Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Fall, in dem eine psychische Störung behauptet wird, die aber unterhalb der relevanten Schwelle liegt.

Fall, in dem eine psychische Störung behauptet wird, die aber unterhalb der relevanten Schwelle liegt.

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

F geht mit ihrer 14 Monate alten Labradorhündin H auf einem Feldweg spazieren. H ist nicht angeleint. Bauer B fährt mit seinem Traktor in den Feldweg ein. Dabei übersieht er H und verletzt sie so schwer, dass sie eingeschläfert werden muss. F leidet daraufhin an Depressionen.

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Einordnung des Falls

Fall, in dem eine psychische Störung behauptet wird, die aber unterhalb der relevanten Schwelle liegt.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer 2021
Examenstreffer Thüringen 2021

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F hat eine Eigentumsverletzung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB), indem B die Hündin H angefahren hat.

Genau, so ist das!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Eine Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Tiere sind keine Sachen, auf sie sind allerdings die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist (§ 90a BGB). Damit können Tiere auch Bezugsobjekt eines Eigentumsrechts sein. F hat mit dem Tod ihrer Hündin eine Eigentumsverletzung erlitten.
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2. F hat eine Gesundheitsschädigung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. Die Verletzung kann physisch erfolgen (z.B. Schlagen oder Vergiften) oder (unter weiteren Voraussetzungen) psychisch. Voraussetzung für eine psychische Gesundheitsschädigung ist, dass sie pathologisch (medizinisch feststellbar) ist und nach Art und Umfang über das hinausgeht, was von einer Person in der Stellung des Geschädigten erwartet werden kann. F leidet an einer Depression. Dies geht über das normale Maß an Trauer über den Verlust eines Tieres hinaus. Damit hat F eine Gesundheitsschädigung erlitten.

3. Indem B die Hündin der F überfahren hat, hat er die Rechtsgutsverletzungen der F äquivalent-kausal verursacht.

Ja!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Würde man das Anfahren der Hündin H hinwegdenken, so hätte H nicht eingeschläfert werden müssen. Hätte H nicht eingeschläfert werden müssen, so hätte F keine Depressionen bekommen. Damit war das Anfahren kausal für die Rechtsgutsverletzungen.

4. Die Gesundheitsverletzung der F ist vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB umfasst.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Zurechnung umfasst die Adäquanz und den Schutzzweck der Norm. Problematisch ist, ob Schockschäden vom Schutzzweck der Norm erfasst werden. Grundsätzlich gehören schockierende Ereignisse zum allgemeinen Lebensrisiko. Sie werden daher nicht von § 823 Abs. 1 BGB erfasst. Ausnahme (nach Rspr.): Der Betroffene erlebt die Schädigung eines nahen Angehörigen mit und erleidet dadurch eine medizinisch feststellbare psychische Schädigung, sofern der Anlass des Schocks verständlich ist. BGH: Die Tötung von Tieren dagegen, möge sie auch als schwerwiegend empfunden werden und menschlich verständlich erscheinen, gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko (RdNr. 11). Dass die Hündin H gestorben ist, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hannah B.

Hannah B.

14.11.2021, 16:48:15

Der Fall kam in der mündlichen Prüfung in Thüringen dran (Juli 2021). :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.11.2021, 09:14:28

Danke Hannah :-)

Juliaa

Juliaa

2.2.2023, 19:42:21

Müsste man dies vor dem Hintergrund der neuen Entscheidung zu den Schockschäden anders bewerten? BGH Az. VI ZR 168/21 vom 06.12.2022

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.2.2023, 10:19:00

Hallo Juliaa, danke dir - wir prüfen das. Die neue Rechtsprechung ist tatsächlich eine Kehrtwende. Offen ist noch, ob diese auch bei Haustieren anwendbar ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Cosmonaut

Cosmonaut

21.5.2023, 13:22:29

Selbige Frage würde mich auch interessieren. Denn man liest: „Um die Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Bereich der sog. Schockschäden zu gewährleisten, hat der BGH seine Rechtsprechung mit einem nun veröffentlichten Urteil angepasst (Urt. v. 06.12.2022, Az. VI ZR 168/21). "

Jonah

Jonah

21.7.2023, 11:18:28

Auch der Schockschaden eines Hundebesitzers - der den Tod des Tieres mit ansehen musste - ist ersatzfähig (vgl. Wagner, Deliktsrecht, 14. Auflage 2021, 5. Kapitel Rdn. 44)

MAR

Marius

10.10.2023, 12:01:59

Bezogen auf Jonah: genau das dachte ich auch. Klar ist es das allgemeine Lebensrisiko, dass mein Haustier stirbt, aber das „Wie“ ist doch ein relevanter Faktor. Einfach gestorben oder gar brutal getötet (allgemein, nicht auf den Fall mit dem Traktor bezogen).

CR7

CR7

21.8.2024, 09:46:41

Aus meiner Sicht lässt sich vieles mit guter Argumentation vertreten. Besonders in westlichen Ländern werden Haustiere oft als Teil der Familie betrachtet – sie haben eigene Namen und werden so angesprochen, z.B. 'Hast du Bruno Futter mitgebracht?'. Es wäre ungewöhnlich zu sagen: 'Hast du für den Hund Futter mitgebracht?'. Ähnlich verhält es sich bei Babys – man sagt auch nicht: 'Hast du für das Baby Brei mitgebracht?'. Mein Punkt ist: Verletzungen oder Tötungen können sowohl bei Menschen als auch bei Tieren erhebliche Gesundheitsschäden verursachen. Manche Menschen haben keine Kinder, sondern nur Tiere, was es schwierig macht, Tiere als minderwertiger anzusehen, nur weil der BGH sie anders behandelt. Vielleicht argumentiere ich hier eher aus einer moralischen und weniger aus einer juristischen Sicht, aber gerade das macht es meiner Meinung nach schwierig, hier den Schutzzweck abzulehnen.

GELD

Geldhatmanzuhaben

1.9.2024, 14:09:12

Ursprünglicher Anknüpfungspunkt der Haftung für Schockschäden war die persönliche Verbundenheit zu dem Getöteten, sodass sich eine vom allgemeinen Lebensrisiko losgelöste eigene Integritätsverletzung realisiert hat. Dadurch dürfte (zumindest m.E.) auch die Rspr. Änderung nichts ändern, da hiermit lediglich klargestellt wurde, dass Anknüpfungspunkt der Haftung für Schockschäden nicht die Tötung des Dritten, sondern die Integritätsverletzung ist. Diese dürfte (zur Entstehung) aber wohl weiterhin eine persönliche Beziehehung i.S.e. Tötung eines Angehörigen erfordern.

Sophix58

Sophix58

14.10.2023, 11:27:37

Bezüglich der Einordnung von psychologischen

Gesundheitsschädigung

en aufgrund von Schockschäden gibt es eine Rechtsprechungsänderung, BGH Urteil vom 6.12.2022 – VI ZR 168/21 :)


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