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Widerruf eines Anwaltsvertrages über eine Prüfungsanfechtung (Klausurklassiker)

Widerruf eines Anwaltsvertrages über eine Prüfungsanfechtung (Klausurklassiker)

19. Mai 2025

14 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Studentin J will ihre Note anfechten. J konsultiert persönlich den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), der sie an Kanzlei K vermittelt. Telefonisch erteilt J der K ein Mandat und bezahlt. Tags darauf besprechen J und K in den Kanzleiräumen alle Details. 370 Tage später widerruft J den Vertrag und verlangt ihr Geld zurück.

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Einordnung des Falls

Widerruf eines Anwaltsvertrages über eine Prüfungsanfechtung (Klausurklassiker)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Widerrufsrecht der J nach § 312g Abs. 1 BGB setzt voraus, dass K den Anwaltsvertrag als Unternehmerin geschlossen hat (§ 14 Abs. 1 BGB).

Ja!

Dem Verbraucher steht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu (§ 312g Abs. 1 BGB). Grundvoraussetzung der §§ 312ff. BGB ist das Vorliegen eines Verbrauchervertrags, durch den sich die Verbraucherin zur Zahlung eines Preises oder zur Zahlung mit Daten verpflichtet (§ 312 Abs. 1, Abs. 1a BGB). Verbraucherverträge sind gemäß § 310 Abs. 3 BGB Verträge zwischen einem Unternehmer (§ 14 Abs. 1 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB). Darüber hinaus sind die Bereichsausnahmen des § 312 Abs. 2 BGB und Ausnahmetatbestände des § 312 Abs. 3-7 BGB zu beachten. Solche sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Ein Anwaltsvertrag ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 Abs. 1 Alt. 1 BGB).
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2. K hat den Anwaltsvertrag als Unternehmerin geschlossen (§ 14 Abs. 1 BGB). Dass der Anwaltsberuf ein freier Beruf ist, schließt die Unternehmereigenschaft nicht aus. J steht deshalb ein Widerrufsrecht zu.

Genau, so ist das!

Unternehmer ist, wer gewerblich oder selbstständig beruflich tätig ist (§ 14 Abs. 1 BGB). Beide Merkmale setzen eine selbständige, planvolle, auf gewisse Dauer ausgerichtete, entgeltlich anbietende Tätigkeit am Markt voraus. Der Begriff des selbstständigen Berufs erfasst auch freie Berufe. K bietet selbständig, planvoll, dauerhaft und entgeltlich Rechtsberatungsleistungen am Markt an. Der Anwaltsberuf ist zwar ein freier Beruf, dies steht der Unternehmereigenschaft der K jedoch nicht entgegen. Verhältnis zum Handelsrecht: Anders als der Unternehmerbegriff erfasst der handelsrechtliche Gewerbebegriff freie Berufe gerade nicht (§ 1 Abs. 2 HGB). Gewerblichkeit nach § 14 Abs. 1 Alt. 1 BGB setzt auch keine Gewinnerzielungsabsicht voraus, was beim handelsrechtlichen Gewerbebegriff hingegen umstritten ist.

3. Das Widerrufsrecht (§ 312g BGB) setzt einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder Fernabsatzvertrag voraus. Haben J und K einen solchen Außergeschäftsraumvertrag geschlossen?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag (Außergeschäftsraumvertrag) i.S.d. § 312b BGB setzt typischerweise eine vorvertragliche Kommunikation zwischen Unternehmer und Verbraucher bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit voraus. K und J waren zu keinem Zeitpunkt außerhalb der Geschäftsräume der K gleichzeitig persönlich anwesend. Ein Außergeschäftsraumvertrag i.S.d. § 312b BGB ist auch denkbar bei sogenannten "Kaffeefahrten" (Vertragsschluss auf einem Ausflug) gemäß § 312b Abs. 1 Nr. 4 BGB. Diese Fallgruppe ist hier offenkundig nicht einschlägig.

4. Wenn der Vertrag zwischen K und J ein Fernabsatzvertrag ist (§ 312c BGB), steht J ein Widerrufsrecht zu (§ 312g Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Ja!

Einem Verbraucher steht bei Außergeschäftsraumverträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht zu (§ 312g Abs. 1 BGB). Die Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrags sind: (1) Vertragsverhandlung und Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln und (2) Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems (§ 312c Abs. 1 BGB). Das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB ist ausgeschlossen, wenn einer der zahlreichen Ausschlusstatbestände des § 312g Abs. 2, Abs. 3 BGB erfüllt ist. Diese Ausschlusstatbestände sind vorliegen nicht erfüllt. In einem solchen Fall kannst Du gern einzelne Ausschlusstatbestände knapp anprüfen, die nicht vollkommen ausgeschlossen erscheinen. Verschwende hier aber nicht zu viel Zeit. Die Probleme in der Klausur liegen woanders!

5. Der Vertrag zwischen K und J ist unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen, obwohl J persönlich den AStA kontaktiert und dieser den Kontakt zu K vermittelt hat.

Genau, so ist das!

Das Erfordernis der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunikationsmitteln gilt für den Vertragsschluss (§§ 145, 147 BGB) und für die Vertragsanbahnung (z.B. invitatio ad offerendum). Ein persönlicher Kontakt des Verbrauchers mit dem Unternehmer oder dessen Stellvertreter in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Vertragsschluss schließt die Annahme eines Fernabsatzvertrags (§ 312c BGB) aus. Der Vertragsschluss zwischen J und K kam zustande, als J der K telefonisch das Mandant erteilt hat. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Vertragsschluss hatte J persönlichen Kontakt nur mit dem AStA. Dieser ist der J gegenüber jedoch nicht als Stellvertreter der K aufgetreten (§§ 133, 157 BGB).

6. J muss auch die zweite Voraussetzung des Fernabsatzvertrags - das Vorliegen eines organisierten Fernabsatzsystems - darlegen und beweisen, um sich auf ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 Alt. 2 BGB stützen zu können.

Nein, das trifft nicht zu!

Neben der ausschließlichen Verwendung von Fernkommunikationsmitteln setzt der Fernabsatzvertrag voraus, dass der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems (§ 312c Abs. 1 BGB) erfolgt. Ein organisiertes Fernabsatzsystem setzt voraus, dass die personelle und sachliche Organisation des Unternehmers es diesem jederzeit ohne Weiteres ermöglicht, für Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel zu verwenden. Die Klägerin muss grundsätzlich sämtliche Anspruchsvoraussetzungen darlegen und beweisen. Die Voraussetzung des Fernabsatzvertrags, dass der Vertragsschluss im Rahmen eines organisierten Fernabsatzsystems erfolgt, wird jedoch widerleglich vermutet („es sei denn“). Darlegung und Beweis des Gegenteils obliegen dem Unternehmer (RdNr. 12) - also nicht J, sondern K.

7. Ist die Vermutung eines organisierten Fernabsatzsystems dadurch widerlegt, dass K mit J nach Vertragsschluss in den Kanzleiräumen persönlich die Details der Beratung besprochen hat?

Nein!

Ein organisiertes Fernabsatzsystem setzt voraus, dass die personelle und sachliche Organisation seines Betriebs es dem Unternehmer jederzeit ohne Weiteres ermöglicht, für Vertragsverhandlungen und Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel zu verwenden. Ob eine persönliche Kontaktaufnahme nach Vertragsschluss erfolgt und wie sich die Leistungserbringung nach Vertragsschluss gestaltet, ist hingegen unerheblich (RdNr. 14). Die persönliche Besprechung zwischen K und J in den Kanzleiräumen hat erst nach Vertragsschluss stattgefunden und kann sich deshalb auf die Einordnung des Vertrags als Fernabsatzvertrag nicht mehr auswirken. Der BGH argumentiert mit dem Schutzzweck des Fernabsatzrechts: Der Verbraucher sei vor der Gefahr von Fehlentscheidungen zu schützen, der nach Vertragsschluss nicht mehr begegnet werden könne.

8. Ist die Vermutung eines organisierten Fernabsatzsystems widerlegt, wenn sich K auf Grundlage telefonischer Erstberatungsgespräche stets individuell für oder gegen einen Vertragsschluss entscheidet?

Nein, das ist nicht der Fall!

Über das Vorliegen eines organisierten Fernabsatzsystems entscheiden allein die Art und Weise der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses. BGH: Ob der Unternehmer nach jeder fernkommunikativen Vertragsverhandlung einen Vertragsschluss anbietet oder er diesen ablehnen kann, sei unerheblich. Auch auf welche Erkenntnisse der Unternehmer seine Entscheidung stützt, sei irrelevant, solange er diese Erkenntnisse unter ausschließlicher Nutzung von Fernkommunikationsmitteln gewinnt (RdNr. 20f.). Telefonische Erstberatungsgespräche sind Teil von Ks Vertragsverhandlungen. Selbst wenn K auf dieser Grundlage Vertragsschlüsse ablehnt, widerlegt dies nicht die Vermutung eines organisierten Fernabsatzsystems. Als Indiz gegen ein organisiertes Fernabsatzsystem erkennt der BGH einen hohen Grad an Individualisierung des Vertragsangebots an (RdNr. 20). Hierauf geht der BGH im Ausgangsfall angesichts zahlreicher Gegenindizien nicht näher ein.

9. Der späte Widerruf der J ist wirksam, wenn K die J nicht über ihr Widerrufsrecht belehrt hat. J kann dann von K Rückzahlung gezahlter Gebühren verlangen (§ 355 Abs. 3 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Steht dem Verbraucher bei einem Verbrauchervertrag ein Widerrufsrecht zu, so beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage (§ 355 Abs. 2 S. 1 BGB). Sie beginnt mit Vertragsschluss (§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB), jedoch nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher über Bedingungen, Fristen und Ausübung des Widerrufsrechts, sowie über das Muster-Widerrufsformular belehrt hat (§ 356 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BGB). Unterbleibt diese Belehrung, erlischt das Widerrufsrecht spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss (§ 356 Abs. 3 S. 2 BGB). Die Widerrufsfrist hat mangels Belehrung nie zu laufen begonnen. Als J nach 370 Tagen den Anwaltsvertrag mit K widerrufen hat, war ihr Widerrufsrecht auch noch nicht erloschen. Für Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Rücktritt, Minderung, Kündigung, Widerruf und Aufrechnung musst Du fast immer folgende fünf Punkte prüfen: (1) Grund, (2) kein Ausschluss, (3) Erklärung, (4) Form, (5) Frist.
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Eine Besprechung von:
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