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Klausurklassiker des Geschäftsordnungsrechts

Klausurklassiker des Geschäftsordnungsrechts

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Wenn zwischen Geschäftsordnungsrecht und Grundgesetz Widersprüche auftreten, sind das oft „Klausurklassiker“. Was haben diese Widersprüche für Folgen für die formelle Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen?

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Weniger als fünf Prozent der Abgeordneten bringen eine Gesetzesinitiative beim Bundestag ein. Der Bundestag beschließt das Gesetz trotzdem. Ist dies verfassungskonform?

Ja!

Das GG sagt nicht, was unter „Mitte des Bundestages“ (Art. 76 Abs. 1 Var. 2 GG) zu verstehen ist. Der Bundestag hat kraft seiner Geschäftsordnungsautonomie (Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG) den Begriff „aus der Mitte des Bundestages“ mit § 76 Abs. 1 GO-BT in verfassungsrechtlich zulässiger Weise konkretisiert. Danach müssen Vorlagen von einer Fraktion oder von fünf Prozent der Mitglieder des Bundestags unterzeichnet sein (§ 76 Abs. 1 GO-BT). Wenn der Bundestag die Gesetzesvorlage aber ordnungsgemäß beschließt, hat sich der Bundestag die Gesetzesvorlage durch den Gesetzesbeschluss zu eigen gemacht hat. Somit stammt sie „aus der Mitte des Bundestages“.
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2. Die Ausschüsse des Bundestages können nicht über die Gesetzesvorlage beraten, bevor der Bundestag das Gesetz beschließt. Ist dies verfassungskonform?

Genau, so ist das!

Grundsätzlich überweist das Plenum des Bundestages am Schluss der ersten Lesung die Gesetzesvorlage an einen (federführenden) Ausschuss (§ 80 Abs. 1. S. 1 GO-BT). Die Art. 76-82 GG fordern allerdings allein den Gesetzesbeschluss durch den Bundestag (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG) und keine Beteiligung der Ausschüsse an der Gesetzgebung. Auch Verstöße gegen sonstige Normen des GG sind regelmäßig nicht ersichtlich. Enthält der Sachverhalt keine Angaben zur Befassung der Ausschüsse, kannst Du davon auszugehen, dass die Ausschüsse ordnungsgemäß beteiligt wurden.

3. Der Bundestag führt weniger als drei Lesungen vor dem Gesetzesbeschluss durch. Im Plenum hat er das Gesetz dennoch ausführlich diskutiert. Ist dies verfassungskonform?

Ja, in der Tat!

Zwar verstößt eine Beschlussfassung nach weniger als drei Lesungen gegen § 78 Abs. 1 S. 1 GO-BT. Das GG normiert aber keine Anforderungen über die Anzahl der Lesungen. Das Grundgesetz fordert nur den Gesetzesbeschluss des Bundestages (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG). Auch Verletzungen der parlamentarischen Mitwirkungsrechte der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) sowie Verstöße gegen das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 GG) scheiden aus, wenn der Bundestag das Gesetz ausführlich diskutiert hat.

4. Weniger als fünf Prozent der Abgeordneten sind bei dem Gesetzesbeschluss anwesend. Ist dies verfassungskonform?

Nein!

Die Beschlussfähigkeit des Bundestags ist nicht im GG geregelt. Nach Maßgabe des Geschäftsordnungsrechts wird widerleglich vermutet, dass der Bundestag beschlussfähig ist (§ 45 Abs. 2 S. 1 GO-BT). Die verfassungsrechtliche Untergrenze sollte bei einer Anwesenheit von weniger als fünf Prozent der Abgeordneten gezogen werden. Die Ausgestaltung der Beschlussfähigkeit in der GO-BT muss sich an die verfassungsrechtlichen Grenzen (1) des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 GG), (2) der Rechte der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) sowie (3) der Vorschriften über die Beschlüsse des Bundestages (v.a. Art. 42 Abs. 2 S. 1, 77 Abs. 1 S. 1 GG) halten.

5. Allein der Bundeskanzler oder der fachlich zuständigen Minister (aber nicht beide) zeichnen das Gesetz gegen. Ist dies verfassungskonform?

Genau, so ist das!

§ 29 Abs. 1 S. 1 GO-BReg fordert zwar, dass Bundesgesetze vom Bundeskanzler und vom zuständigen Bundesminister gegengezeichnet werden. Nach Art. 58 S. 1 GG reicht aber die Gegenzeichnung entweder durch den Bundeskanzler oder den fachlich zuständigen Minister aus. Für die formelle Verfassungsmäßigkeit ist allein Art. 58 S. 1 GG maßgeblich. Jedoch sind die Mitglieder der Bundesregierung organintern an § 29 Abs. 1 S. 1 GO-BReg gebunden. In der Praxis werden daher sowohl der Bundeskanzler als auch der fachlich zuständige Minister das Gesetz gegenzeichnen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SER

Seriouz0G

7.8.2023, 11:13:09

Ich finde es etwas verwirrend, dass hinsichtlich des Gesetzeinitiativrechts gesagt wird, dass das Einbringen durch weniger als fünf Prozent der Mitglieder des Bundetags nicht die formelle Verfassungswidrigkeit nach sich zieht, weil der Bundestag sich das Gesetz „zu eigen macht“. Ist es nicht so, dass § 76 I GOBT den Begriff der „

Mitte des Bundestages

“ zwar in verfassungsrechtlich zulässiger Weise konkretisiert, bei der Auslegung des Begriffs dennoch der Verfassung immer Vorrang zu gewähren. Insofern müsste Art. 76 GG erstmal unter den einzelnen Wertungen der Verfassung betrachtet werden. In diesem Fall - sofern also eindeutig weniger als fünf Prozent an der Gesetzesinitiative beteiligt sind - erscheint es sinnvoller auf den vom Grundgesetz vorgesehenen Minderheitenschutz abzustellen, so dass sogar ein einzelner Abgeordneter initiativberechtigt ist. Dem Argument, dass dies ggf. die Funktionsfähigkeit des Parlaments beeinträchtigen könne, wäre entgegenzuhalten, dass das Grundgesetz von verantwortungsvollen, gemeinwohlorientierten Abgeordneten ausgeht und überdies auch Fraktionen ihr Initiativrecht zweckentfremden könnten.

CR7

CR7

10.8.2023, 08:20:25

Warum kann nicht ein einzelner Abgeordneter eine Gesetzesvorlage einbringen?

CR7

CR7

18.8.2023, 14:30:51

Hat sich geklärt.

Martin

Martin

24.3.2024, 15:46:08

Liebes Team, Wenn nur der Bundeskanzler gegenzeichnen würde, wäre dann nicht ein Verstoß gegen das Ressortprinzip aus Art. 65 S. 2 zu sehen? LG Martin

Dogu

Dogu

1.7.2024, 18:36:38

Aber in Art. 58 S. 1 GG steht doch explizit, dass das zulässig ist.


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