Schockschäden (Psychische Gesundheitsbeeinträchtigung/psychisch vermittelte Kausalität)


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Klassisches Klausurproblem

A fährt mit stark überhöhter Geschwindigkeit durch die Spielstraße eines Wohngebiets. Sie kann nicht rechtzeitig bremsen und überfährt das Kind K. Ks Mutter M muss alles mitansehen und erleidet einen schweren seelischen Schock mit andauernden Depressionen.

Einordnung des Falls

Schockschäden (Psychische Gesundheitsbeeinträchtigung/psychisch vermittelte Kausalität)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat eine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten.

Ja, in der Tat!

Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. Die Verletzung kann physisch erfolgen (z.B. Schlagen oder Vergiften) oder (unter weiteren Voraussetzungen) psychisch. Voraussetzung für eine psychische Gesundheitsschädigung ist, dass sie pathologisch (medizinisch feststellbar) ist. M erleidet einen schweren seelischen Schock und andauernde Depressionen. Damit hat M eine Gesundheitsschädigung erlitten.Bis 2022 verlangte die Rechtsprechung zusätzlich, dass der Schaden nach Art und Umfang über das hinausgeht, was von einer Person in der Stellung des Geschädigten erwartet werden kann. Dieses Kriterium hat der BGH nunmehr aufgegeben. Mehr dazu: hier!

2. Die Unfallverursachung durch A war äquivalent-kausal für die Rechtsgutsverletzung der M.

Ja!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Wäre A nicht zu schnell gefahren, hätte sie K nicht überfahren. Ohne das Überfahren des K hätte M keinen seelischen Schock bekommen. Damit war die Unfallverursachung durch A kausal für die Rechtsgutsverletzung der M.

3. Die Rechtsgutsverletzung der M ist der A auch zurechenbar.

Genau, so ist das!

Die Zurechnung umfasst die Adäquanz und den Schutzzweck der Norm. Problematisch ist, ob Schockschäden vom Schutzzweck der Norm erfasst werden. Grundsätzlich gehören schockierende Ereignisse zum allgemeinen Lebensrisiko. Sie werden daher nicht von § 823 Abs. 1 BGB erfasst. Ausnahme (nach Rspr.): Der Betroffene erlebt die Schädigung eines nahen Angehörigen mit, eine gewisse Erheblichkeitsschwelle wird überschritten (Krankheitswert) und der Anlass des Schocks ist verständlich. M musste mitansehen, wie ihr Kind überfahren wird, was eine emotionale Extremsituation ist. Damit ist die Schädigung der A auch zurechenbar.

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Jakob

Jakob

6.7.2023, 12:03:40

In der Erklärung sollte die Rsp. Änderung des BGH (Urt. v. 06.12.2022, Az. VI ZR 168/21) möglicherweise erwähnen.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

12.7.2024, 18:18:44

Kann denn ein Zeuge eines richtig schlimmen Unfalls, bei dem ein kleines Kind von einem Auto brutal angefahren wird, Ersatz für seinen Schockschaden nach 823 I geltend machen? Zwar gehört er ja nicht zur Personengruppe „nahe Angehörige“, aber ich meine mal gehört zu haben, dass hier eine Ausnahme zu machen ist. Stimmt das?


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