Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2021
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bei einem Treffen in seiner Wohnung will A die B erschießen, sollte sie nicht zu ihm zurückkehren. Als B an der Trennung festhält, verlässt A kurz das Wohnzimmer. B schwant Böses. A kehrt mit einer Pistole zurück, die er zuvor in der Flurkommode versteckt hatte, und schießt B tödlich in den Kopf.
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Einordnung des Falls
Der BGH hat in dieser Entscheidung den Zeitpunkt für das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke präzisiert. Bei einer lang geplanten Tat könne es für die Beurteilung der Arglosigkeit nicht auf den Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs ankommen. Vielmehr sei der Zeitpunkt maßgeblich, in welchem der Täter das Opfer unter Ausnutzung der Arglosigkeit in eine hilflose Lage verbringt, die bis zur Tatausführung andauert. Hierbei ist wichtig, dass das Tatopfer bei Schaffung dieser Lage nicht mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnen müsse. Vielmehr genüge die Erwartung eines Angriffs gegen die körperliche Unversehrtheit.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat A sich wegen Mordes strafbar gemacht, wenn er B heimtückisch getötet hat (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. War B zum Zeitpunkt des Schusses arglos und aufgrund dessen auch wehrlos?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Ist der ,aßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arglosigkeit ausschließlich der erste mit Tötungsvorsatz geführte Angriff?
Nein!
4. Ist Heimtücke vorliegend ausgeschlossen, da B damit rechnete, dass A ihr etwas antun würde als dieser kurz das Wohnzimmer verließ?
Nein, das ist nicht der Fall!
5. War B wehrlos?
Ja, in der Tat!
6. Hat A bewusst die Arg- und Wehrlosigkeit der B in feindseliger Willensrichtung zur Tötung ausgenutzt?
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Philipp Paasch
25.5.2022, 00:18:11
Wieder eine schöne Aufbereitung von euch, vielen Dank. Dieses Mal sogar mit besonders vielen Quellen, darüber freue ich mich besonders. Bei Frage 1 habt ihr jedoch geschrieben, der BGH nehme die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag aufgrund der Systematik vor. Dies findet so in den Entscheidungen keine Stütze. In BGHSt 1, 368, Urteil vom 09.11.1951 - 2 StR 296/51 (= JZ 1952, 85), wo sich der BGH das erste Mal mit dem Verhältnis Mord und Totschlag befasst, stellt er alleine auf den Wortlaut ab ("Mörder", "Totschläger"). Die Systematik scheint zwar seine Argumentation zu stützen, dieser widmet sich der BGH allerdings nicht, auch später nicht. Er geht vielmehr auf die Prämediationsl
ehredes Reichsgerichts zurück, wonach 211, 212 StGB a.F. aufgrund von Überlegung/Vorbedacht abgegrenzt wurden, uns beide eigenständige Tatbestände waren.
Lukas_Mengestu
25.5.2022, 12:21:55
Hallo Phlipp, vielen Dank für Deinen sehr guten Hinweis. In der Tat hat der BGH die Trennung der beiden Tatbestände nicht explizit auf die Systematik gestützt, sondern in der von Dir zitierten Entscheidung maßgeblich auf den Wortlaut abgestellt. Die nachstehenden Entscheidungen begnügen sich in der Regel mit einem Bezug auf die Entscheidung (vgl. BGH NJW 2006, 1008). Wir haben dies in der Aufgabe entsprechend präzisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp Paasch
25.5.2022, 20:22:55
Super, vielen Dank. Da hast du vollkommen Recht, wahrscheinlich kommt deswegen auch keine richtige Bewegung in den Streit rein. Heißt wohl abwarten, bis der Gesetzgeber sich bemüht.^^
Mi. S.
8.9.2024, 14:23:28
Wie würde man ein entsprechendes Gutachten am besten in einer Klausur aufbauen?
Leo Lee
9.9.2024, 12:57:12
Hallo Mi. S., vielen Dank für die sehr gute Frage! Beim Aufbau gibt es natürlich kein Patentrezept, weshalb es zunächst von Bedeutung ist, dass du bei der Heimtücke (dort bei der Arglosigkeit) überaupt erkennen lässt, dass du die verschiedenen Zeitpunkte erkennst. Dann würde ich zunächst den Schuss selbst prüfen und ablehnen; sodann den ersten mit Tötungs
vorsatzgeführten Angriff ablehnen und dann erst auf die "Voverlagerung" eingehen, also das was du bejahst :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo