Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§ 123 VwGO)

1 Fall allgemeine Leistungsklage: Sicherungsanordnung

1 Fall allgemeine Leistungsklage: Sicherungsanordnung

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Gemeinde G hat mit dem Ausbau von öffentlichen Parkplätzen vor Ls Haus begonnen. L ist der Ansicht, der Bau wäre rechtswidrig, weil die Parkplätze zu nah an ihrem Grundstück gebaut werden. Sie stellt einen Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO. Sie begehrt, dass G die Bauarbeiten vorläufig einstellt.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Einordnung des Falls

1 Fall allgemeine Leistungsklage: Sicherungsanordnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im Rahmen der Begründetheit des Antrags nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO muss L zunächst das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft machen.

Genau, so ist das!

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist begründet, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Vorauseetzung dafür ist das Bestehen eines (1) Anordnungsanspruches und eines (2) Anordnungsgrundes. Im Rahmen des Anordnungsanspruches wird das Bestehen eines materiellen Rechts auf das begehrte Handeln oder Unterlassen der Behörde geprüft. Für die Klausur im 1. Staatsexamen bedeutet das, dass Du den Anspruch auf das begehrte Handeln der Behörde prüfst, wie Du es im Hauptsacheverfahren machen würdest.
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2. Mangels Rechtsgrundlage scheitert Ls Antrag bereits am Bestehen eines Anordnungsanspruches.

Nein, das trifft nicht zu!

Begehrt der Antragsteller ein Unterlassen der Behörde, kommt als Rechtsgrundlage der sogenannte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch in Betracht. Dieser ist allgemein anerkannt, wird aber unterschiedlich hergeleitet. Teilweise wird § 1004 BGB analog herangezogen. Nach einer anderen Ansicht ergibt sich der Anspruch aus dem Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Wieder andere leiten den Anspruch direkt aus den persönlichen Grundrechten her, schließlich sind diese Abwehrrechte gegen den Staat. L könnte in der Hauptsache einen Anspruch auf Unterlassen der Bauarbeiten haben. Die Herleitung des Unterlassungsanspruch kannst Du in der Klausur kurz halten, da dieser allgemein anerkannt ist.

3. Es ist nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass L in der Hauptsache einen Anspruch auf Unterlassung gegen die B hat.

Ja!

Der Anordnungsanspruch im Rahmen des Antrags auf Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO) besteht, wenn der Antragsteller nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in seinen Rechten verletzt ist und einen Anspruch auf Handeln oder Unterlassen der Behörde hat. Ist nach summarischer Prüfung die Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist eine einstweilige Anordnung in der Regel abzulehnen. Nach summarischer Prüfung des von L Vorgebrachten, ist es nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass L aufgrund eines rechtswidrigen Handelns der G und einer daraus resultierenden subjektiven Rechtsverletzung einen Unterlassungsanspruch in der Hauptsache hat. In der Klausur im 1. Staatsexamen würdest Du mit weiterreichenden Sachverhaltsangaben inhaltlich die komplette Prüfung der Hauptsache vornehmen. Ob ein Anordnungsgrund vorliegt, wirst Du in der Klausur in der Regel eindeutig entscheiden können.

4. Die Begründetheit des Antrags scheitert an dem Bestehen eines Anordnungsgrundes.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Antragsteller die besondere Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht hat. Im Rahmen von § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO bedeutet das, dass durch längeres Zuwarten die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Im Rahmen des Anordnungsgrundes werden die Interessen der Beteiligten, insbesondere die gefährdeten Rechtsgüter, berücksichtigt. Der Bau der Parkplätze durch G würde vollendete Tatsachen schaffen, die nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könnten, sodass die Verwirklichung von Ls Rechten wesentlich erschwert würde. L hat daher ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Baumaßnahmen vorübergehend gestoppt werden, bis über die Hauptsache entschieden wurde. Auf der anderen Seite scheint es keine besondere Einschränkung für G zu sein, wenn sich der Bau der Parkplätze etwas verzögert. Ein Anordnungsgrund liegt vor. Der Antrag ist begründet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BAY

bayilm

27.6.2023, 19:44:30

Ich kann hier nicht ganz nachvollziehen, warum hier der Anspruchsgrund bejaht wird. Können hier im Nachhinein nicht auch einfach die Parkplätze wieder entfernt werden? Warum war das in dem Fall, in dem jemand ein Haus baut und das dann im Zweifel wieder abreißen muss anders?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

4.1.2024, 17:31:59

Das würde mich auch interessieren, liebes Jurafuchs Team

MAR

Marie

11.2.2024, 23:02:43

Sofern die bauliche Anlage im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht steht, bestünde doch ggf. ein Anspruch auf Einschreiten der Bauaufsicht. Hier kann der Dritte den Anspruch ggf. auf die Verletzung drittschützender Normen stützen, hätte im Ergebnis bei einem Widerspruch mit öffentlichen Baurecht zumindest einen

Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung

. Weshalb wird nicht dieser Anspruch im einstweiligen Rechtsschutz durch einen vorübergehenden Baustopp gesichert?

David

David

21.3.2024, 15:44:12

Liebes Jurafuchs-Team, leider ist mir bei dieser Aufgabe nicht ganz klar geworden, wieso der öffentlich-rechtliche Unterlassungs- anstatt des

Abwehranspruch

s als Anordnungsanspruch geltend gemacht wird. Ein Unterlassungsanspruch erfordert doch das zusätzliche Kriterium, dass eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich des möglicherweise rechtswidrigen hoheitlichen Handelns besteht oder nicht? Daher würde es schon aus prozessökonomischen Gründen doch sinnvoller sein, auf den

Abwehranspruch

abzustellen, da dieser ,,nur'' einen bestehenden und andauernden Eingriff voraussetzt, ohne, dass es auf eine Wiederholungsgefahr ankommt. Das ist aufgrund der anhaltenden Baumaßnahmen vorliegend ja bereits gegeben. Oder habe ich die Unterschiede zwischen den beiden Ansprüchen missverstanden? Vielen Dank im Voraus!

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

22.3.2024, 17:33:38

Hallo David, danke für Deine Frage. Im öffentlichen Recht sind diese Ansprüche ja nicht unmittelbar kodifiziert. Man spricht häufig schlicht vom "öffentlich-rechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruch" und hält sich nicht strikt an die Differenzierungen des § 1004 I 1 vs. 2 BGB. Wollte man das tun, wäre dein Gedanke allerdings richtig und hier handelte es sich wohl um einen Fall des öffentlich-rechtlichen

Abwehranspruch

s mit den von Dir benannten Voraussetzungen! Aber: Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch wäre nicht in diesem Sinne (prozessual) "voraussetzungsreicher". Vielmehr handelt es sich um eine Frage des Sachverhalts. Andauernder Eingriff ->

Abwehranspruch

. Kein andauernder, aber vergangener und damit erneut i.S. einer Wiederholungsgefahr drohender Eingriff -> Unterlassungsanspruch. Da mit den Baumaßnahmen hier ein hoheitlicher Eingriff andauert, würde es insoweit nichts ändern, würde man sich (nur) auf einen 'Unterlassungsanspruch' berufen, da ein solcher nicht geprüft würde (s. i.Ü. § 88 VwGO analog). Beste Grüße, Merle

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

22.3.2024, 17:34:11

Hallo David, danke für Deine Frage. Im öffentlichen Recht sind diese Ansprüche ja nicht unmittelbar kodifiziert. Man spricht häufig schlicht vom "öffentlich-rechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruch" und hält sich nicht strikt an die Differenzierungen des § 1004 I 1 vs. 2 BGB. Wollte man das tun, wäre dein Gedanke allerdings richtig und hier handelte es sich wohl um einen Fall des öffentlich-rechtlichen

Abwehranspruch

s mit den von Dir benannten Voraussetzungen! Aber: Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch wäre nicht in diesem Sinne (prozessual) "voraussetzungsreicher". Vielmehr handelt es sich um eine Frage des Sachverhalts. Andauernder Eingriff ->

Abwehranspruch

. Kein andauernder, aber vergangener und damit erneut i.S. einer Wiederholungsgefahr drohender Eingriff -> Unterlassungsanspruch. Da mit den Baumaßnahmen hier ein hoheitlicher Eingriff andauert, würde es insoweit nichts ändern, würde man sich (nur) auf einen 'Unterlassungsanspruch' berufen, da ein solcher nicht geprüft würde (s. i.Ü. § 88 VwGO analog). Beste Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team @[Lukas_Mengestu](136780)


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