Öffentliches Recht
Staatsorganisations-Recht
Politische Parteien
Anspruch auf Chancengleichheit (Wahl-O-Mat verfassungswidrig)
Anspruch auf Chancengleichheit (Wahl-O-Mat verfassungswidrig)
31. Mai 2025
15 Kommentare
4,7 ★ (60.359 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der Wahl-O-Mat dient als Entscheidungshilfe für die anstehende Europawahl, indem er Antworten zu politischen Thesen auswertet. Dessen Mechanismus setzt voraus, dass Nutzer selbst maximal 8 (von 41) Parteien auswählen, mit denen sie ihre politischen Ansichten abgleichen wollen.
Diesen Fall lösen 64,6 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Anspruch auf Chancengleichheit (Wahl-O-Mat verfassungswidrig)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die neu gegründete V-Partei will sich noch vor der Europawahl dagegen wehren. Statthafte Antragsart ist die einstweilige Anordnung (§ 123 Abs. 1 S. 2 VwGO).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 5 Abs. 1 PartG.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG beinhaltet ein Recht der Parteien auf Chancengleichheit.
Ja!
4. Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), eine nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, ist als Betreiberin des Wahl-O-Mat an die Grundrechte sowie an Art. 21 GG gebunden.
Genau, so ist das!
5. Der Anzeigemechanismus des Wahl-O-Mats beeinträchtigt das Recht der V-Partei auf Chancengleichheit, da er von vornherein kleinere und unbekanntere Parteien faktisch benachteiligt.
Ja, in der Tat!
6. Die BPB kann sich im Rahmen der Rechtfertigung auf die sog. abgestufte Chancengleichheit berufen.
Nein!
7. Die Beeinträchtigung der Chancengleichheit ist gerechtfertigt, da die Nutzer sich nur „spielerisch“ informieren sollen und gerade nicht zu einer Entscheidung gezwungen werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
chuck lawris
19.2.2022, 10:20:57
Man sollte im SV aufnehmen, dass die BPB den Wahlomat zur Verfügung stellt; sonst kann man die erste Frage nicht sicher beantworten, es könnte ja auch ZPO Anwendung finden, weil es Private zur Verfügung stellen. Man bräuchte auch die Info, dass nur 8 von 41 ANGEZEIGT werden. Sonst könnte man von ausgehen, dass alle 41 angezeigt werden und das Problem sodann darin liegt, dass man nur 8 zum Vergleich wählen kann 🙃
chuck lawris
19.2.2022, 10:26:37
Edit: das, was ich wg der Anzeige schrieb, ist nicht ganz richtig. Jedenfalls muss aber die Info über die Aufzählung ähnlich wie auf dem Stimmzettel in den SV :)

Lukas_Mengestu
21.2.2022, 17:27:07
Danke chuck, wir haben im Sachverhalt klargestellt, dass der Wahl-O-Mat vom Bund (durch die BPB) betrieben wird. Um ihn nicht zu überfrachten, haben wir die genauere Ausgestaltung weggelassen. Dies ist ein zusätzliches Argument des VG Köln, welches wir im Hinweistext bringen. Im Hinblick auf das übliche Nutzerverhalten (ich wähle die aus, die ich ohnehin kenne) lässt sich die Frage aber auch ohne dieses zusätzliche Argument beantworten :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
17.4.2022, 11:38:18
Warum stellt der Wahl-o-mat keine Leistung im Sinne des 5 Abs. 1 S. 1 PartG dar? Der vornehmlich Zweck des Wahl-o-maten ist zwar, den Wahlberechtigten eine Entscheidungshilfe zu bieten. Zugleich wird damit aber auch den Parteien eine Plattform zur Verbreitung ihres Programms bzw. von Teilen dessen zur Verfügung gestellt.

Lukas_Mengestu
21.4.2022, 15:11:52
Hallo QuiGonTim, grundsätzlich ist es hier auch vertretbar, eine öffentliche Leistung anzunehmen. Das kommt letztlich darauf an, wo man den Schwerpunkt setzt. Setzt man den Wahlomat mit Sendezeiten im Fernsehen gleich, dann könnte man hier durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass eine öffentliche Leistung vorliegt. Sieht man dagegen - wie wir - den Schwerpunkt darin, dass es sich um ein Informationsangebot an Wähler und politisch Interessierte handelt, das eher mit redaktionellen Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichbar ist, so ist hier eine öffentliche Leistung abzulehnen. Dass er den Parteien eine Plattform bietet , ist insoweit eher ein Reflex (vgl. Hornung/Kammermaier, Wahl-O-Mat und Wahlautomat, JuS 2012, 931). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Natze
28.8.2024, 19:49:10
Mir fehlt hier auch eine „Leistungsdefinition“. Daran könnte man es am besten noch differenzieren. Ich tendierte auch eher Richtung Leistung bis ich eines besseren hier belehrt wurde 🙂
Diaa
21.8.2023, 20:36:43
Ich verstehe gerade nicht, wieso sich die Partei dagegen wehren möchte?

Cosmonaut
10.1.2024, 16:38:10
Hallo Diaa, die sich wehrende Partei ist eine sehr kleine, unbekannte Partei. Die Chance, dass ein Wahl-O-Mat-Nutzer gerade eine solche kleine, unbekannte Partei als eine von 8 Referenzparteien erwählt, liegt objektiv-mathematisch bereits bei nur 8/39 (= ca. 20%; Stand 2021). Große, bekannte Parteien (CDU, Grüne, FDP, SPD, …) werden jedoch wohl regelmäßig sehr viel wahrscheinlicher angeklickt, schlichtweg weil sie dem Nutzer etwas sagen und er z.B. gerne wissen will, wie viel „Genosse“ in ihm steckt. Das führt wiederum dazu, dass die persönlichen politischen Meinungen, die im Wahl-O-Mat mit 38 Thesen abgeglichen werden, am Ende nur mit den Standpunkten dieser acht anfänglich erwählten Parteien abgeglichen und auf Kohärenz geprüft werden und der Nutzer dann eben sehr wahrscheinlich einfach die Partei in den BT wählt, die dort das beste Ergebnis hatte. Du siehst: Die kleine, unbekannte Partei, deren politisches Programm vielleicht sogar zu 100% mit dem Profil des Nutzers übereinstimmt, kam bis jetzt noch nicht einmal zum Zug.

Natze
28.8.2024, 19:57:06
wird „lediglich“ an der deutschen Verfassung gemessen oder auch an europäischen Vorgaben, da es eine Europawahl ist?
ehemalige:r Nutzer:in
4.12.2024, 12:22:33
Auch wenn es vorrangig um Staatsorganisationsrecht geht, könnte man vielleicht kurz den Hinweis hinzufügen, dass trotz Bezugnahme auf das Grundgesetz kein verfassungsrechtlicher Streit (40 VwGO) vorliegt :)
Carolin
17.1.2025, 15:46:07
Das wäre tatsächlich meine Frage: weshalb ist die Streitigkeit keine verfassungsrechtliche ?

Linne_Karlotta_
17.1.2025, 17:12:16
Hey Carolin, kurz gesagt: weil keine „
doppelte Verfassungsunmittelbarkeit“ vorliegt. Die Frage, ob eine Streitigkeit „
nichtverfassungsrechtlicher Art“ i.S.v. § 40 Abs. 1 VwGO ist, beinhaltet zwei Bezugspunkte: 1. Die Streitsubjekte und 2. das Streitobjekt. Das heißt: Eine Streitigkeit ist nur dann verfassungsrechtlicher Art, wenn Verfassungsorgane über Verfassungsrecht streiten. (Nachzulesen z.B. bei Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 46. EL August 2024, § 40 RdNr. 136ff.) Hier betrifft das Streitobjekt zwar Verfassungsrecht (politische Chancengleichheit), aber weder die Partei, noch die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) ist ein Verfassungsorgan. Siehe zu dem Thema auch unser Kapitel dazu im VwGO-Kurs: https://applink.jurafuchs.de/KoXHmwiDeQb Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

DDoubleYou
13.5.2025, 15:21:57
Liebes Jurafuchs-Team, wieso wird auf die abgestufte Chancengleichheit aus § 5 I 2 PartG eingegangen, wenn ein Anspruch aus Artt. 21 I iVm 3 I GG geprüft wird? Müsste für die Anwendbarkeit des § 5 I 2 PartG nicht geprüft werden, ob dies eine verfassungskonforme
Konkretisierungvon Art. 21 I GG darstellt? Oder wurde die Prüfung ausgelassen, da § 5 I PartG wegen der fehlenden öffentlichen Leistung sowieso nicht anwendbar war? Dann verstehe ich aber nicht, warum dies überhaupt angesprochen worden ist (aus didaktischen Gründen)? Hätte die Prüfung der
Konkretisierungdenn ansonsten erfolgen müssen? Vielen Dank!