Strafrecht

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Strafrechtsklassiker: die Gewahrsamsenklave - Jurafuchs

Strafrechtsklassiker: die Gewahrsamsenklave - Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T wird von einem Ladendetektiv am Verlassen eines Supermarkts gehindert. In Ts Rucksack befindet sich Diebesgut.

In dem Supermarkt S steckt T fünf Flaschen Jägermeister im Wert von je €11,40 in seinen Rucksack, um diese unbezahlt für sich zu verwenden. Bevor er den Laden verlassen kann, wird er gestellt.

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Einordnung des Falls

Ein Klassiker: Die Gewahrsamsenklave. Bei kleinen, leicht beweglichen Sachen genügt für eine Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache für die Annahme einer vollendeten Wegnahme. Durch das Einstecken der Sache bringt der Täter die Sache auch schon im Ladengeschäft in einer Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich, dass der Gewahrsam an der Sache durch den bisherigen Inhaber bereits gebrochen ist. Der bisherige Gewahrsamsinhaber kann ohne Behinderung des Täters nicht mehr über die Sache verfügen. Wer die tatsächliche Sachherrschaft innehat, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls und den Anschauungen des tatsächlichen Lebens.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Setzt der objektive Tatbestand des „Diebstahls" (§ 242 Abs. 1 StGB) die „Wegnahme einer fremden beweglichen Sache" voraus?

Ja, in der Tat!

Als T die Flaschen in seinen Rucksack steckte, standen diese im Eigentum des S und waren für T fremde bewegliche Sachen. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ob und wer Gewahrsam an einer Sache hat, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles und den Anschauungen des täglichen Lebens. Danach bestand ursprünglich Gewahrsam des Supermarktinhabers. Da T sich noch in fremder Gewahrsamssphäre befand, als er die Flaschen in seinen Rucksack verbrachte, ist zu klären, ob dadurch überhaupt der Gewahrsam auf T wechseln konnte.
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2. Konnte T an den Flaschen keinen „neuen Gewahrsam" begründen, da dies in einer fremden Gewahrsamssphäre nicht möglich ist?

Nein!

Für die Frage des Gewahrsamswechsels ist entscheidend, ob der Täter die tatsächliche Sachherrschaft derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens. Danach wechselt auch in einer fremden Gewahrsamssphäre der Gewahrsam, wenn der Täter die Sache in seine Körpergewahrsamssphäre verbringt (sog. Enklaventheorie). Für die soziale Zuordnung ist dabei vor allem auf die Größe des Gegenstandes zu rekurrieren.

3. Hat T an den Flaschen „neuen Gewahrsam" begründet, indem er sie in seinen Rucksack steckte?

Genau, so ist das!

Bei ganz kleinen Sachen lässt die Verkehrsauffassung für den Gewahrsamswechsel schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in seine Kleidung, schließt er allein dadurch die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet neuen Gewahrsam. Die Verkehrsauffassung weist daher im Regelfall einer Person, die einen Gegenstand in der Tasche ihrer Kleidung trägt, die ausschließliche Sachherrschaft zu, und zwar auch dann, wenn er sich noch in fremder Gewahrsamssphäre befindet. Für kleine Sachen kann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft – wie hier – in seinen Rucksack steckt. Mithin hat T neuen Gewahrsam begründet. Da dies ohne Einverständnis geschah, hat er die Flaschen weggenommen.

4. Hat T zwar den Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) verwirklicht, allerdings besteht ein „Strafantragserfordernis" nach § 248a StGB?

Nein, das trifft nicht zu!

T handelte vorsätzlich und mit der Absicht rechtswidriger Zueignung. Rechtswidrigkeit und Schuld liegen vor. Für den Diebstahl geringwertiger Sachen besteht nach § 248a StGB ein Antragserfordernis. Maßgeblich ist der objektive Verkehrswert, also der am Markt zu erzielende Verkaufspreis im Moment der Tat. Da der BGH die Wertgrenze bei €25 zieht, ist die einzelne Flasche für sich genommen geringwertig. Bei mehreren Tatobjekten ist aber der Gesamtwert entscheidend. Dieser liegt hier oberhalb der €25, so dass ein Antragserfordernis nicht besteht.

5. Hat T sich wegen „Hausfriedensbruch" (§ 123 Abs. 1 Var. 1 StGB) strafbar gemacht, indem er den Supermarkt betrat?

Nein!

Tathandlung des § 123 Abs. 1 Var. 1 StGB ist das widerrechtliche Eindringen. Eindringen ist das Betreten gegen oder ohne den Willen des Berechtigten. Der Supermarkt ist jedoch für den Kundenverkehr geöffnet. Bei einer solchen generellen Zutrittserlaubnis liegt nach h.M. ein Eindringen nicht bereits vor, wenn der Betreffende eintritt, um eine Straftat zu begehen. Vielmehr komme es darauf an, ob sein Verhalten nach dem äußeren Erscheinungsbild von einem normalen, gestatteten Betreten abweicht. Dies ist hier aber nicht der Fall. Trotz diebischer Absichten ist T nicht wegen Hausfriedensbruch strafbar.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

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