Nachtragsanklage - Fehlen eines Einbeziehungsbeschlusses

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen (§ 29 Abs. 1 BtMG) verurteilt. Ein Fall wurde im Wege der Nachtragsanklage eingeführt (§ 266 Abs. 1 StPO). Das Protokoll enthält zur Reaktion des Gerichts keine Angaben. A geht in Revision.

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Einordnung des Falls

Nachtragsanklage - Fehlen eines Einbeziehungsbeschlusses

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Einbeziehung neuer prozessualer Taten im Wege der Nachtragsanklage durch das Gericht ist formlos möglich (§ 266 Abs. 1 StPO).

Nein!

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 266 Abs. 1 StPO erfolgt die Einbeziehung durch das Gericht im Wege des Gerichtsbeschlusses. Der Einbeziehungsbeschluss hat (1) ausdrücklich zu erfolgen, (2) ist in der Hauptverhandlung zu verkünden und (3) als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in die Niederschrift der Hauptverhandlung aufzunehmen. Es genügt also nicht, dass die weitere Tat, sei es auch für alle Prozessbeteiligten erkennbar, stillschweigend zum Gegenstand der HV gemacht wird. Merke: Die Nachtragsanklage durch den Staatsanwalt tritt an die Stelle der Anklage, der Einbeziehungsbeschluss an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses. Die inhaltlichen Anforderungen sind deshalb dieselben.
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2. Das Vorliegen eines Einbeziehungsbeschlusses kann nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Regelmäßig ist das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen im Freibeweis zu ermitteln. Der nach § 266 Abs. 1 StPO erforderliche Gerichtsbeschluss gehört aber zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens (§ 273 Abs. 1 StPO), da er für die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens von grundlegender Bedeutung ist. Die wesentlichen Förmlichkeiten können nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).

3. Ergibt sich vorliegend aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass das Gericht einen Einbeziehungsbeschluss getroffen hat?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).Aus dem Protokoll ergibt sich das Vorliegen des Einbeziehungsbeschlusses nicht. Deshalb gilt der Einbeziehungsbeschluss als nicht erfolgt.

4. Der Einbeziehungsbeschluss war vorliegend aber ausnahmsweise entbehrlich.

Nein!

Der fehlende Einbeziehungsbeschluss ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn (1) das Gericht unzweifelhaft die in der Nachtragsanklage bezeichneten Taten zum Gegenstand der Verhandlung machen wollte, (2) allen Beteiligten dies bewusst war und (3) der Angeklagte genau erkennen konnte und erkannt hat, welche neuen Taten ihm zur Last gelegt wurden. Grund: Liegen diese Voraussetzungen vor, ist für den Angeklagten auch ohne Beschluss eindeutig erkennbar, dass das Gericht über die neuen Taten entscheidet. Er ist dann nicht in seiner Verteidigung beschränkt. Es liegen keine Anhaltspunkte, dass A auf andere Weise ausreichend über die Einbeziehung informiert wurde. Der Einbeziehungsbeschluss war deshalb nicht entbehrlich.

5. Da der Gerichtsbeschluss fehlt, stellt das Revisionsgericht das Verfahren hinsichtlich dem nachträglich angeklagten Fall ein.

Genau, so ist das!

Der Gerichtsbeschluss nach § 266 Abs. 1 StPO tritt an die Stelle des Eröffnungsbeschluss. Er stellt deshalb genau wie dieser eine Verfahrensvoraussetzung dar. Fehlt er gänzlich oder leidet er an schweren formellen Fehlern, fehlt diese Verfahrensvoraussetzung. Das Urteil muss insoweit aufgehoben und das Verfahren eingestellt werden (§ 354 Abs. 1 StPO).
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