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Das Beweisrecht

§ 136a Quälerei / Fortwirkung

§ 136a Quälerei / Fortwirkung

18. April 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B wird beschuldigt, sein von ihm geliebtes Kind erstochen zu haben. In der Vernehmung sagt B aus, sich an nichts erinnern zu können. Polizist P droht, B zur Leiche seines Kindes zu führen, falls er sich nicht dazu einlasse. Da er den Anblick nicht ertragen könnte, gesteht B. Am nächsten Tag gesteht er vor dem Ermittlungsrichter R – dieses Mal ohne vorherige Drohung – noch einmal.

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Einordnung des Falls

§ 136a Quälerei / Fortwirkung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Vernehmungspersonen dürfen Vernommene nicht mit Zwang zu einer Einlassung bringen.

Ja!

Die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten darf nicht durch verbotene Vernehmungsmethoden beeinträchtigt werden (§ 136a Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte soll sowohl vor der Abgabe einer inhaltlich fehlerhaften Einlassung („Wie“) geschützt werden als auch davor, dass er überhaupt von den Strafverfolgungsorganen zu einer Stellungnahme gedrängt wird („Ob“). Die in § 136a Abs. 1 StPO aufgeführten Verbote beziehen sich grundsätzlich nur auf Vernehmungen. Die Norm gilt aber analog für informatorische Befragungen und verdeckte Ermittler.
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2. Es handelt sich hier um eine verbotene Vernehmungsmethode.

Genau, so ist das!

Zwar ist das Hinführen zur Leiche an sich zum Zweck der Identifizierung geboten (§ 88 StPO). Es handelt sich aber um eine unzulässige Quälerei i.S.v. § 136a Abs. 1 StPO, wenn damit unter Ausnutzung der besonderen seelischen Schmerzempfindlichkeit des Beschuldigten erreicht werden soll, dass er über die Tat unter dem Eindruck des Anblicks der Leiche mehr Angaben macht, als er vorher zu machen bereit war.

3. Die geständige Einlassung vor P ist unverwertbar.

Ja, in der Tat!

Einlassungen, die unter Verletzung des Verbotes des § 136a Abs. 1 StPO zu Stande gekommen sind, dürfen nicht verwertet werden (§ 136a Abs. 3 S. 2 StPO). Es handelt sich um ein absolutes Beweisverwertungsverbot, das auch dann gilt, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmt. Auch ein Widerspruch ist bei einem Verstoß gegen § 136a StPO nicht erforderlich. Weil B gequält wurde, ist die Einlassung unverwertbar.

4. Das Geständnis vor R ist verwertbar, weil hierbei keine verbotene Vernehmungsmethode angewendet wurde.

Nein!

Der Verstoß gegen § 136a StPO wirkt in diesem Fall fort. Die Fortwirken besteht aber nicht automatisch, sondern nur unter bestimmten Umständen. Der Druck der verbotenen Vernehmungsmethode muss noch fortwirken. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die lähmende Wirkung eines vorangegangenen Druckmittels regelmäßig auf weitere Vernehmungen ausstrahlt und die Freiheit des Beschuldigten auch bei einer späteren Vernehmung beeinträchtigt oder beseitigt. Gegenteilige Indizien können beispielsweise ein großer zeitlicher Abstand oder das Bewusstsein des Beschuldigten sein, sich von der vorherigen Aussage distanzieren zu können. So kann der Fortwirkung eines Verfahrensverstoßes durch eine qualifizierte Belehrung vorgebeugt werden: Der Beschuldigte muss darüber belehrt werden, dass seine frühere Einlassung wegen Verstoßes gegen § 136a StPO unverwertbar ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TJU

Tr(u)mpeltier junior

16.1.2021, 00:30:13

Zwei Anmerkungen zur terminologie: 1) ggfs könnte man Aussage durch

einlassung

ersetzen. zumindest in den assessorklausuren wird darauf Wert gelegt, dass man zwischen den

Einlassung

en des beschuldigten und Aussagen von Zeugen unterscheidet. 2) zudem könnte man noch zwischen der geständigen

einlassung

gegenüber dem Polizisten und dem Geständnis ggü dem Richter unterscheiden.

Fiat Iustitia!

Fiat Iustitia!

1.5.2021, 17:36:44

1) kann ich komplett bestätigen. Habe es leider letztens selbst erfahren müssen, dass man sich mit einer terminologische Ungenauigkeit,wie in meinem Fall "die

Einlassung

des Zeugen Z" , den Korrektor (der in 90% der Fälle Praktiker ist) schon zu Beginn zum Feind macht! Daher bitte korrigieren

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.5.2021, 17:08:51

Danke euch, haben wir nun entsprechend korrigiert! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juraluchs

Juraluchs

26.2.2023, 12:18:42

Im Erklärungstext zur ersten Frage geht ihr davon aus, dass § 136a analog auf VE angewandt wird. Im Abschnitt Selbstbelastungen habt ihr in einem Fall zu VE die Analogiefähigkeit der Norm abgelehnt. Ich denke es wäre gut, das aufeinander abzustimmen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.2.2023, 12:58:08

Hallo Juraluchs, danke dir für die Nachfrage. Ich nehme an, du beziehst dich auf den Fall mit Mafia-Pate P. Dort wird durchaus die analoge Anwendbarkeit des

§ 136a StPO

bejaht, allerdings ist der Fall keiner der einer Täuschung gleichkommt. Dieser Begriff ist auch bei analoger Anwendung restriktiv auszulegen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

FW

FW

26.9.2024, 11:04:32

Wie wird denn sowas in der Praxis vor Gericht dann gehandhabt? Erfährt der Richter auch davon? Weil an sich ist das ja wirklich sinnlos, da der Richter weiß, dass der Angeklagte gestanden hat, jetzt jedoch das Geständnis nicht mehr berücksichtigen darf. Diese Kenntnis lässt sich jedoch nicht mehr aus der Erinnerung und löschen und im Endeffekt kann der Richter den Angeklagten dann ja wiederum im Rahmen der „freien Beweiswürdigung nach eigener Überzeugung“,

261 StPO

verurteilen.

AdvocatusGermaniae

AdvocatusGermaniae

19.1.2025, 11:32:33

Servus! Würde die

qualifizierte Belehrung

in diesem Fall deswegen ein Geständnis verwertbar machen, weil er dann wüsste, dass es nicht verwertet wird. Grundsätzlich ist diese ja nötig, wenn zuvor nicht belehrt wurde und der Beschuldigte davon ausgeht, "dass sie es eh schon wissen". Wurde hier schon belehrt? Wenn ja, wäre es ja ein Sonderfall der qualifizierten Belehrung mit der Folge, dass sie auch gilt, wenn zuvor belehrt wurde, aber eben eine

Drohung

ausgesprochen wurde. Ich würde mich über Antworten sehr freuen! Grüße

JulianF

JulianF

20.2.2025, 13:48:47

In solchen Fällen besteht das Problem der

Fortwirkung

doch nicht darin, dass die „lähmende Wirkung“ der Vernehmungsmethode fortwirkt und deshalb die

qualifizierte Belehrung

nötig ist, sondern dass der Beschuldigte nicht weiß, dass er von der früheren Aussage mangels deren Verwertbarkeit noch abrücken kann. Eine

qualifizierte Belehrung

mit dem Hinweis auf die Unverwertbarkeit der früheren Aussage würde doch an der faktisch „lähmenden Wirkung“ des ersten Druckmittels überhaupt nichts ändern können.


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