Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Schockschäden (Psychische Gesundheitsbeeinträchtigung/psychisch vermittelte Kausalität)

Schockschäden (Psychische Gesundheitsbeeinträchtigung/psychisch vermittelte Kausalität)

19. Februar 2025

15 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A fährt mit stark überhöhter Geschwindigkeit durch die Spielstraße eines Wohngebiets. Sie kann nicht rechtzeitig bremsen und überfährt das Kind K. Ks Mutter M muss alles mitansehen und erleidet einen schweren seelischen Schock mit andauernden Depressionen.

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Einordnung des Falls

Schockschäden (Psychische Gesundheitsbeeinträchtigung/psychisch vermittelte Kausalität)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat eine eigene Rechtsgutsverletzung erlitten.

Ja, in der Tat!

Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. Die Verletzung kann physisch erfolgen (z.B. Schlagen oder Vergiften) oder (unter weiteren Voraussetzungen) psychisch. Voraussetzung für eine psychische Gesundheitsschädigung ist, dass sie pathologisch (medizinisch feststellbar) ist. M erleidet einen schweren seelischen Schock und andauernde Depressionen. Damit hat M eine Gesundheitsschädigung erlitten.Bis 2022 verlangte die Rechtsprechung zusätzlich, dass der Schaden nach Art und Umfang über das hinausgeht, was von einer Person in der Stellung des Geschädigten erwartet werden kann. Dieses Kriterium hat der BGH nunmehr aufgegeben. Mehr dazu: hier!
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2. Die Unfallverursachung durch A war äquivalent-kausal für die Rechtsgutsverletzung der M.

Ja!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Wäre A nicht zu schnell gefahren, hätte sie K nicht überfahren. Ohne das Überfahren des K hätte M keinen seelischen Schock bekommen. Damit war die Unfallverursachung durch A kausal für die Rechtsgutsverletzung der M.

3. Die Rechtsgutsverletzung der M ist der A auch zurechenbar.

Genau, so ist das!

Die Zurechnung umfasst die Adäquanz und den Schutzzweck der Norm. Problematisch ist, ob Schockschäden vom Schutzzweck der Norm erfasst werden. Grundsätzlich gehören schockierende Ereignisse zum allgemeinen Lebensrisiko. Sie werden daher nicht von § 823 Abs. 1 BGB erfasst. Ausnahme (nach Rspr.): Der Betroffene erlebt die Schädigung eines nahen Angehörigen mit, eine gewisse Erheblichkeitsschwelle wird überschritten (Krankheitswert) und der Anlass des Schocks ist verständlich. M musste mitansehen, wie ihr Kind überfahren wird, was eine emotionale Extremsituation ist. Damit ist die Schädigung der A auch zurechenbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

paulmachtexamen

paulmachtexamen

12.7.2024, 18:18:44

Kann denn ein Zeuge eines richtig schlimmen Unfalls, bei dem ein kleines Kind von einem Auto brutal angefahren wird, Ersatz für seinen

Schockschaden

nach 823 I geltend machen? Zwar gehört er ja nicht zur Personengruppe „nahe Angehörige“, aber ich meine mal gehört zu haben, dass hier eine Ausnahme zu machen ist. Stimmt das?

QUAR

Quarklo

3.9.2024, 17:48:54

Ja das reicht aus. Zwei Fallgruppen sind bei

Schockschäden

denkbar: direkt Beteiligter Dritter oder nahe Angehörige, wobei bei nahen Angehörigen keine direkte Beteiligung notwendig ist.

KAT

Katharina

28.10.2024, 17:35:53

Es wäre grandios, wenn ihr die Verweise zu den aktuellen Rechtsprechungen und Wiederholungseinheiten auch am Ende der Aufgabe zB bei den Funstellen ergänzen könntet. So müsste man die Aufgabe nicht mitten drin unterbrechen. Vielen Dank!

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

31.10.2024, 16:29:37

Hi Katharina, danke für den Vorschlag! Wir sind bereits an der Konzeptionierung einer solchen Funktion. Lieben Gruß

G0d0fMischief

G0d0fMischief

5.11.2024, 09:40:55

Hallo, wären die Beerdigungskosten des Kindes nach § 249 II BGB und der

Schockschaden

der Mutter nach § 253 II BGB zu ersetzen? Ich finde die Zuordnung des ersatzfähigen Schadens gem. §§ 249 ff. BGB zum Teil etwas schwierig zu lösen. Die §§ 249 ff. BGB sind auch in jedem Fall des Schadensersatzes anzusprechen oder? Weil zu Beginn wurden die §§ regelmäßig zugeordnet und gerade in den Falllfragen zum Deliktsrecht hat dies nun abgenommen und es wird eher abstrakt gefragt, ob denn ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Ich denke gerade in der Examensklausur wird es einem den ein oder anderen Punkt einbringen können, wenn man den ersatzfähigen Schaden sehr genau zuordnen kann. An dieser Stelle aber auch ein sehr großes Lob! Im Rep haben wir die §§ 249 ff. BGB nahezu gar nicht behandelt und ich muss sagen, vieles war mir dann doch nicht bewusst. In Zukunft können so einige Fehler vermieden werden.

LELEE

Leo Lee

1.12.2024, 11:18:55

Hallo G0d0fMischief, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage und deine lieben Worte! Worte wie deine treiben uns bei Jurafuchs täglich dazu an, noch mehr solcher Fälle zu schaffen; an dieser Stelle deshalb nochmal DANKE, dass du uns mit dem Lob bescherst! Nun zu deiner Frage: Die Beerdigungskosten sind materielle Schäden, weshalb diese nach 249 zu ersetzen sind.

Schockschäden

sind hingegen sehr wohl nach 253 II zu beantworten. Das

Schadensrecht

i.Ü. ist so ziemlich ein eigenes Rechtsgebiet, das im ersten Examen (leider) nicht viel Beachtung findet, da die Prüfung dieses Gebiets meistens (noch) einigermaßen einfach und ohne größere Problemstellungen zu bewältigen ist. Aber grds. kannst du dir merken, dass 249, 251, 253 sicher beherrscht werden müssen. Wenn die Grundlagen fest sitzen, bist du bestens gewappnet für das erste Examen! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Oetker § 249 Rn. 1 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Nils

Nils

26.12.2024, 12:00:10

Das steht in § 844 Abs. 1 BGB. Den würde ich noch mitzitieren.

JO

JonG

16.1.2025, 09:49:42

Warum sind die Beerdingungskosten zu ersetzen? Der Tod wäre (zugegebenermaßen sehr viel später) eingetreten und diese Kosten wären ohnehin entstanden?

G0d0fMischief

G0d0fMischief

20.1.2025, 14:39:56

@[Leo Lee](213375) danke für die ausführliche Antwort! :)

SEF

Sergej Fährlich

27.1.2025, 15:42:00

@[JonG](256553) Naja dann gehst du aber davon aus das die Mutter ihr eigenes Kind überlebt und weiterhin ist ja eben die haftungsbegründende und auffüllende Kausalität gegeben, ohne die Tötung der A keine Beerdigungskosten der K in dieser Form.


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