Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Niedrige Beweggründe bei übersteigertem Besitzdenken?
Niedrige Beweggründe bei übersteigertem Besitzdenken?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A und F trennen sich wegen As Eifersucht. A will F bei einer nächtlichen Autofahrt zurückerobern. Vorsorglich nimmt A ein Messer mit, um F notfalls an abgelegenem Ort zu töten. Die Versöhnung scheitert. Als sie das Auto in einer abgelegenen Gegend verlassen, sticht A 34 mal auf F ein. F verblutet.
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Einordnung des Falls
Niedrige Beweggründe kommen in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes sind dabei die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt. Auch Eifersucht kann einen niedrigen Beweggrund darstellen. Ein solcher komme nach dieser Entscheidung insbesondere in Betracht, wenn der Täter nach einer Trennung vom Partner dem anderen aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Könnte A sich des Mordes an F strafbar gemacht haben, indem A 34 mal auf F einsticht, so dass diese stirbt (§ 211 StGB)?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Könnte A das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht haben (§ 211 Abs. 2, Gr. 2, Alt. 1 StGB)?
Ja!
3. Anhand des Sachverhaltes kann nicht beurteilt werden, ob F bei Verlassen des Autos arglos war. Scheidet das Mordmerkmal der Heimtücke damit aus (§ 211 Abs. 2, Gr. 2, Alt. 1 StGB)?
Nein, das ist nicht der Fall!
4. War F im Zeitpunkt des Angriffes wehrlos (§ 211 Abs. 2, Gr. 2, Alt. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
5. Hat A hat die Arg- und Wehrlosigkeit von F bewusst ausgenutzt (§ 211 Abs. 2, Gr. 2, Alt. 1 StGB)?
Ja!
6. Könnte A zudem aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben (§ 211 Abs. 2, Gr. 1, Alt. 4 StGB)?
Genau, so ist das!
7. Handelte er zweifelsfrei aus niedrigen Beweggründen, da A die F aus Eifersucht tötete (§ 211 Abs. 2, Gr. 1, Alt. 4 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Isabell
26.2.2022, 14:50:09
Bei der Einstiegsfrage wäre ein Kasten mit dem Klausurhinweise wo der Obersatz vollständig dargestellt wird. Es ist nämlich gar nicht so leicht die "in dem"-Fortführung vollständig hinzubekommen. Ich habe bis vor kurzem immer das Wesentlichste - die Tötung des Opfers - komplett vergessen 🤦♀️ und mich über die Korrekturanmerkung "unvollständig" trotz wörtliche Wiedergabe der
Tathandlungimmer gewundert.
Cajetan
26.2.2022, 15:01:29
Meiner Meinung nach wäre es falsch, im Obersatz von der Tötung zu schreiben, weil es sich um ein (zugegeben deskriptives) Tatbestandsmerkmal handelt, das dort nichts zu suchen hat. Maximal sowas wie "indem er auf sie einstach, infolgedessen sie verstarb".
Lukas_Mengestu
1.3.2022, 10:08:39
Hallo ihr beiden, vielen Dank für eure Anmerkungen. Wir haben nun die Einstiegsfrage um die "indem"-Konstruktion erweitert. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team
frausummer
1.4.2022, 09:10:39
Ich meine mal in einem Fall wo der Täter auch ähnlich oft zugestochen (bzw. dort glaube mit einem Hammer auf den Kopf eingeschlagen) hatte, etwas von mangelnder Schuld wegen Blutrausches gelesen zu haben. Hätte man darüber hier auch nachdenken können?
Lukas_Mengestu
1.4.2022, 15:35:25
Hallo Frausummer, der BGH hatte sich hierzu einmal geäußert (BGH NJW 1955, 1077). Konkret ging es um einen Fall, in dem die Täterin zunächst mit dem Hammer auf eine Frau einschlug, dann in einen Blutrausch geriet und dann mit einem Beil auf sie einschlug. Die Frau verstarb. Die Vorinstanz hatte zunächst nur wegen versuchter Tötung verurteilt, weil nicht sicher war, was nun die genaue Todesursache war (Hammer/Beil). Der Fall ist mit diesem hier indes nur bedingt zu vergleichen. Insbesondere fehlen Anhaltspunkte, dass A im Laufe der Stiche schuldunfähig geworden ist und sich in einem Blutrausch befand. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Josi
17.4.2022, 12:46:26
Ich finde es ziemlich schwierig, hier die niedrigen Beweggründe zu verneinen. Eine solche Eifersuchtstat resultiert aus dem erwähnten Besitzdenken des Täters, der hier seine Exfreundin tötet, weil er sie objektiviert und als "sein Eigentum" betrachtet. Wenn er sie nicht haben kann, soll sie keiner haben. Das ist absolut frauenverachtend und spricht dem Opfer die Menschenwürde ab. Ich verstehe nicht, wieso die deutschen Gerichte in diesen Fällen noch immer nicht bereit sind, niedrige Beweggründe anzuerkennen. Eifersucht ist vielleicht noch nachvollziehbar - einen Menschen deshalb zu töten, absolut nicht.
Lukas_Mengestu
21.4.2022, 15:24:57
Hallo Josi, vielen Dank für deine guten und wichtigen Hinweise. Nicht zuletzt aus den von Dir genannten Gründen hat der BGH hier an dieser Stelle noch einmal klargestellt, dass ein "übersteigertes Besitzdenken" durchaus geeignet ist, als niedriger Beweggrund eingestuft zu werden. Im konkreten Fall waren die konkreten Tatsachenfeststellungen allerdings noch nicht ausreichend, um hier zu einem zweifelsfreien Ergebnis zu gelangen. U.a. deswegen hat der BGH die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen Grundsätzlich möchte ich allerdings zu bedenken geben, dass es durchaus seine Berechtigung hat, mit der Annahme "niedriger Beweggründe" generell sparsam umzugehen. Denn anders als der Totschlag gibt es beim Mord grundsätzlich keine Differenzierung im Hinblick auf das Strafmaß. Es gibt stets "lebenslänglich". Vor diesem Hintergrund, dem Umstand der Unschärfe des Tatbestandsmerkmals "niedrige Beweggründe" und der Tatsache, dass das Strafrecht stets "ultima ratio" sein muss, ist es insofern auch bei einer so schrecklichen Tat wie der Tötung eines anderen Menschen wichtig, nicht allzu vorschnell jegliche Differenzierungsmöglichkeit aufzugeben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Josi
21.4.2022, 15:30:35
Vielen Dank für die sehr ausführliche Antwort, Lukas! Das hilft sehr bei der Einordnung. Ich bin auch nicht dafür, jede derartige "Beziehungstat" als Femizid oder Mord zu pauschalisieren, aber gerade die von euch übernommene Wortwahl hat mich getriggert, weil es ja neuerdings immer mehr Diskussionen in diesem Bereich gibt. Danke jedenfalls, dass ihr euch so gründlich mit den Kommentaren im Forum beschäftigt - ein großer Bonus beim Jura-Lernen! :)
Cosmonaut
26.10.2022, 17:00:46
Hallo zusammen, Ich frage mich, wie sich das Vorliegen zweier Mordmerkmale (zB Heimtücke +
niedere Beweggründe) auf den Schuldspruch / Strafzumessung auswirken würden und was man zu Konkurrenzen schreiben müssten. Ich hätte gedacht, dass man in Tateinheit, 52, evtl. zwei MM verwirklichen kann, aber nach der Feststellung des Ersten, es dahinstehen kann, ob noch weitere verwirklicht wurden. Oder können Morde als das niederste aller Untaten in sich noch einmal unterschiedlich „nieder“ sein?
Lukas_Mengestu
26.10.2022, 18:23:01
Hallo Cosmonaut, Tateinheit (§ 52 StGB) kann nur zwischen verschiedenen Delikten bestehen. Aber selbstverständlich ist es möglich, dass durch einen Mord verschiedene Mordmerkmale verwirklicht werden können. Auf den ersten Blick könnte man nun meinen, dass es ja egal sei, wie viele Merkmale einschlägig sind, da in jedem Fall lebenslängliche Haft verhängt wird. Das ist aber nur mitnichten der Fall. Denn die Verwirklichung m
ehrerer Mordmerkmale kann insbesondere führen, dass die "besondere Schwere der Schuld" festgestellt wird. Diese ist durch eine "zusammenfassende Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit" zu ermitteln (vgl. BGH 22.11.1994 – GSSt 2/94, BGHSt 40, 360 (370) = NStZ 1995, 122) und führt wiederum dazu, dass die lebenslange Freiheitsstrafe nicht ohne Weiteres bereits nach fünfzehn Jahre ausgesetzt wird (vgl. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). Insoweit wirken sich m
ehrere Mordmerkmale durchaus auf die Strafzumessung aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Mi. S.
24.9.2024, 16:57:22
In Frage 5 befindet sich in der Fragestellung eine Wortwiederholung: Hat A hat die Arg- und Wehrlosigkeit von F bewusst ausgenutzt?
Linne_Karlotta_
7.10.2024, 11:35:56
Hallo Mi. S., vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team