Nachtragsanklage - Fehlen eines Einbeziehungsbeschlusses

1. Juni 2025

6 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen (§ 29 Abs. 1 BtMG) verurteilt. Ein Fall wurde im Wege der Nachtragsanklage eingeführt (§ 266 Abs. 1 StPO). Das Protokoll enthält zur Reaktion des Gerichts keine Angaben. A geht in Revision.

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Einordnung des Falls

Nachtragsanklage - Fehlen eines Einbeziehungsbeschlusses

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Einbeziehung neuer prozessualer Taten im Wege der Nachtragsanklage durch das Gericht ist formlos möglich (§ 266 Abs. 1 StPO).

Nein!

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 266 Abs. 1 StPO erfolgt die Einbeziehung durch das Gericht im Wege des Gerichtsbeschlusses. Der Einbeziehungsbeschluss hat (1) ausdrücklich zu erfolgen, (2) ist in der Hauptverhandlung zu verkünden und (3) als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in die Niederschrift der Hauptverhandlung aufzunehmen. Es genügt also nicht, dass die weitere Tat, sei es auch für alle Prozessbeteiligten erkennbar, stillschweigend zum Gegenstand der HV gemacht wird. Merke: Die Nachtragsanklage durch den Staatsanwalt tritt an die Stelle der Anklage, der Einbeziehungsbeschluss an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses. Die inhaltlichen Anforderungen sind deshalb dieselben.
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2. Das Vorliegen eines Einbeziehungsbeschlusses kann nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Regelmäßig ist das Fehlen von Verfahrensvoraussetzungen im Freibeweis zu ermitteln. Der nach § 266 Abs. 1 StPO erforderliche Gerichtsbeschluss gehört aber zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens (§ 273 Abs. 1 StPO), da er für die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens von grundlegender Bedeutung ist. Die wesentlichen Förmlichkeiten können nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).

3. Ergibt sich vorliegend aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass das Gericht einen Einbeziehungsbeschluss getroffen hat?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO).Aus dem Protokoll ergibt sich das Vorliegen des Einbeziehungsbeschlusses nicht. Deshalb gilt der Einbeziehungsbeschluss als nicht erfolgt.

4. Der Einbeziehungsbeschluss war vorliegend aber ausnahmsweise entbehrlich.

Nein!

Der fehlende Einbeziehungsbeschluss ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn (1) das Gericht unzweifelhaft die in der Nachtragsanklage bezeichneten Taten zum Gegenstand der Verhandlung machen wollte, (2) allen Beteiligten dies bewusst war und (3) der Angeklagte genau erkennen konnte und erkannt hat, welche neuen Taten ihm zur Last gelegt wurden. Grund: Liegen diese Voraussetzungen vor, ist für den Angeklagten auch ohne Beschluss eindeutig erkennbar, dass das Gericht über die neuen Taten entscheidet. Er ist dann nicht in seiner Verteidigung beschränkt. Es liegen keine Anhaltspunkte, dass A auf andere Weise ausreichend über die Einbeziehung informiert wurde. Der Einbeziehungsbeschluss war deshalb nicht entbehrlich.

5. Da der Gerichtsbeschluss fehlt, stellt das Revisionsgericht das Verfahren hinsichtlich dem nachträglich angeklagten Fall ein.

Genau, so ist das!

Der Gerichtsbeschluss nach § 266 Abs. 1 StPO tritt an die Stelle des Eröffnungsbeschluss. Er stellt deshalb genau wie dieser eine Verfahrensvoraussetzung dar. Fehlt er gänzlich oder leidet er an schweren formellen Fehlern, fehlt diese Verfahrensvoraussetzung. Das Urteil muss insoweit aufgehoben und das Verfahren eingestellt werden (§ 354 Abs. 1 StPO).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Felix Finito

Felix Finito

11.2.2025, 13:43:19

Wenn der Einziehungs

beschluss

dem

Eröffnungsbeschluss

entspricht und eine Verfahrensvoraussetzung darstellt, wieso erfolgt die Einstellung bzgl. der (nicht) einbezogenen Taten nicht nach § 206a StPO ?

QUEERS

QueerSocialistLawyer

15.2.2025, 12:46:17

hab ich mich auch gefragt, weil es in den Aufgaben bis jetzt so wirkt, wie wenn § 354 I StPO bei Verfahrensfehlern eingreift und § 206a bei Verfahrenshindernissen

ALE

Aleks_is_Y

18.2.2025, 16:39:14

In der Aufgabe davor wurde glaube ich ein Meinungsstreit dargestellt, wonach die hM einen Mangel in der Nachttragsanklage als Verfahrensfehler einordnet und nicht als Verfahrensvoraussetzung (und dadurch die Hürden für eine erfolgreiche Revision anhebt)

Felix Finito

Felix Finito

18.2.2025, 18:11:11

Ich habe nochmal nachgeschaut: § 206a StPO findet dann Anwendung, wenn das Verfahrenshindernis erst im Rechtsmittelverfahren eintritt (zB Rücknahme des Strafantrags, Verjährung etc.). § 354 I StPO findet wiederum dann Anwendung, wenn bereits bei Urteilserlass ein Verfahrenshindernis vorlag, aber vom Ausgangsgericht übersehen wurde. Steht zumindest so im M-G/S, § 206a Rn. 6, 6a

MO

Moritz94

7.5.2025, 23:31:06

Bitte bei der Subsumtion zur vorletzten Frage vor dem Komma ein "vor" einfügen. Außerdem den Aufgabentext hinsichtlich des Kasus in "hinsichtlich des nachträglich angeklagten Falles" ändern.

Linne Hempel

Linne Hempel

19.5.2025, 12:40:12

Hallo Moritz94, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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