Gefälschter Impfausweis

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Klassisches Klausurproblem

Anfang November 2021 besorgt sich A einen leeren Impfausweis und trägt eine falsche Covid-19-Impfung ein, um dies bei der Arbeit vorzulegen. Anfang Dezember legt er diesen seinem Arbeitgeber B vor, um einer Testpflicht zu entgehen. B wird skeptisch und meldet den Fall der Polizei. Gegen A ergeht ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss.

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Einordnung des Falls

Dieser Beschluss des LG Würzburg beschäftigt sich mit dem falschen Eintrag einer Corona-Schutzimpfung in einem Impfpass. Hierbei geht der Beschluss insbesondere auf Fragen der Strafbarkeit nach der alten und neuen Fassung des § 277 StGB (Unbefugtes Ausstellen von Gesundheitszeugnissen) und dem Verhältnis zur Urkundenfälschung (§ 267 StGB).

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Impfausweis des A ist eine unechte Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB.

Ja, in der Tat!

Eine Urkunde ist (1) eine verkörperte Gedankenerklärung, (2) die ihrem Inhalt nach geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen und (3) einen Aussteller erkennen lässt. Sie ist unecht, wenn der in ihr bezeichnete nicht der tatsächliche Aussteller ist. Der gefälschte Impfausweis des A enthält den Nachweis einer Impfung als geistigen Inhalt und lässt eine eintragungsberechtigte Person als Aussteller der Impfnachweise erkennen. Der Impfausweis ist dazu geeignet und bestimmt, im Rechtsverkehr Nachweis über die erhaltenen Impfungen zu erbringen, sodass eine Urkunde vorliegt. Diese lässt eine eintragungsberechtigte Person als Aussteller erkennen, obwohl A die Impfnachweise eingetragen hat. Die Urkunde ist somit auch unecht.
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2. Der auf A ausgestellte Impfausweis ist außerdem ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 277 StGB und damit eine besondere Form der Urkunde.

Ja!

Ein Gesundheitszeugnis ist eine Urkunde, die Erklärungen zum vergangenen, gegenwärtigen oder künftigen Gesundheitszustand eines (lebenden) Menschen enthält. Der Impfausweis enthält mit den eingetragenen Impfungen Informationen über die voraussichtlich gesteigerte Immunabwehr als Bestandteil des Gesundheitszustandes des Inhabers. Es handelt sich somit um ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 277 StGB.

3. Durch die Fälschung des Impfausweises Anfang November 2021 hat sich A nach § 277 StGB a.F. strafbar gemacht.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 277 StGB a.F. setzte zwingend voraus, dass der Täter ein gefälschtes Gesundheitszeugnis auch zur Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft gebraucht hat. Anfang November 2021 hat A den Impfausweis lediglich gefälscht und noch nicht gebraucht. Der Tatbestand des § 277 StGB a.F. ist daher nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt der Entstehung des § 277 StGB a.F. im 19. Jh. hatten Gesundheitszeugnisse eine deutlich geringere Aussagekraft aufgrund der damals eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten. Eine Fälschung wurde daher für weniger gravierend befunden und sollte geringer bestraft werden als sonstige Urkundenfälschungen.

4. Im Anwendungsbereich des § 277 StGB a.F. ist eine parallele Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung ausgeschlossen, da die Norm Sperrwirkung entfaltet.

Nein!

LG Würzburg: §§ 277-279 StGB a.F. regelten die Strafbarkeit des Umgangs mit unrichtigen Gesundheitszeugnissen abschließend. Da § 277 StGB a.F. erst den Gebrauch unter Strafe stellte, würde eine Anwendung des § 267 Abs. 1 StGB dazu führen, dass das bloße Herstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses schwerer bestraft würde als dessen Gebrauch. Ein Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB sei nach alter Rechtslage bei Vorliegen eines Gesundheitszeugnisses ausgeschlossen.Der BGH hat dieser Auffassung in einem anderen Verfahren mittlerweile eine Absage erteilt (BGH, Urt. v. 10.11.2022). § 277 StGB a.F. habe keine Sperrwirkung entfaltet. § 277 StGB a.F. sei weder nach dem Zweck der Vorschrift, der Systematik oder dem Willen des Gesetzgebers als privilegierende Spezialvorschrift anzusehen gewesen.Infolge der Änderung des § 277 StGB betrifft diese Streitfrage nur noch Taten vor dem 24.11.2021.

5. Durch die Vorlage des gefälschten Impfausweises bei seinem Arbeitgeber Anfang Dezember hat sich A nach § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB strafbar gemacht.

Genau, so ist das!

Eine Strafbarkeit nach § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht hat. Ein Gebrauch liegt vor, wenn die Urkunde dem zu Täuschenden zugänglich gemacht wird und dieser damit die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat. Der Täter muss einen Irrtum über die Unverfälschtheit der Urkunde erregen und der Getäuschte dadurch zu einem rechtserheblichen Verhalten bestimmen wollen.Bei dem gefälschten Impfausweis handelt es sich um eine unechte Urkunde. Indem A den Impfausweis B zur Kenntnisnahme vorgelegt hat, hat A die Urkunde gebraucht. Er wollte B dadurch veranlassen, ihn von der gesetzlich vorgeschriebenen Testpflicht zu befreien und handelte daher mit Täuschungsabsicht und auch sonst vorsätzlich.

6. Durch die Fälschung des Impfausweises hat sich A nach Auffassung nach § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB strafbar gemacht.

Ja, in der Tat!

Für eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB muss objektiv eine unechte Urkunde hergestellt werden. Subjektiv muss der Täter Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung aufweisen und zudem zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt haben.A hat vorsätzlich eine unechte Urkunde in der Absicht hergestellt, diese im Rechtsverkehr zu benutzen. Somit hat er den Tatbestand des § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB erfüllt.

7. A hat sich also der Urkundenfälschung in zwei Fällen strafbar gemacht (Realkonkurrenz).

Nein!

Das Verhältnis der ersten beiden Varianten zum Gebrauchen bestimmt sich nach der Tätervorstellung zum Zeitpunkt des Herstellens/Verfälschens: Hat der Täter im Zeitpunkt des Herstellens oder Verfälschens bereits ganz bestimmte Vorstellungen über die spätere Verwendung der Urkunde, so liegt nur eine einheitliche Urkundenfälschung vor. Wenn der Täter beim Herstellen/Verfälschen noch keine bestimmte Verwendung ins Auge gefasst hat, dann ist Tatmehrheit (Realkonkurrenz) anzunehmen.Sinn und Zweck der Fälschung war von vornherein, dass T den gefälschten Impfausweis bei seinem Arbeitgeber vorlegt. Damit hatte T schon ganz bestimme Vorstellungen über die Verwendung, sodass hier von einer einheitlichen Urkundenfälschung auszugehen ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

7.9.2023, 14:00:54

Aber zum heutigen Zeitpunkt würde sich der Täter des §

267 StGB

als auch § 277 StGB strafbar machen. Wenn der § 277 immer dazu führt, das §

267 StGB

auch erfüllt ist, dann frage ich mich, was der § 277 dann überhaupt für einen Sinn macht? Zudem ist der § 267 deutlich schärfer sanktioniert.

LELEE

Leo Lee

9.9.2023, 09:39:08

Hallo Raphaeljura, in der Tat stellt sich die Frage – zumal die Gesetzesneufassung etwas hektisch erfolgte aufgrund gefälschter Impfausweise während Corona – inwiefern ein Anwendungsraum für § 277 n.F. StGB verbleibt, zumal Gesundheitszeugnisse i.d.R. auch eine Urkunde darstellen werden. Dies bleibt wohl abzuwarten! I.Ü.: Der BGH hat letztes Jahr entschieden, dass auch nach der alten Rechtslage eine Sperrwirkung nicht vorlag, womit – zumindest nach der BGH Lösung – eine Neufassung insofern überflüssig war (https://openjur.de/u/2468366.html) :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

IS

IsiRider

13.2.2024, 18:17:41

Bitte 277 auch verlinken.

Natze

Natze

20.2.2024, 17:51:48

wo prüfe ich denn die Konkurrenz? normal als „Annex“ oder wie stellen ich das denn dar?

NI

Nils

29.8.2024, 16:03:26

Wie sähe es hier aus, wenn ein Arzt den Pass ausgestellt hätte, welcher ihn als Aussteller bezeichnet?

LELEE

Leo Lee

1.9.2024, 09:06:29

Hallo Nils, vielen Dank für die sehr gute Frage! Wenn der Arzt tatsächlich einen (falschen) Pass ausstellt, aber sich selbst aus Aussteller kennzeichnet, liegt keine Fälschung einer Urkunde vor (denn der Arzt hat tats. auch den Impfpass so ausgestellt und insofern nur "schriftlich gelogen", was aber nicht der Strafzweck des 267 ist). In Frage kommt dann nur noch der 278 StGB, was gerade ein Sonderdelikt auch für Ärzte darstellt. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Erb § 278 Rn. 1 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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