Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Schockschaden wegen Tötung eines Haustiers

Schockschaden wegen Tötung eines Haustiers

10. Mai 2025

29 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

F geht mit ihrer 14 Monate alten Labradorhündin H auf einem Feldweg spazieren. H ist nicht angeleint. Bauer B fährt mit seinem Traktor in den Feldweg ein. Dabei übersieht er H und verletzt sie so schwer, dass sie eingeschläfert werden muss. F leidet daraufhin an Depressionen.

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Einordnung des Falls

Schockschaden wegen Tötung eines Haustiers

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Examenstreffer 2021
Examenstreffer Thüringen 2021

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F hat eine Eigentumsverletzung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB), indem B die Hündin H angefahren hat.

Genau, so ist das!

Eine Eigentumsverletzung kann erfolgen durch (1) Sachentziehung, (2) wirksame Verfügung eines Nichtberechtigten, (3) Beeinträchtigung der Sachsubstanz oder (4) Beeinträchtigung des Sachgebrauchs. Eine Substanzverletzung liegt vor, wenn eine zunächst intakte Sache körperlich zerstört oder beschädigt wird. Tiere sind keine Sachen, auf sie sind allerdings die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist (§ 90a BGB). Damit können Tiere auch Bezugsobjekt eines Eigentumsrechts sein. F hat mit dem Tod ihrer Hündin eine Eigentumsverletzung erlitten.
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2. F hat eine Gesundheitsschädigung erlitten (§ 823 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Gesundheitsschädigung liegt bei einer Störung der inneren Lebensvorgänge vor. Die Verletzung kann physisch erfolgen (z.B. Schlagen oder Vergiften) oder (unter weiteren Voraussetzungen) psychisch. Voraussetzung für eine psychische Gesundheitsschädigung ist, dass sie pathologisch (medizinisch feststellbar) ist und nach Art und Umfang über das hinausgeht, was von einer Person in der Stellung des Geschädigten erwartet werden kann. F leidet an einer Depression. Dies geht über das normale Maß an Trauer über den Verlust eines Tieres hinaus. Damit hat F eine Gesundheitsschädigung erlitten. Nach alter Rspr. (bis 2022) wurde eine Gesundheitsschädigung aufgrund eines sog. (mittelbaren) Schockschaden nur unter bestimmten Voraussetzungen angenommen. Mit Urteil vom 06.12.2022 (Az. VI ZR 168/21) hat der BGH klargestellt, dass es für die Beurteilung eines pathologischen Zustands (= Gesundheitsschädigung) nicht darauf ankommt, wie dieser entstanden ist. Das „Problem“ ist seither nur noch i.R.d. Zurechnung eines Schadens zu berücksichtigen.

3. Indem B die Hündin der F überfahren hat, hat er die Rechtsgutsverletzungen der F äquivalent-kausal verursacht.

Ja!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Tatsache ursächlich für einen Schadenseintritt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung in ihrer konkreten Gestalt entfiele. Würde man das Anfahren der Hündin H hinwegdenken, so hätte H nicht eingeschläfert werden müssen. Hätte H nicht eingeschläfert werden müssen, so hätte F keine Depressionen bekommen. Damit war das Anfahren kausal für die Rechtsgutsverletzungen.

4. Die Gesundheitsverletzung der F ist vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB umfasst.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Zurechnung umfasst die Adäquanz und den Schutzzweck der Norm. Problematisch ist, ob Schockschäden vom Schutzzweck der Norm erfasst werden. Grundsätzlich gehören schockierende Ereignisse zum allgemeinen Lebensrisiko. Sie werden daher nicht von § 823 Abs. 1 BGB erfasst. Ausnahme (nach Rspr.): Der Betroffene erlebt die Schädigung eines nahen Angehörigen mit und erleidet dadurch eine medizinisch feststellbare psychische Schädigung, sofern der Anlass des Schocks verständlich ist. BGH: Die Tötung von Tieren dagegen, möge sie auch als schwerwiegend empfunden werden und menschlich verständlich erscheinen, gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko (RdNr. 11). Dass die Hündin H gestorben ist, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko. An dem Grundsatz, dass bei einer mittelbaren Schädigung ein Näheverhältnis zwischen der verletzten Person und dem Anspruchssteller geben muss, hält der BGH bis heute fest. Schockschäden sind danach weiterhin nicht ersatzfähig, wenn sie auf die Verletzung eines Tieres zurückzuführen sind. Dies kann man durchaus als zu pauschal kritisieren (siehe dazu z.B. Gräf/Reif, JuS 2023, 633, RdNr. 635).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hannah B.

Hannah B.

14.11.2021, 16:48:15

Der Fall kam in der mündlichen Prüfung in Thüringen dran (Juli 2021). :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.11.2021, 09:14:28

Danke Hannah :-)

Juliaa

Juliaa

2.2.2023, 19:42:21

Müsste man dies vor dem Hintergrund der neuen Entscheidung zu den

Schockschäden

anders bewerten? BGH Az. VI ZR 168/21 vom 06.12.2022

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.2.2023, 10:19:00

Hallo Juliaa, danke dir - wir prüfen das. Die neue Rechtsprechung ist tatsächlich eine Kehrtwende. Offen ist noch, ob diese auch bei Haustieren anwendbar ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Cosmonaut

Cosmonaut

21.5.2023, 13:22:29

Selbige Frage würde mich auch interessieren. Denn man liest: „Um die Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Bereich der sog.

Schockschäden

zu gewährleisten, hat der BGH seine Rechtsprechung mit einem nun veröffentlichten Urteil angepasst (Urt. v. 06.12.2022, Az. VI ZR 168/21). "

Jonah

Jonah

21.7.2023, 11:18:28

Auch der

Schockschaden

eines Hundebesitzers - der den Tod des Tieres mit ansehen musste - ist ersatzfähig (vgl. Wagner, Deliktsrecht, 14. Auflage 2021, 5. Kapitel Rdn. 44)

MAR

Marius

10.10.2023, 12:01:59

Bezogen auf Jonah: genau das dachte ich auch. Klar ist es das allgemeine Lebensrisiko, dass mein Haustier stirbt, aber das „Wie“ ist doch ein relevanter Faktor. Einfach gestorben oder gar brutal getötet (allgemein, nicht auf den Fall mit dem Traktor bezogen).

CR7

CR7

21.8.2024, 09:46:41

Aus meiner Sicht lässt sich vieles mit guter Argumentation vertreten. Besonders in westlichen Ländern werden Haustiere oft als Teil der Familie betrachtet – sie haben eigene Namen und werden so angesprochen, z.B. 'Hast du Bruno Futter mitgebracht?'. Es wäre ungewöhnlich zu sagen: 'Hast du für den Hund Futter mitgebracht?'. Ähnlich verhält es sich bei Babys – man sagt auch nicht: 'Hast du für das Baby Brei mitgebracht?'. Mein Punkt ist: Verletzungen oder Tötungen können sowohl bei Menschen als auch bei Tieren erhebliche Gesundheitsschäden verursachen. Manche Menschen haben keine Kinder, sondern nur Tiere, was es schwierig macht, Tiere als minderwertiger anzusehen, nur weil der BGH sie anders behandelt. Vielleicht argumentiere ich hier eher aus einer moralischen und weniger aus einer juristischen Sicht, aber gerade das macht es meiner Meinung nach schwierig, hier den Schutzzweck abzulehnen.

GELD

Geldhatmanzuhaben

1.9.2024, 14:09:12

Ursprünglicher Anknüpfungspunkt der Haftung für

Schockschäden

war die persönliche Verbundenheit zu dem Getöteten, sodass sich eine vom allgemeinen Lebensrisiko losgelöste eigene Integritätsverletzung realisiert hat. Dadurch dürfte (zumindest m.E.) auch die Rspr. Änderung nichts ändern, da hiermit lediglich klargestellt wurde, dass Anknüpfungspunkt der Haftung für

Schockschäden

nicht die Tötung des Dritten, sondern die Integritätsverletzung ist. Diese dürfte (zur Entstehung) aber wohl weiterhin eine persönliche Beziehehung i.S.e. Tötung eines Angehörigen erfordern.

BEN

benjaminmeister

27.12.2024, 16:07:56

Die Tierhalterfälle sind mMn. typische Beispiele, in denen das Ergebnis in einer Klausur völlig egal ist und es einzig und allein darauf ankommt das Problem a) zu sehen und b) mit guten Argumenten zu diskutieren (da es auch in der Lit. stimmen gibt, die

Schockschäden

bei Tötung von Tieren bejahen). Ich würde es gut finden, wenn man hier die Frage offener stellt und nicht eine Ansicht aufgedrängt bekommt. Außerdem müsste immernoch die zweiten Frage mit der neuen Rspr. derart angepasst werden, dass keine gesundheitliche Beeinträchtigung mehr

erforderlich

ist, die über das hinausgeht, was erfahrungsgemäß mit einem Trauerfall einhergeht. Für die Annahme einer Gesundheitsverletzung reicht jetzt die pathologische Fassbarkeit.

Kind als Schaden

Kind als Schaden

26.3.2025, 17:54:01

Ich gehe davon aus, es bedarf noch einer höchstrichterlichen Entscheidung mit einer Besetzung, die mehrheitlich aus Hundebesitzern besteht :D Ich bin zwar noch nicht der Älteste, aber meiner Erfahrung nach, ist der von mir wahrgenommene

Schaden

, den Menschen durch den (plötzlichen, unerwarteten) Verlust eines Hundes erleiden, regelmäßig höher als bei vielen nahestehenden Menschen.

AS

as.mzkw

10.4.2025, 16:27:07

Bzgl. der Eigentumsverletzung (Tod des H) würde man dann aber ja weiter prüfen oder? Zudem müsste die F sich ein Mitverschulden nach § 254 BGB (= Nichtanleinen des Hundes) anspruchsmindernd anrechnen lassen, richtig? Insbesondere könnte hier nicht der Rechtsgedanke des §

840 III BGB

herangezogen werden, dadurch dass die H selbst ein Verschulden (wenn auch gegen sich selbst) trifft.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

23.4.2025, 12:50:09

Hallo @[as.mzkw](244917), danke für Deine Frage. Bzgl. der Eigentumsverletzung kommt ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB in der Tat in Betracht. Die Unterscheidung, ob der

Schaden

sersatzanspruch auf die

Gesundheitsschädigung

oder nur auf die Eigentumsverletzung gestützt werden kann ist relevant für den Umfang des

Schaden

sersatzanspruches. Sämtliche Schäden, die dem Hundebesitzer durch seine psychische Belastung entstehen, sind nach diesem Fall nicht ersatzfähig. Für die Eigentumsverletzung erhält er nach der Maßgabe der §§ 249 ff. BGB nur einen Ersatz für den (wirtschaftlichen) Wert des Hundes. Insofern ist es sehr wichtig, sämtliche verletzte Rechte und Rechtsgüter zu prüfen. Zu Deiner Frage bzgl. des Mitverschuldens: § 254 BGB ist auch zur Bestimmung des Umfangs des

Schaden

sersatzanspruches im Deliktsrecht voll anwendbar, solange keine spezielleren Regeln existieren. Im konkreten Fall ist der Sachverhalt etwas zu dünn, um das Mitverschulden von F zu begründen. Man könnte hier aber durchaus diskutieren, ob es fahrlässig war, den Hund ohne Leine an dem Feldweg laufen zu lassen. In einer Klausur käme es hier vor allem darauf an, dass Du § 254 BGB thematisierst und die Argumente abwägst. Für welches Ergebnis Du Dich entscheidest, ist nicht so entscheidend. Ich bin mir leider nicht ganz sicher, woher Deine Bezugnahme auf § 840 Abs. 3 BGB im konkreten Fall kommt?

§ 840 BGB

betrifft nur die Fälle, in denen für einen

Schaden

mehrere Schuldner haften. Die Norm käme hier nur in Betracht, wenn F den Ersatz aus § 823 Abs. 1 BGB von mehreren Personen fordern könnte. Das ist hier aber nicht ersichtlich. Ein reines Mitverschulden des F ist keine „Haftung“ i.S.v.

§ 840 BGB

. Unabhängig davon, dass ich mir nicht sicher bin, welchen Rechtsgedanken aus § 840 Abs. 3 BGB Du hier heranziehen wollen würdest, passt die Norm hier also nicht. Ich hoffe, ich konnte Dir damit weiterhelfen. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team


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