Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Abgrenzung: Gemeingefährlichkeit / Mehrfachtötung
Abgrenzung: Gemeingefährlichkeit / Mehrfachtötung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T setzt seine Wohnung in einem Mehrparteienhaus aus Unzufriedenheit in Brand und verlässt das Haus. Er weiß, dass sich in den Wohnungen im Obergeschoss zum Tatzeitpunkt Menschen aufhalten und nimmt ihren Tod billigend in Kauf. Bewohner B stirbt an einer Rauchvergiftung.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Der BGH präzisiert in dieser Entscheidung das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit. Laut Definition müsse das gemeingefährliche Mittel zu einer Gefährdung einer unbestimmten Anzahl von Menschen an Leib und Leben führen, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Beschränkung eines Brandes auf ein Wohnhaus schließe dabei die Gemeingefährlichkeit nicht aus. Jede noch so allgemeine Gefahr habe der Natur der Sache nach irgendeine örtliche Grenze. Es komme darauf an, dass der Täter gerade aufgrund der Unbeherrschbarkeit des Mittels die Tötung von mehreren Menschen nicht ausschließen könne.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist Mörder, wer einen anderen Menschen tötet und dabei mindestens eines von neun „Mordmerkmalen“ erfüllt (§ 211 Abs. 2 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat T sich wegen Mordes strafbar gemacht, wenn er B mit gemeingefährlichen Mitteln getötet hat (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 3 StGB)?
Ja, in der Tat!
3. Wird allein anhand seiner abstrakten Gefährlichkeit beurteilt, ob ein Tatmittel gemeingefährlich ist?
Nein!
4. Könnte T das Tatbestandsmerkmal der Gemeingefährlichkeit erfüllen, wenn für ihn unbeherrschbar war, wie viele Personen durch den Brand getötet werden?
Genau, so ist das!
5. Ist die Gemeingefährlichkeit eines Mittels ausgeschlossen, wenn der Tötungsvorsatz des Täters allein auf konkretisierte Opfer bezogen war?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Stellt das Inbrandsetzen eines Mehrparteienhauses typischerweise ein gemeingefährliches Mittel dar?
Ja!
7. Stellt Ts Brandlegung ein gemeingefährliches Mittel dar?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
IsiRider
25.10.2022, 10:10:29
Bis wann galt die alte Rechtsprechung?
Lukas_Mengestu
25.10.2022, 17:15:59
Hallo IsiRider, der BGH hatte seine bisherige Haltung mit dieser Entscheidung jedenfalls im Hinblick auf die Brandlegung aufgegeben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
cl@ra
27.10.2022, 08:42:57
In dem ersten Vertiefungshinweis schreibt ihr, dass 212 der Grundtatbestand ist. Aber ist das nicht umstritten, weil die Rechtsprechung ein Exklusivitätsverhältnis annimmt? Vielleicht könnt ihr das noch ergänzen
Lukas_Mengestu
27.10.2022, 08:51:31
Hallo Cl@ra, vielen Dank für den Hinweis. Wir haben hier noch einmal präzisiert, dass es sich hierbei um die Ansicht der hL handelt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Philipp Paasch
20.1.2023, 01:17:48
Es steht nach wie vor drinnen, dass §212 der Grundtatbestand sei. Auch das ist streng genommen umstritten, aber bei dem Thema findet man das fast an jeder Ecke.
Ronie
3.11.2022, 08:06:23
Ist ja witzig; erst gestern haben wir den Fall im Schwerpunkt besprochen gehabt. Sehr gute Aufbereitung und Wiederholung! ☺️
Lukas_Mengestu
4.11.2022, 13:16:46
Vielen lieben Dank, Ronie! Das gebe ich gerne an die Erstellerin weiter! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sambadi
19.4.2023, 15:08:49
Kam teils auch im 1 Stex. in Berlin/Brandenburg ran. In Kombination mit dem
Versuch der Erfolgsqualifikation. Also er wollte einen Bewohner töten und wusste, dass sich noch weitere Personen in dem Haus befinden.
Lukas_Mengestu
21.4.2023, 17:12:19
Danke Sambadi! Wird getagged :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Bioshock Energy
13.9.2024, 13:07:30
Frage: wenn man jetzt bspw. § 306c StGB prüft muss ja zunächst der Grundtatbestand eines der in §§ 306 - 306b StGB genannten Delikte verwirklicht sein. Wenn jetzt bspw. sowohl § 306 I Nr. 1 Alt. 1, als auch § 306a I Nr. 1 in Frage kommen und beide einschlägig sind, auf welches der Grunddelikte stellt man dann ab? Schreibt man einfach, dass beide verwirklicht sind oder genügt es nur eins der beiden zu prüfen und zu bejahen? Und unabhängig davon: prüft man immer alle Grundtatbestände nebeneinander, wenn alle in Frage kommen oder gibt es untereinander ein Spezialitätsverhältnis?
Linne_Karlotta_
16.9.2024, 14:37:55
Hallo @[Bioshock Energy](207759), danke für deine Frage. Zunächst zum grundsätzlichen Verhältnis der Grundtatbestände §§ 306 - 306b StGB: Diese stehen gleichrangig nebeneinander, d.h. sie können nebeneinander einschlägig sein und verdrängen sich gerade nicht i.R.e. Spezialitätverhältnisses: Denn sie stellen jeweils auf verschiedene Schutzgüter bzw. Arten der Gefährdung ab: § 306 StGB schützt das fremde Eigentum, wobei es auch tatsächlich zu einer Sachbeschädigung durch den Brand gekommen sein muss. § 306 Abs. 1 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt und schützt Leib und Leben von Menschen, ohne das es zu einer konkreten Gefährdung gekommen sein muss. Daran anknüpfend verlangt § 306a Abs. 2 StGB eine konkrete Gefährdung der Gesundheit eines Menschen durch eine Handlung nach § 306 StGB. Es bietet sich an, die Delikte auch in dieser Reihenfolge zu prüfen. Liegt eine Strafbarkeit nach m
ehreren Grunddelikten vor, musst du auf Konkurrenzebene klären, wie diese zueinander stehen. Zwischen § 306 und §§ 306a Abs. 1 u. Abs. 2 StGB ist Tateinheit (§ 52 StGB) möglich, während nach der Rspr. § 306 Abs. Nr. 1 durch § 306a Abs. Nr. 1 verdrängt wird (vgl. BGH NJW 01, 765). (siehe hierzu Schönke/Schröder/Heine/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 306 RdNr. 24, beck-online). Anders sieht die Rspr. dies allerdings, wenn § 306a Abs. 2 StGB etwa wegen fehlendem Gefährdungserfolg nur versucht wird, da dann zur Klarstellung Tateinheit mit § 306 erforderlich sei. Zu deiner ersten Frage: Da du in der Klausur grds. ein vollständiges Gutachten schreiben musst, solltest du zunächst alle in Betracht kommenden Grundtatbestände prüfen. Im nächsten Schritt kannst du dann feststellen, dass jeweils die Erfolgsqualifikation des § 306c StGB erfüllt ist. Sollten in den Grunddelikten keine besonderen Probleme liegen, kannst du diese auch inzident in der Erfolgsqaulifikation des § 306c StGB prüfen. I.d.R. ist es aber sicherer, zunächst alle Grundtatbestände zu prüfen. Ich hoffe, ich konnte dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team
Bioshock Energy
16.9.2024, 15:00:34
Ja, vielen Dank, das mit den Konkurrenzen hat sehr geholfen!
Kurzhals
10.10.2024, 20:33:28
Zitat: "Der Täter muss durch die Tat eine unberechenbare Gefahr für andere schaffen. Dies ist der Fall, wenn er Tötungsmittel mit Breitenwirkung verwendet, die nicht nur gegen das unmittelbar angegriffene Opfer gerichtet sind, sondern auch UNBETEILIGTE DRITTE gefährden." Frage: Sind unter 'unbeteiligten Dritten' prinzipiell alle Menschen (die in der konkreten Situation nicht vom Täter unmittelbar anvisiert werden) zu verstehen, oder können bestimmte Personengruppen davon ausgeschlossen sein? Bspw. wenn die Dritten eine Nähebeziehung zu dem unmittelbar anvisierten Opfer pflegen bzw. in dessen Sozialsphäre stehen (etwa Familienmitglieder oder Bandenmitglieder)? Andersherum gefragt: Wann sind Dritte derart beteiligt, dass man ein
gemeingefährliches Mittelablehnen könnte?
Leo Lee
13.10.2024, 08:10:44
Hallo Kurzhals, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Das ist in der Tat eine sehr interessante Frage, die man sich nicht wirklich stellt im Studium. In der Literatur selbst findet man dazu nicht wirklich was. Wenn wir uns allerdings den Strafzweck dieses Mordmerkmals vor Augen führen (Nutzung eines besonders gefährlichen Mittels, was eben viele Menschen auf einmal gefährden kann) scheint es nicht unbillig, auch die dem Opfer nahstehenden Personen miteinzubeziehen, zumal diese Personen nicht identisch mit der Person des Opfers sind :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Kurzhals
13.10.2024, 17:29:58
Vielen Dank für die schnelle und einleuchtende Antwort! :)
FW
5.11.2024, 09:14:16
@[Kurzhals](109278) Da würde ich in der Klausur aufpassen, nicht alles Hals über Kopf zu machen. Ich denke man prüft das immer anhand des Einzelfalls anhand des
Vorsatzes des Täters. Wenn er von Anfang nur geplant hat, das rivalisierende Bandenmitglied zu töten, dann würde ich die Familie nur als Unbeteiligte Dritte einstufen. Wenn er jedoch aus Rache „seine gesamte Sippschaft“ auslöschen will, dann würde man dies wohl verneinen.