Öffentliches Recht

VwGO

Feststellungsklage

Statthaftigkeit der Feststellungsklage: Feststellung eines Anspruchs auf Erlass einer untergesetzlichen Norm

Statthaftigkeit der Feststellungsklage: Feststellung eines Anspruchs auf Erlass einer untergesetzlichen Norm

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Weil Leseratte L immer das halbe Sortiment der Stadtbibliothek gleichzeitig ausleiht, will Bücherwurm B, dass die Anzahl der ausleihbaren Bücher in der Bibliothekssatzung auf 10 Bücher begrenzt wird. Die aktuelle Satzung trifft dahingehend keine Regelungen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit der Feststellungsklage: Feststellung eines Anspruchs auf Erlass einer untergesetzlichen Norm

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B will, dass die Satzung der Stadtbibliothek ergänzt wird. Ihr Klagebegehren richtet sich auf den Erlass von untergesetzlichen Normen.

Ja, in der Tat!

Die Regeln zur Nutzung von Stadtbibliotheken wird oftmals von der jeweiligen Stadt (= öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft) als Satzung erlassen. Diese fasst die Rechtsvorschriften zusammen, die eine öffentlich-rechtliche Körperschaft für den jeweiligen Regelungsbereich erlässt. B möchte, dass eine Regelung erlassen wird, nach der die Nutzer der Bibliothek nur 10 Bücher gleichzeitig ausleihen können.
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2. Nach einer älteren Meinung findet § 47 VwGO analog Anwendung, wenn der Kläger den Erlass von Normen begehrt.

Ja!

Früher war äußerst umstritten, welche Klageart statthaft ist, wenn der Kläger den Erlass von Normen begehrt (sog. Normerlassklage). Eine ältere Meinung wollte § 47 VwGO analog anwenden, da diese Regelung in Bezug auf Rechtsnormen die speziellere Verfahrensart sei. Nach der h.M. fehlt es allerdings an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Denn die allgemeine Feststellungsklage oder die allgemeine Leistungsklage würden hinreichenden Rechtsschutz gewähren. Die ältere Meinung ist deswegen abzulehnen.

3. Statthaft könnte die allgemeine Leistungsklage gerichtet auf den Erlass der konkreten Normen sein.

Genau, so ist das!

Nach einer Meinung ist die allgemeine Leistungsklage statthaft, wenn der Kläger den Erlass von Normen begehrt. Dafür spreche die Subsidiaritätsklausel (§ 43 Abs. 2 S. 1 VwGO), nach der die allgemeine Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage vorrangig ist. Zudem ist sie in den meisten Fällen rechtsschutzintensiver für den klagenden Bürger als die Feststellungsklage, weil der Bürger die konkret begehrte Leistung zugesprochen bekommt und diese Leistung vollstreckbar ist. Bei der Feststellungsklage hingegen würde nur eine abstrakte Feststellung getroffen, dass der Beklagte verpflichtet ist, Normen einer gewisser Art zu erlassen.

4. Nach der überwiegenden Rspr. ist die allgemeine Leistungsklage statthaft, wenn der Kläger den Erlass von Normen begehrt.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der überwiegenden Rspr. ist die Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft. Der Anspruch auf Normerlass sei ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis (§ 43 Abs. 1 VwGO). Zudem laufe die Subsidiaritätsklausel bei allgemeinen Leistungsklagen gegen Hoheitsträger leer. Denn es sei davon auszugehen, dass die Verwaltung wegen ihrer verfassungsmäßigen Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) die gerichtlich festgestellte Verpflichtung erfüllt. Für die Statthaftigkeit der Feststellungsklage - gerichtet auf die Feststellung, dass das Unterlassen eines Normerlasses rechtswidrig war - spricht auch das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Denn der Normgeber wird dadurch nicht zum Erlass einer konkreten Norm gezwungen.

5. Aus Bs Sicht ist die allgemeine Leistungsklage zwar rechtsschutzintensiver. Das Prinzip der Gewaltenteilung streitet jedoch für die Statthaftigkeit der Feststellungsklage.

Ja!

Die analoge Anwendung von § 47 VwGO scheidet mangels Regelungslücke aus. Als statthafte Klagearten für die Normerlassklage kommen die allgemeine Leistungsklage und die allgemeine Feststellungsklage in Betracht. Da der Kläger eine konkrete hoheitliche Handlung begehrt, ist die allgemeine Leistungsklage rechtsschutzintensiver, weil sie - anders als die Feststellungsklage - vollstreckbar ist. Die allgemeine Feststellungsklage präjudiziert demgegenüber die Entscheidung der Verwaltung weniger und trägt so dem Grundsatz der Gewaltenteilung besser Rechnung. Beide Ansichten sind vertretbar. Wichtig ist, dass Du beide Ansätze sowie die dazugehörigen Argumente darstellst!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TAME

Tamer

20.11.2021, 23:50:26

Dem Argument der Rechtsprechung "es sei davon auszugehen, dass die Verwaltung wegen ihrer verfassungsmäßigen Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 III GG) die gerichtlich festgestellte Verpflichtung erfüllt" (bisweilen auch "Ehrenmann-Theorie" genannt) lässt sich z.B. entgegnen, dass dies nicht zwingend der Realität entspricht. Denn sonst würde die VwGO etwa nicht den Paragraphen 172 benötigen.

Simon

Simon

15.12.2021, 23:55:12

Sehe ich auch so. Rechtsnormen sind letztlich ja immer Sollensvorschriften und legen fest, wie etwas sein soll - nicht unbedingt wie sich die Situation dann auch tatsächlich darstellt. Nur weil sich die Verwaltung an Recht und Gesetz zu halten hat, heißt das nicht, dass dem in jedem Einzelfall so ist. Die Ansicht der Rspr. kann man daher mE durchaus kritisch sehen.

ahimes

ahimes

5.11.2023, 17:12:09

Sehe ich genauso. "Der Anspruch auf Normerlass sei ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis". Ich kriege mit diesem Satz schon Bauchschmerzen. Aber so wie ich das jetzt verstanden habe, könnte man mit Begründung auch die andere Ansicht (Leistungsklage als satthafte Klageart) vertreten. ?!


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