicher Gesinnung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PPAA

Philipp Paasch

25.5.2022, 00:18:11

Wieder eine schöne Aufbereitung von euch, vielen Dank. Dieses Mal sogar mit besonders vielen Quellen, darüber freue ich mich besonders. Bei Frage 1 habt ihr jedoch geschrieben, der BGH nehme die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag aufgrund der Systematik vor. Dies findet so in den Entscheidungen keine Stütze. In BGHSt 1, 368, Urteil vom 09.11.1951 - 2 StR 296/51 (= JZ 1952, 85), wo sich der BGH das erste Mal mit dem Verhältnis Mord und Totschlag befasst, stellt er alleine auf den Wortlaut ab ("Mörder", "Totschläger"). Die Systematik scheint zwar seine Argumentation zu stützen, dieser widmet sich der BGH allerdings nicht, auch später nicht. Er geht vielmehr auf die Prämediationsl

ehre

des Reichsgerichts zurück, wonach 211, 212 StGB a.F. aufgrund von Überlegung/Vorbedacht abgegrenzt wurden, uns beide eigenständige Tatbestände waren.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.5.2022, 12:21:55

Hallo Phlipp, vielen Dank für Deinen sehr guten Hinweis. In der Tat hat der BGH die Trennung der beiden Tatbestände nicht explizit auf die Systematik gestützt, sondern in der von Dir zitierten Entscheidung maßgeblich auf den Wortlaut abgestellt. Die nachstehenden Entscheidungen begnügen sich in der Regel mit einem Bezug auf die Entscheidung (vgl. BGH NJW 2006, 1008). Wir haben dies in der Aufgabe entsprechend präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

25.5.2022, 20:22:55

Super, vielen Dank. Da hast du vollkommen Recht, wahrscheinlich kommt deswegen auch keine richtige Bewegung in den Streit rein. Heißt wohl abwarten, bis der Gesetzgeber sich bemüht.^^

Mi. S.

Mi. S.

8.9.2024, 14:23:28

Wie würde man ein entsprechendes Gutachten am besten in einer Klausur aufbauen?

LELEE

Leo Lee

9.9.2024, 12:57:12

Hallo Mi. S., vielen Dank für die sehr gute Frage! Beim Aufbau gibt es natürlich kein Patentrezept, weshalb es zunächst von Bedeutung ist, dass du bei der Heimtücke (dort bei der Arglosigkeit) überaupt erkennen lässt, dass du die verschiedenen Zeitpunkte erkennst. Dann würde ich zunächst den Schuss selbst prüfen und ablehnen; sodann den ersten mit Tötungs

vorsatz

geführten Angriff ablehnen und dann erst auf die "Voverlagerung" eingehen, also das was du bejahst :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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