Abgrenzung: Gemeingefährlichkeit / Mehrfachtötung - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration: T läuft von einem Wohnhaus weg, in dem ein durch ihn angezündetes Zimmer in Brand steht.

T setzt seine Wohnung in einem Mehrparteienhaus aus Unzufriedenheit in Brand und verlässt das Haus. Er weiß, dass sich in den Wohnungen im Obergeschoss zum Tatzeitpunkt Menschen aufhalten und nimmt ihren Tod billigend in Kauf. Bewohner B stirbt an einer Rauchvergiftung.

Einordnung des Falls

Der BGH präzisiert in dieser Entscheidung das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit. Laut Definition müsse das gemeingefährliche Mittel zu einer Gefährdung einer unbestimmten Anzahl von Menschen an Leib und Leben führen, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Die Beschränkung eines Brandes auf ein Wohnhaus schließe dabei die Gemeingefährlichkeit nicht aus. Jede noch so allgemeine Gefahr habe der Natur der Sache nach irgendeine örtliche Grenze. Es komme darauf an, dass der Täter gerade aufgrund der Unbeherrschbarkeit des Mittels die Tötung von mehreren Menschen nicht ausschließen könne.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist Mörder, wer einen anderen Menschen tötet und dabei mindestens eines von neun „Mordmerkmalen“ erfüllt (§ 211 Abs. 2 StGB)?

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Genau, so ist das!

Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet (§ 211 Abs. 2 StGB). Der Tatbestand des Mordes (§ 211 StGB) ist dem Totschlag (§ 212 StGB) gesetzessystematisch vorangestellt. Grundtatbestand der Tötungsdelikte ist jedoch § 212 StGB. § 211 StGB stellt nach h.L. die Qualifikation des § 212 StGB dar. Die Rechtsprechung geht dagegen von zwei selbstständigen Tatbeständen aus.

2. Hat T sich wegen Mordes strafbar gemacht, wenn er B mit gemeingefährlichen Mitteln getötet hat (§ 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 3 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit liegt vor, wenn die Tat eine besondere Sozialgefährlichkeit aufweist. Der Täter muss durch die Tat eine unberechenbare Gefahr für andere schaffen. Dies ist der Fall, wenn er Tötungsmittel mit Breitenwirkung verwendet, die nicht nur gegen das unmittelbar angegriffene Opfer gerichtet sind, sondern auch unbeteiligte Dritte gefährden. Ausreichend ist eine Gefahrverursachung für mindestens drei Personen neben dem unmittelbaren Tatopfer. Der Grund für die strafrechtliche Ächtung der Gemeingefährlichkeit in § 211 Abs. 2 Gruppe 2 Var. 3 StGB liegt in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters.

3. Wird allein anhand seiner abstrakten Gefährlichkeit beurteilt, ob ein Tatmittel gemeingefährlich ist?

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Nein!

Gemeingefährlich ist ein Tötungsmittel, wenn es in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Anzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann. Es ist neben der objektiven Gefährlichkeit eines Mittels auch auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation abzustellen. Dabei sind die persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters zu berücksichtigen. Die Gefährdung muss dabei nicht eingetreten sein.

4. Könnte T das Tatbestandsmerkmal der Gemeingefährlichkeit erfüllen, wenn für ihn unbeherrschbar war, wie viele Personen durch den Brand getötet werden?

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Genau, so ist das!

Entscheidend für die Gemeingefährlichkeit ist, ob das gefährliche Mittel nach Freisetzung seiner Kräfte vom Täter beherrschbar ist. Das Mittel muss in seiner Wirkung geeignet sein, eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben zu verletzen. Der Umfang des konkreten Gefährdungsbereichs ist unerheblich. Dass das Mittel räumlich begrenzt ist, steht seiner Gemeingefährlichkeit nicht entgegen, da es in der Natur allgemeiner Gefahren liegt, örtliche Grenzen zu haben. Es liegt nicht im Einflussbereich des T, wie weit sich das Feuer ausbreitet und wie viele Menschen dadurch verletzt oder getötet werden. Objektiv hat er somit gemeingefährlich gehandelt.

5. Ist die Gemeingefährlichkeit eines Mittels ausgeschlossen, wenn der Tötungsvorsatz des Täters allein auf konkretisierte Opfer bezogen war?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH war eine Gemeingefährlichkeit ausgeschlossen, wenn der Täter sich gezielt gegen eine Mehrzahl von individualisierten Opfern richtet. Erforderlich war vielmehr, dass der Täter Zufallsopfer in Kauf nimmt. In Fällen der Brandlegung in einem Wohnhaus hat der BGH diesen Grundsatz nun aufgegeben. Es wäre wertungswidersprüchlich, den Täter, der eine konkrete Vielzahl von Opfern töten will, demjenigen gegenüber zu privilegieren, der auch Zufallsopfer in Kauf nimmt. Abzustellen ist daher darauf, ob für den Täter berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel getötet werden können.

6. Stellt das Inbrandsetzen eines Mehrparteienhauses typischerweise ein gemeingefährliches Mittel dar?

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Ja!

Es gibt aufgrund ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen die Beherrschbarkeit nur in Einzelfällen ausnahmsweise zu bejahen ist. Dazu gehören Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe, da der Täter bei ihnen die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand hat (RdNr. 12). Bei diesen ist eine gemeingefährliche Verwendung nur dann zu verneinen, wenn der Täter davon ausgeht, es könnten dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.

7. Stellt Ts Brandlegung ein gemeingefährliches Mittel dar?

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Genau, so ist das!

Bei Mitteln, die bereits aufgrund ihrer Eigenart gemeingefährlich sind, ist eine gemeingefährliche Verwendung nur dann zu verneinen, wenn der Täter davon ausgeht, es könnten dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.Brände sind bereits von Natur schwer kontrollilerbar. T war bewusst, dass sich im Haus noch Menschen aufhielten. Er hatte dabei weder kontrolliert, um welche Menschen (Bewohner oder Gäste) es sich handelte, noch sichergestellt, dass weitere Personen das Haus nach der Brandlegung nicht mehr betreten (zB herbeieilende Feuerwerhrkräfte). Er rechnete also damit, dass nicht konkretisierte Personen (Zufallsopfer) durch den Brand sterben würden. Es liegt somit kein Ausnahmefall vor. Vergiss in der Klausur nicht die weiteren in Betracht kommenden Delikte zu prüfen (insb. besonders schwere Brandstiftung (§ 306b StGB), schwere Brandstiftung (§ 306a StGB), ggfs. (versuchte) gefährlicher Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 StGB).

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