Öffentliches Recht

VwGO

Allgemeine Leistungs- und Unterlassungklage

Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage: Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis (Abwandlung)

Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage: Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis (Abwandlung)

1. Juli 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Renate Lohse (R) will zum 80. Geburtstag ihrer Mutter den Gemeindesaal der Stadt S mieten. Der Saal wird von einer stadteigenen GmbH betriebenen. Deren Geschäftsführer V weigert sich, an R zu vermieten. R will, dass S auf die GmbH einwirkt und die Vermietung ermöglicht.

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Einordnung des Falls

Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage: Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis (Abwandlung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. R begehrt den Erlass eines Verwaltungsakts. Die Verpflichtungsklage ist statthaft.

Nein, das trifft nicht zu!

Begehrt der Kläger eine Leistung der Verwaltung, muss zwischen der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) und der allgemeinen Leistungsklage unterschieden werden. Die Verpflichtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt. In den Fällen, in denen der Kläger ein sonstiges Verwaltungshandeln erreichen will, ist die allgemeine Leistungsklage statthaft. R will, dass S auf die ihr gehörende GmbH einwirkt, damit die GmbH einen Vertrag über die Nutzung des Gemeindesaals mit R schließt. Das begehrte Einwirken ist ein Realhandeln. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage.
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2. Damit die Klage zulässig ist, muss die Klägerin rechtsschutzbedürftig sein. Nach einer Ansicht ist sie das erst, wenn sie vor Klageerhebung einen Antrag bei der Behörde gestellt hat.

Ja!

Die allgemeine Leistungsklage ist nur dann zulässig, wenn dem Bürger keine anderen Möglichkeiten zu Verfügung stehen, um seine Rechte zu verwirklichen (= Rechtsschutzbedürfnis). Nach einer Ansicht besteht eine weitere Möglichkeit des Bürgers, seine Rechte zu verwirklichen, darin, einen Antrag bei der Behörde zu stellen. Dafür spricht die strukturelle Ähnlichkeit der allgemeinen Leistungsklage zur Verpflichtungsklage, bei der ein vorheriger Antrag bei der Behörde unstreitig erforderlich ist (vgl. § 68 Abs. 2 VwGO, § 75 S. 1 VwGO). Danach müsste R zunächst einen Antrag bzgl. des Einwirkens bei S stellen. Erst, wenn dieser Antrag abgelehnt wird, wäre R rechtsschutzbedürftig.

3. Nach einer anderen Ansicht muss der Bürger keinen vorherigen Antrag bei der Behörde stellen, um rechtsschutzbedürftig zu sein.

Genau, so ist das!

Es ist strittig, ob der Bürger rechtsschutzbedürftig ist, wenn er vor Klageerhebung keinen Antrag bei der Behörde gestellt hat. Nach einer Ansicht ist ein Antrag nicht erforderlich, weil die ausdrücklichen Regelungen für die Verpflichtungsklage auf die allgemeine Leistungsklage nicht anwendbar sind. Zudem folgt aus § 156 VwGO, dass eine Klage auch dann zulässig sein kann, wenn der Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Wenn R klagt, ohne dass die Behörde einen vorherigen Antrag abgelehnt hat, hat die Behörde keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Mangels anwendbarer Regelungen ist die Leistungsklage nach einer Ansicht dennoch statthaft (vgl. § 156 VwGO).

4. Die allgemeinen Grundsätze des Rechtsschutzbedürfnisses sprechen dafür, dass der Kläger vor Klageerhebung einen Antrag bei der Behörde gestellt haben muss.

Ja, in der Tat!

Zwar sind die Regeln der Verpflichtungsklage (§§ 68 Abs. 2, 75 S. 1 VwGO) auf die allgemeine Leistungsklage nicht anwendbar, allerdings stehen hinter diesen Normen allgemeine Grundsätze, die auch auf die Leistungsklage anwendbar sind. Sowohl der Gewaltenteilungsgrundsatz als auch die Prozessökonomie sprechen eher dafür, einen Bürger zunächst darauf zu verweisen, die Leistung von der Behörde zu fordern, bevor der Bürger Klage erhebt. R hat vor Klageerhebung keinen Antrag bei S gestellt. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Mit entsprechender Begründung kannst Du das natürlich anders vertreten. Es kann auch immer Ausnahmen geben, in denen die Forderung nach einem Antrag unbillig erscheint, z.B. wenn die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, dass sie nicht leisten wird.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Blackpanther

Blackpanther

2.2.2022, 19:15:07

Welche Ansicht vertritt das BVerwG?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.2.2022, 14:01:42

Hallo Blackpanther, das BVerwG hatte

diesen Fall

noch nicht zu entscheiden. In der Literatur werden die dargestellten Meinungen vertreten. So vertritt u.a. Peine (Klausurenkurs im Verwaltungsrecht, 6.A. 2016, RdNr. 264), dass es wohl nicht zwingend notwendig sei einen vorherigen Antrag zu stellen, während z.B. Pietzcker/Marsch (Schoch/Schneider, VwGO, 41.EL Juli 2021, § 42 RdNr. 170a) die allgemeinen Grundsätze auch auf die

Leistungsklage

anwenden und hier einen entsprechenden Antrag fordern. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Blackpanther

Blackpanther

4.2.2022, 17:38:59

Vielen Dank für die schnelle Antwort!

Carlium

Carlium

1.3.2025, 18:17:56

Gibt es da bei den Ländern Unterschiede? In einigen Bundesländern ist das

Vorverfahren

ja auch bei der

Verpflichtungsklage

entbehrlich. Führt man den Streit da trotzdem bzw anders?

prefi

prefi

18.3.2025, 17:10:46

Nur weil das

Vorverfahren entbehrlich

ist, entfällt nicht das potentielle Erfordernisses eines vorherigen Antrags. Der Antrag ist quasi eine Vorstufe zur Klage, unabhängig vom Widerspruchsverfahren. In den Bundeländern, in denen ein Widerspruchsverfahren nicht erforderlich ist, folgt auf die Ablehnung des Antrags bzw. die Untätigkeit der

Behörde

direkt die Klage.

Carlium

Carlium

18.3.2025, 17:26:27

Aaah vielen Dank. Da hat mein Kopf wohl den vorherigen Antrag und das Widerspruchsverfahren durcheinandergeschmissen. 🫶

Rahel

Rahel

31.5.2025, 12:18:57

Die besseren Gründe sprechen für das Antragserfordernis, aber dass § 156 VwGO explizit die Möglichkeit kennt, dass ein Beklagter keinen Anlass für die Klage bietet, muss mEn doch dann aufgelöst werden. Lässt sich argumentieren, dass § 156 VwGO dann greift, wenn sich erst nach Klageerhebung im Verfahren rausstellt, dass der Beklagte den Anlass nicht gegeben hat? Und bedeutet das für das

Rechtsschutzbedürfnis

dann, dass dieses grundsätzlich keine hohen Anforderungen hat, also der Kläger dieses nicht von vornherein beweisen muss, sondern ggf nur schlüssig darlegen? Ich denke an folgendes Beispiel: Kläger erhebt Klage und meint, er hätte einen nach hM erforderlichen Antrag gestellt. Dieser blieb unbeantwortet und er sei deswegen rechtsschutzbedürftig. In der Verhandlung stellt sich aber heraus, dass der Kläger ver

schuld

et hat, dass der Antrag der

Behörde

nie zuging.


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