Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2019

Mittäterschaft ohne Mitwirkung am Kerngeschehen?

Mittäterschaft ohne Mitwirkung am Kerngeschehen?

11. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A steht zufrieden vor einer Wohnung, in der wie geplant Schüsse fallen.

A plant, O gewaltsam unter Einsatz von Schusswaffen zu bestehlen. Er wirbt hierfür B und C an. A fährt sie zu Os Wohnung. B und C dringen in die Wohnung ein, schießen O an und entwenden €5.000. A wartet – wie geplant – vor der Wohnung, um die Beute abzutransportieren, die gleichmäßig verteilt wird. O verstirbt an seinen Verletzungen.

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Einordnung des Falls

Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist höchst relevant. Besonders umstritten ist dies in Fällen, in denen der Beschuldigter nicht bei der Tat selbst seinen Tatbeitrag geleistet hat. In diesem Beschluss hat der BGH aber bekräftigt, dass weder eine Mitwirkung am Kerngeschehen noch eine Anwesenheit am Tatort zwingend sei, um Mittäter zu sein. Maßgeblich sei ein objektiv wesentlicher Beitrag, der sich als Teil der Tätigkeit aller darstellen soll. Hierbei sei eine Einflussnahme auf Art, Umfang und Durchführung des Tatgeschehens wichtig.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnten B und C sich wegen Raubes mit Todesfolge strafbar gemacht haben (§§ 249 Abs. 1, 251 StGB)?

Ja, in der Tat!

Wegen Raub macht sich strafbar, wer mit Gewalt gegen eine Person eine fremde bewegliche Sache wegnimmt, um diese sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Verursacht der Täter (1) durch den Raub wenigstens (2) leichtfertig (3) den Tod eines anderen Menschen, liegt ein Raub mit Todesfolge vor.Beim Raub mit Todesfolge handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation. In einer Klausur müsstest Du zudem vorrangig noch prüfen, ob Mord („Habgier“) in Betracht kommt. Dafür bedürfte es subjektiv allerdings näherer Hinweise, ob ein entsprechender Tötungsvorsatz vorlag. Aus Klarstellungsgründen stehen Mord und Raub mit Todesfolge zueinander in Tateinheit.
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2. Haben B und C den Raub mit Todesfolge mittäterschaftlich verwirklicht (§ 25 Abs. 2 StGB)?

Ja!

Begehen mehrere eine Straftat gemeinschaftlich, wird jeder als Täter bestraft (§ 25 Abs. 2 StGB). Mittäterschaft setzt voraus, dass (1) die Täter aufgrund eines gemeinsamen Tatplans handeln und (2) sie die Tat gemeinsam, also arbeitsteilig ausführen. B und C hatten (zusammen mit A) den Plan gefasst, den O zu überfallen. Sie haben O angeschossen, um ihm Bargeld wegzunehmen und damit Gewalt gegen ihn angewendet, um seinen Gewahrsam an dem Bargeld zu brechen. Das Geld wollten sie sich und A zueignen. O ist infolge der Gewaltanwendung gestorben, was sie wenigstens leichtfertig in Kauf genommen haben.Auf die mittäterschaftliche Zurechnung musst Du in der Klausur nur eingehen, wenn die Täter jeweils für sich genommen nur Teilbeiträge erbracht haben.

3. Hat A at die unmittelbare Tat ebenfalls arbeitsteilig mit ausgeführt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Tathandlungen des Raubes sind (1) Gewaltanwendung und (2) Wegnahme. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.A hat keine Gewalt gegenüber O angewendet. A hat vor der Wohnung gewartet und sich nur am Abtransport des Geldes beteiligt. Zu diesem Zeitpunkt war der Gewahrsam bereits gebrochen und er konnte sich somit auch an der Wegnahmehandlung nicht mehr beteiligen. Er hat die Tat somit nicht arbeitsteilig mit ausgeführt und bei der Tatausführung somit keine Tatherrschaft.

4. Kann nach Auffassung des BGH auch derjenige Mittäter sein, der sich nicht arbeitsteilig am unmittelbaren Tatgeschehen beteiligt?

Ja, in der Tat!

BGH: Mittäter iSd § 25 Abs. 2 StGB sei, wer einen eigenen Tatbeitrag leiste und diesen so in die Tat einfüge, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handlung als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Der Mittäter müsse dabei aber nicht zwingend am Kerngeschehen teilnehmen oder am Tatort anwesend sein. Vielmehr könne er die Tatbestandsverwirklichung auch in sonstiger Weise fördern, wenn seine Mitwirkung nach dem Willen der Beteiligten ein Teil der Tat ist. Ob eine Person als Mittäter gilt, sei stets anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen (RdNr. 4, 5).Der BGH vertritt bei der Abgrenzung die sog. normative Kombinationstheorie. Bei der Gesamtbetrachtung werden objektive (Umfang der Tatbeteiligung, Tatherrschaft) und subjektive (Grad des eigenen Interesses, Wille zur Tatherrschaft) Elemente kombiniert.

5. Scheidet er als Mittäter automatisch aus, da A lediglich in die Planungen involviert war und bei der Tat nur den Abtransport verantwortete?

Nein!

BGH: Bei der Tatherrschaft in Form des Einflusses des Täters auf die Tatausführung handele es sich lediglich um eines der Kriterien, welche bei der wertenden Gesamtbetrachtung in den Blick zu nehmen sei. Deshalb scheidet die Mittäterschaft nicht immer dann aus, wenn dieses schwach oder gar nicht ausgeprägt sei. Vielmehr könnten Defizite in diesem Bereich ausgeglichen werden, wenn andere der in die Prüfung einzustellenden Kriterien stärker ausgeprägt sind.Bildlich gesprochen muss sich ein Mittäter also nicht zwingend selbst die Hände schmutzig machen. Es muss sich bei seinem Beitrag aber jedenfalls um einen – ex ante – auch objektiv wesentlichen Beitrag handeln und nicht um bloße Billigung oder Kenntnis der Tat.

6. Ist A Mittäter des Raubes mit Todesfolge zum Nachteil des O (§§ 249 Abs. 1, 251, 25 Abs. 2 StGB)?

Genau, so ist das!

BGH: A konnte seine Defizite bei der Tatherrschaft ausgleichen, da bei ihm die übrigen Kriterien der Mittäterschaft stärker ausgeprägt waren. A habe die Tat geplant und B und C angeworben. Die Beute sei wie geplant geteilt worden. A habe B und C zum Tatort gefahren und die Beute abtransportiert. Dass er selbst die Wohnung des O nicht betreten und sich nicht an der vom Tatplan gedeckten Gewaltausübung beteiligt habe, sei unerheblich. Vielmehr habe er nicht nur gewichtige Tatbeiträge geleistet, sondern nahm auf das Tatgeschehen selbst - wenn auch im Schwerpunkt im Vorfeld und bei der Planung der Tat – Einfluss (RdNr. 7).Der Fall zeigt einmal mehr, dass Du in der Klausur sämtliche Sachverhaltsangaben sorgfältig auswerten musst. Nur dann kannst Du die vom BGH geforderte wertende Gesamtbetrachtung ordentlich durchführen.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) von zwei Beteiligten (T+M), wenn T täterschaftlich alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, M aber nicht?

  1. Strafbarkeit des tatnächsten T (normale Prüfung wie Alleintäter, ohne § 25 Abs. 2 StGB zu erwähnen)
  2. Strafbarkeit des M
    1. Tatbestandsmäßigkeit
      1. Feststellung: M hat den objektiven Tatbestand nicht selbst (vollständig) verwirklicht
      2. Prüfung: Kann M die Tathandlung des T über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden? (Vss.: Gemeinsame Tatausführung mit wesentlichen Tatbeiträgen + gemeinsamer Tatentschluss)
      3. Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale (die gegenseitige Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 StGB erstreckt sich nur auf obj. TBM; bes. subj. TBM müssen jeweils in der Person des Mittäters vorliegen, getrennt geprüft und festgestellt werden)
    2. Rechtswidrigkeit
    3. Schuld
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Edward Hopper

Edward Hopper

29.11.2022, 09:11:18

Wie sieht mit Mord aus

Habgier

aus? Der müsste den Raub doch verdrängen

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.11.2022, 15:34:07

Hallo Edward, sehr guter Hinweis. Der große Senat des BGH hat hierzu in den 90ern entschieden, dass Raub mit Todesfolge und Mord zueinander in Tateinheit stehen (BGH GSSt 1/92 - Beschluss vom 20. Oktober 1992 = https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/92/gsst-1-92.php). Natürlich müsstest Du in einer Klausur den Mord bzw. Totschlag trotzdem prüfen. Schwerpunkt dieses Falles sollte vor allem die Abgrenzung Mittäterschaft - Beihilfe sein. Zu diesem Zweck haben wir den Sachverhalt nun leicht angepasst. Zudem haben wir als Hinweis ergänzt, dass die Tötungsdelikte in einer Klausur vorrangig zu prüfen wären. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PH

Phoenix

10.12.2022, 23:05:41

2 Fragen: 1. Ihr schreibt, dass die Erfolgsquali nicht im Tatbestand, sondern erst in der Schuld zu berücksichtigen ist. Das liegt sicher so im Hinblick auf Regelbeispiele, aber ist das auch bei der Quali so? N.m.A. ist dieser als qualifizierter Erfolg ein Teil des objektiven und subjektiven Tatbestands. 2. Muss sich der Tatplan iRd Mittäter-Abrede nicht auch auf die Tötung als leichtfertig in Kauf genommene Folge erstrecken oder ist jeder Miträuber (selbst wenn vom Tatort abwesend und ohne vorherige Abrede) auch nach

250 StGB

strafbar?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.12.2022, 09:39:22

Hallo Phoenix, vielen Dank für Deine guten Nachfragen. Der Hinweis war an dieser Stelle etwas missverständlich. Es ging hier darum, dass Du die Erfolgsqualifikation nicht gemeinsam mit dem Grunddelikt im objektiven Tatbestand prüfst, d.h. im Hinblick auf die Erfolgsqualifikation muss kein

Vorsatz

vorliegen. Es bieten sich hier zwei Möglichkeiten an, wie Du das aufbaust. Entweder Du prüfst komplett das Grunddelikt durch (also Tatbestand, RW, Schuld) und dann die Erfolgsqualifikation. Oder Du prüfst unter dem Punkt Tatbestandsmäßigkeit zunächst den obj. + subj. Tatbestand des Grunddelikts und im Anschluss dann die Erfolgsqualifikation (a) Verursachung der Erfolgsqualifikation, aa) Eintritt der schweren Folge, bb) Kausalität, cc)

Objektive Zurechnung

(wird teilweise nicht gesondert geprüft) , dd) Tatbestands

spezifischer Gefahrzusammenhang

(= Unmittelbarkeit) - z.B. bei § 251 StGB Tod als unmittelbare Folge der Raubhandlung b) Fahrlässigkeit, § 18 StGB (bei § 251 StGB mindestens

Leichtfertigkeit

). Im Anschluss kommen dann RW und Schuld. Zur Frage 2): Eine Zurechnung des Verhaltens eines Mittäters scheidet aus, wenn es sich dabei um einen von der gemeinsamen Planung nicht mehr gedeckten Exzess handelt. Hierfür genügt aber nicht schon jede kleine Abweichung, zumal dann nicht, wenn der Tatplan offen gestaltet ist und Raum für „situationsadäquate Reaktionen“ lässt oder die verabredete Vorgehensweise durch eine nach „Schwere und Gefährlichkeit gleichwertige“ ersetzt wird (MüKoStGB/Sander, 4. Aufl. 2021, StGB § 251 Rn. 13). Hier lässt der Sachverhalt ein wenig Interpretationsspielraum. Geplant war allerdings, den Raub „unter Einsatz“ von Schusswaffen durchzuführen. Damit sollte ausgedrückt werden, dass diese nicht nur mitgenommen, sondern auch benutzt werden sollten. Dass dabei jemand zu schaden kommen kann ist, selbst wenn ein entsprechender dolus eventualis nicht vorlag, jedenfalls leichtfertig. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

4.11.2023, 10:54:53

Ist die hier dargestellte Normative Kombinationstheorie des BGH gleich mit der modifizierten Animustheorie?

LELEE

Leo Lee

4.11.2023, 15:00:03

Hallo Pilea, genauso ist es! Die normative Kombinationstheorie ist das Gleiche wie die modifizierte Animustheorie des BGHs :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

MAG

Magnum

29.7.2024, 10:02:18

Erinnere ich es richtig, dass auch manche Vertreter der Tatherrschaftsl

ehre

zu einer Bestrafung des A aus Mittäterschaft kommen würden, weil das Minus in der Begehung durch ein Plus im Vorfeld ausgeglichen werden kann?


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Der BGH hat in diesem Urteil bekräftigt, dass dür die Abgrenzung zwischen dem unbeendeten und den beendeten Versuch der tätereigene, subjektive Rücktrittshorizont maßgeblich sei. Danach liege ein beendeter Versuch auch dann vor, wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Todeseintritt bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

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Anforderung an die Zueignungsabsicht - Aneignungsabsicht - Jurafuchs

Der BGH entscheidet hier über die Anforderungen, die an die Zueignungsabsicht zu stellen sind. Danach müsse der Täter die dauernde Enteignung des Berechtigten wenigstens billigend in Kauf nehmen, während er die Aneignung beabsichtigen muss. Hierfür sei aber nicht erforderlich, dass der Täter die Sache auf Dauer behalten wolle. Vielmehr genüge es, wenn Täter die Sache auch nur vorübergehend, seinem Vermögen einverleiben wolle. Hieran fehle es aber, wenn der Täter die Sache an sich bringt, ohne sie behalten zu wollen, beispielsweise zum Zerstören, Vernichten, Wegwerfen, Preisgeben, Beiseite schaffen oder Beschädigen. In solchen Fällen handele es sich lediglich um eine Sachentziehung.

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