Öffentliches Recht

Europarecht

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Omega")

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Omega")

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die deutsche Gesellschaft D betreibt ein Laserdrome, wo spielerisch Menschen „getötet“ werden. D bezieht Laserwaffen von einer griechischen Firma. Die zuständige Behörde verbietet den Betrieb, da dieser die Menschenwürde verletzten würden und eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle.

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Einordnung des Falls

Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV („Omega")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. D bezieht Laserwaffen von einer griechischen Firma. Ist der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet?

Genau, so ist das!

Die Dienstleistungsfreiheit ist nur subsidiär zu den anderen Grundfreiheiten anwendbar, was sich aus Art. 57 Abs. 1 AEUV ergibt. Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit nur eröffnet ist, wenn keine andere Grundfreiheit einschlägig ist. Die Dienstleistungsfreiheit muss daher vom Anwendungsbereich der anderen Grundfreiheiten abgegrenzt werden. Es könnte vorliegend die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 ff. AEUV Anwendung finden. Dabei steht die Lieferung erzeugter Waren im Vordergrund. Hier bezieht D die Ausstattung zwar aus Griechenland. Jedoch steht das Verbot des Spiels und damit das Anbieten der Dienstleistung im Vordergrund.
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2. Die Maßnahme der deutschen Behörde verstößt gegen das Diskriminierungsverbot.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Diskriminierung besteht darin, dass rechtlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich bzw. rechtlich unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden. Die Maßnahme nimmt keine Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vor und ihr liegt auch kein Kriterium zugrunde, welches dazu führt, dass ausländische Bürger oder Gesellschaften faktisch häufiger benachteiligt werden. Vielmehr handelt es sich um eine unterschiedslose Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit.

3. Die Tragweite des Rechtfertigungsgrundes der öffentlichen Ordnung kann von den Mitgliedstaaten einseitig festgelegt werden.

Nein!

Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist unionsrechtsautonom und eng auszulegen. Die Mitgliedstaaten können den Bedeutungsgehalt der öffentlichen Ordnung daher nicht ohne gerichtliche Nachprüfung bestimmen. Den Mitgliedstaaten steht jedoch ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.

4. Die Unionsgrundrechte sind als zulässige Konkretisierung der Rechtfertigungsgründe anerkannt.

Genau, so ist das!

Die Grundrechte gehören nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gerichtshof sichern muss. Die Menschenwürde ist nicht nur in der deutschen Verfassung, sondern gemäß Art. 1 GRCh auch im Gemeinschaftsrecht geschützt. Der Schutz der Menschenwürde ist daher mit dem Unionsrecht vereinbar und der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung gegeben. Dies hat der EuGH bereits in der Schmidtberger-Entscheidung im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit anerkannt

5. Laserdome ist in anderen Mitgliedstaaten erlaubt. Stellen unterschiedliche Vorstellungen über den Schutz der Menschenwürde der Verhältnismäßigkeit der deutschen Maßnahmen entgegen?

Nein, das trifft nicht zu!

Für die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme ist es nicht erforderlich, dass alle Mitgliedstaaten eine gemeinsame Auffassung über das entsprechende Rechtsgut teilen. Zwar wird auf die gemeinsame Verfassungstradition abgestellt, um zu bestimmen, welche Schutzgüter zur Konkretisierung der öffentlichen Ordnung herangezogen werden. Geteilte Vorstellung sind allerdings kein Kriterium für die Verhältnismäßigkeit. Vorliegend entspricht es der grundrechtlichen Dimension der Menschenwürde die Veranstaltung von simulierten Tötungshandlungen zu untersagen. Außerdem wird der Einsatz von Lasern nicht grundsätzlich untersagt, sondern nur eine Einsatzvariante wird verboten. Die Maßnahme ist daher als verhältnismäßig anzusehen. Die Untersagung verletzt die Dienstleistungsfreiheit somit nicht. Anders als im Fall Schmidtberger Der Unterschied wird vorliegend auf den deutschen Bedeutungsgehalt der Menschenwürde abgestellt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Claas action

Claas action

14.2.2023, 19:48:47

Ist tatsächlich Art. 4 GRC oder eigentlich Art. 1 GRC gemeint? 🤔

Nora Mommsen

Nora Mommsen

16.2.2023, 11:51:11

Danke dir Claas action, das war tatsächlich einfach ein Tippfehler. Wir haben die Angabe nun geändert. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

BL

Blotgrim

16.7.2023, 23:18:51

Also ich finde hier die Bejahung der Verhältnismäßigkeit schon ziemlich schwierig. Ich meine es wird hier jemandem sein Geschäft komplett untersagt, nur weil man mit lasern aufeinander zielt. Ich könnte es ja noch bei Paintball oder Softair Waffen verstehen, aber Lasertag Waffen sehen nicht ansatzweise aus wie echte Waffen (oder ist Laserdome was anderes) und vom simulierten töten zu sprechen finde ich auch eher konstruiert. Kann man das so sehen oder übersehe ich was in meiner Argumentation

Simon

Simon

19.7.2023, 23:38:59

Ich sehe das tatsächlich ähnlich wie du. Grundsätzlich sollte man mit der Menschenwürde eher zurückhaltend umgehen. Gerade im internationalen Kontext ist die Bedeutung der Menschenwürde eher unklar. So wird sie in den meisten Menschenrechtsverträgen nicht als eigene Garantie, sondern nur als Begründung bzw. Verankerung der Menschenrechte angesehen. Auch wenn das auf Unionsebene (Aet. 1 GRC) anders ist, zeigt das schon wie unterschiedlich die Menschenwürde von Staat zu Staat gehandhabt wird. Legt man die

öffentliche Ordnung

im Angesicht der Menschenwürde zu weit aus, so droht letztlich eine Unterwanderung der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten. Daher sollte man mE zurückhaltend sein. Zudem scheint mir die Menschenwürde hier eher im Sinne einer vermeintlich allgemeinen Sittlichkeitsnorm missverstanden zu werden. Wessen Menschenwürde soll hier konkret betroffen sein? Die Teilnehmer stimmen dem Laserdrome zu. Zumindest nach europäischer Vorstellung ist auch die Autonomie des Individuums ein Teil seiner Würde (s. Kant). Außenstehende mögen die Simulation eines Kampfgeschehens anstößig finden - ihre Menschenwürde wird dabei aber mE nicht tangiert. Damit zeigt sich: Eigentlich geht es um den Schutz gewisser Sittlichkeitsvorstellungen. Ob das eine derart starke Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann, scheint mir in der Tat zweifelhaft. Auch würde man keinem Kind verbieten, mit seinen Freunden "Räuber und Gendarm" zu spielen. Eine andere Meinung kann man, wie ich finde, daher gut vertreten.

KO

Konrad1522

8.2.2024, 17:53:43

Worin besteht hier der grenzüberschreitende Bezug? Dass die gelieferten Laser aus Griechenland kommen hat ja nichts mit der Dienstleistungsfreiheit zu tun.

BE

Bioshock Energy

14.3.2024, 12:31:00

Das habe ich mich auch gefragt. Eine deutsche Behörde untersagt einer deutschen Gesellschaft den Betrieb. Für mich liegt hier auch kein grenzüberschreitender Bezug vor, es sei denn man stellt darauf ab, dass theoretisch auch Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten die Leistungen der Gesellschaft in Anspruch nehmen könnten. Würde man darauf abstellen würde der Grenzüberschreitende Bezug aber in so gut wie allen Fällen bejaht werden müssen. LG

Skra8

Skra8

15.5.2024, 11:40:29

Liebes JuraFuchs-Team, meiner Meinung nach fehlt es in der hier abgewandelten Variante an dem grenzüberschreitenden Element. Der Sachverhalt gibt zwar wieder, dass die Laserwaffen von einer griechischen Firma bezogen werden, allerdings tue ich mich schwer, daraus zu lesen, dass die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 ff. AEUV einschlägig sei und nicht die

Warenverkehrsfreiheit

gemäß Art. 28 ff. AEUV. Um diese Unterscheidung deutlich zu machen, würde ich den Sachverhalt näher an die Originalentscheidung in der Rechtssache C-36/02 anlehnen, wo zwischen der Omega Spielhallen- und Automatenaufstellungs GmbH und der Pulsar International Ltd. ein Franchisevertrag für das Format des Laserdromes geschlossen wurde. Aus dem Zusatz, dass ein Franchisevertrag zwischen den Parteien besteht, lässt sich meiner Meinung nach das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Elements besser begründen. Gruß


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