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Täter nicht mehr "Herr seiner Entschlüsse" wegen Elektroschocks? Die Freiwilligkeit beim Rücktritt - Jurafuchs

Täter nicht mehr "Herr seiner Entschlüsse" wegen Elektroschocks? Die Freiwilligkeit beim Rücktritt - Jurafuchs

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A bedroht Juwelierin D in ihren Geschäft mit einem Elektroschocker. Dabei versetzt er sich selbst versehentlich einen Elektroschock.

A besucht Juwelierin D. Mit einem Elektroschocker will er die Herausgabe von Schmuck erzwingen. Beim Einschalten versetzt er sich selbst einen Schlag, dann D und dann sich selbst immer wieder. Er kann keinen klaren Gedanken fassen und flieht panisch. Den Schmuck lässt er zurück.

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Einordnung des Falls

Der BGH konkretisiert in dieser Entscheidung die Anforderungen, die an einen freiwilligen Rücktritt zu stellen sind. Ein Kriterium der Freiwilligkeit ist, ob äußere Umstände der Tatvollendung entgegenstehen. Auch wenn dies nicht der Fall ist, könne ein Rücktritt doch unfreiwillig sein, wenn innere Umstände entgegenstünden. Maßgeblich sei, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ ist. Dies sei nicht der Fall, wenn er aufgrund von selbst versehentlich zugesetzten Elektroschocks nicht mehr klar denken kann.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A das Versuchsstadium einer besonders schweren räuberischen Erpressung (§§ 255 i.V.m. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) erreicht?

Genau, so ist das!

Der Versuch beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes (§ 22 StGB). Der Täter setzt unmittelbar an, wenn er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert sind und im Falle ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen. (Fischer, 64. Aufl. 2017, § 22 RdNr. 10). A hat bereits durch die Gewaltanwendung gegenüber D unmittelbar angesetzt. Der Einsatz des Elektroschockers sollte ohne Zwischenakte zur Herausgabe des Schmucks führen.
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2. Ist der Versuch fehlgeschlagen?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Taterfolg aus der Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird (Fischer, 64. Aufl. 2017, § 24 RdNr. 7). A hätte den Schmuck, der bereits offen vor ihm lag, bei seiner Flucht aus dem Geschäft mitnehmen können.

3. Ist der Rücktritt vom Versuch freiwillig (§ 24 StGB), wenn er aus autonomen Motiven erfolgt?

Ja!

Freiwilligkeit des Rücktritts liegt vor, wenn der Täter die Tat aus selbstgesetzten (= autonomen) Motiven nicht mehr erreichen will. Er darf weder durch eine äußere Zwangslage noch durch einen seelischen Druck an der Vollendung der Tat gehindert sein (= heteronome Motive) (Fischer, 64. Aufl. 2017, § 24 RdNr. 19).

4. Hätte A sich wegen besonders schweren Raubes (§§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) strafbar gemacht, wenn A die Tat vollendet hätte?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Rechtsprechung grenzt Raub (§ 249 StGB) und räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) nach dem äußeren Erscheinungsbild ab: Raub ist gegeben, wenn der Täter die Sache wegnimmt (Wegnahme), räuberische Erpressung, wenn das Opfer sie preisgibt (Weggabe) (Fischer, 64. Aufl. 2017, § 253 RdNr. 11). A nutzte den Elektroschocker, um die Herausgabe des Schmucks durch D mit Gewalt durchzusetzen. Der Elektroschocker ist eine bewegliche Sache, die ihrer Art nach zur Verursachung erheblicher Verletzungen von Personen generell geeignet und bestimmt ist (vgl. Fischer, 64. Aufl. 2017, § 250 RdNr. 4), und ist mithin eine Waffe (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB).

5. Ist A freiwillig vom Versuch zurückgetreten?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Die Rücktrittshandlung ist unfreiwillig, wenn willensunabhängige Tatumstände das Weiterhandeln unmöglich machen. Das können auch unwiderstehliche innere Hemmungen sein, etwa infolge eines Schocks oder seelischen Drucks. Entscheidend ist, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt. A geriet in Panik und war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Er blieb also nicht Herr seiner Entschlüsse. Dass A beim fluchtartigen Verlassen des Geschäfts keine Schmuckstücke an sich nahm, beruhte nicht auf einer willensgesteuerten Entscheidung. Er ist nicht strafbefreiend zurückgetreten (RdNr. 4f.).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du den Rücktritt vom unbeendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB)?

  1. Kein fehlgeschlagener Versuch
  2. Unbeendeter Versuch
  3. Rücktrittshandlung: Aufgabe der weiteren Tatausführung (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB)
  4. Freiwilligkeit

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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

NGA

Nico Ga

7.4.2022, 21:41:23

Bzgl Frage 3 ist m.E. aus der Frage bzw. dem Sachverhalt nicht ersichtlich, dass bereits Schmuck offen vor dem Täter liegt :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.4.2022, 08:26:45

Hallo Nico, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deine Rückfrage. Eine Besonderheit bei Jurafuchs ist, dass unsere Fälle illustriert sind. Diese Illustrationene sehen nicht nur schön aus, sondern bilden auch einen Teil des Sachverhaltes. Daran muss man sich anfangs erst einmal gewöhnen :-) Aus der Illustration wird hier nach unserer Einschätzung hinreichend deutlich, dass der Schmuck hier offen vor A auslag und er also nur hätte zugreifen müssen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

nullumcrimen

nullumcrimen

14.5.2024, 17:59:57

Sehe ich auch so! Ich habe auch nicht rauslesen können, dass der Schmuck bereits vor ihm liegt

Hendrik

Hendrik

17.4.2023, 10:31:59

Ließe sich hinsichtlich des Fehlschlags auch vertreten, dass ein solcher vorliegt, insofern T "keinen klaren Gedanken" mehr fassen konnte, dadurch seine Handlungen nicht mehr gezielt steuern konnte und entsprechend nach seiner Vorstellung die Vollendung nicht mehr herbeiführen konnte? Zwar lag der Schmuck offen zugänglich auf der Vitrine und objektiv hätte T den Schmuck mitnehmen können, aber gerade bei Berücksichtigung des Täterhorizonts bei letzter Tathandlung scheint T selbst es ja nicht mehr für möglich gehalten zu haben. Oder fehlen dafür Angaben im SV?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

17.4.2023, 13:46:08

Hallo Hendrik, danke für deine Meinung. Die Gedankenwelt des Täters ist für die Freiwilligkeit des Rücktritts relevant. Der Fehlschlag beurteilt sich anhand der äußeren Tatumstände. Es ist zu prüfen, ob der Täter den Tatplan mit dem ihm zur Verfügung stellenden Mitteln zu Ende führen kann ohne dass es zu einer Zäsur oder Tatplanänderung kommt. Ist es ihm also grundsätzlich noch möglich mit den Mitteln den Erfolg herbeizuführen? Hier war es durchaus noch möglich die Verkäuferin zu überwältigen und den Schmuck ansichzunehmen. D ist nicht weggerannt, weil erkenntbar war, dass die Verkäuferin sich dadurch nicht überwältigen lässt oder der Schmuck zu stark gesichert ist. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Hendrik

Hendrik

17.4.2023, 15:11:27

Hallo Nora, danke für die schnelle Antwort. Wird das Rücktrittsstadium und damit das Vorliegen eines Fehlschlags nicht gerade aus Sicht des Täters bestimmt? In der Antwort zur Frage mit dem Fehlschlag definiert ihr es mit Verweis auf Fischer so, dass ein Fehlschlag vorliegt, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird. Nach dem AT Lehrbuch von Jäger liegt ein Fehlschlag vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung davon ausgeht, noch nicht alles Erforderliche zur Erfolgsherbeiführung getan zu haben und für sich im unmittelbaren Fortgang des Geschehens auch keine Möglichkeiten mehr hierzu sieht. Beide Definitionen stellen, soweit ich sie verstehe, auf die Sicht des Täters ab, nicht ausschließlich auf eine objektive Bestimmung. Meine Überlegung war, dass T, wenn er sich konstant weiterhin starke Stromschläge versetzt und dadurch auch sein Arm beeinträchtigt ist, aus seiner Sicht nicht in der Lage wäre, den Schmuck mitzunehmen. Ich habe in der Entscheidung nachgelesen, und danach hat T es irgendwann geschafft, den Elektroschocker abzuschütteln, konnte dann keinen klaren Gedanken mehr fassen und ist abgehauen. Von einer Einschränkung der motorischen Fähigkeit steht da nichts, die habe ich mir dazugedacht. Da habe ich den SV in Jurafuchs falsch und zu weitgehend interpretiert, ich dachte T gibt sich kontinuierlich weiterhin Stromschläge und kann dadurch aus seiner Sicht entsprechend motorisch schlicht nicht mehr den Schmuck greifen. Viele Grüße, Hendrik


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