Kostenlast des Anerkennenden trotz unschlüssiger Klage


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Assessorexamen

K fordert B zur Leistung auf. B reagiert nicht, woraufhin K klagt. Die Klage ist unschlüssig. Im schriftlichen Vorverfahren zeigt B seine Verteidigungsbereitschaft an. Eine Klageerwiderung folgt nicht. In der mündlichen Verhandlung erkennt B den Anspruch an. Die Prozesskosten möchte er nicht tragen.

Einordnung des Falls

Kostenlast des Anerkennenden trotz unschlüssiger Klage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Erkennt der Beklagte einen Klageanspruch an, ergeht ein Anerkenntnisurteil, mit dem der Beklagte dem Anerkenntnis entsprechend verurteilt wird.

Ja!

Erkennt eine Partei den gegen sie geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil an, so ist sie dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen (§ 307 S. 1 ZPO). Das Urteil wird als Anerkenntnisurteil bezeichnet (vgl. § 313b Abs. 1 S. 2 ZPO).

2. Der Beklagte hat bei einem Anerkenntnisurteil stets die Prozesskosten zu tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die unterliegende Partei hat die Kosten zu tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies ist bei einem Anerkenntnisurteil der Beklagte. Eine Ausnahme zur Kostentragungsregel des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO regelt allerdings § 93 ZPO: Dem Kläger sind die Kosten aufzuerlegen, wenn der Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat und sofort anerkennt. Zweck der Vorschrift ist, einen leistungswilligen Schuldner vor den Prozesskosten zu schützen und dem Kläger keinen Anreiz zu geben, voreilig zu klagen (Jaspersen, in: BeckOK ZPO, 42.Ed., § 93 RdNr. 1). Will der Beklagte allein gegen die Kostenentscheidung vorgehen, ist die sofortige Beschwerde statthaft (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 99 Abs. 2 S. 1 ZPO). Gegen den in zweiter Instanz ergangenen Beschluss ist wiederum die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht diese in ihrer Entscheidung zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO).

3. B müsste die Prozesskosten nicht tragen, wenn die Voraussetzungen des § 93 ZPO vorliegen.

Ja, in der Tat!

Voraussetzung von § 93 ZPO ist, dass der Beklagte (1) keine Veranlassung zur Klage gegeben hat und zudem (2) den Klageanspruch sofort anerkennt.

4. Hier hat B Anlass zur Klage gegeben, da er auf die Leistungsaufforderung des K nicht reagiert hat.

Ja!

Eine Partei gibt Veranlassung zur Klage, wenn der Kläger annehmen muss, nur durch einen Gerichtsprozess zu seinem Recht zu kommen. Im Regelfall gibt ein Schuldner, der eine fällige Leistung trotz Aufforderung des Gläubigers nicht erbringt, Veranlassung zur Klage (BGH NJW 2020, 1442, 1443). K konnte vernünftigerweise davon ausgehen, ohne eine Klage nicht zu seinem Recht zu kommen, da B außergerichtlich auf seine Leistungsaufforderung nicht reagiert hat. B hat somit Anlass zur Klage gegeben.

5. Eine Ausnahme gilt, wenn die Klagebegründung unschlüssig ist. In dem Fall kann der Beklagte keine Veranlassung zur Klage gegeben haben. So liegt der Fall hier.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Klage ist unschlüssig, wenn der als wahr unterstellte Klägervortrag den geltend gemachten Anspruch nicht trägt. Eine unschlüssige Klage ist im streitigen Verfahren abzuweisen. Bei einem Anerkenntnis aber wird die Schlüssigkeit nicht geprüft, denn § 307 S. 1 ZPO entbindet das Gericht von einer sachlichen Prüfung. BGH: Das Anerkenntnis enthält das Zugeständnis der Richtigkeit der tatsächlichen Klagebehauptungen und zugleich die Anerkennung, dass sich aus diesen Tatsachen die vom Kläger behaupteten Rechtsfolgen ableiten lassen. Findet keine Schlüssigkeitsprüfung bei Erlass des Anerkenntnisurteils statt, gilt dies erst recht für die anschließende Kostenentscheidung (RdNr. 15). Für die Kostenentscheidung ist unerheblich, dass die Klage von K unschlüssig ist.

6. Im Übrigen scheitert es auch an der zweiten Voraussetzung des § 93 ZPO. Denn B hat den Anspruch auch nicht sofort anerkannt, da er sein Anerkenntnis erst in der mündlichen Verhandlung erklärt hat.

Ja, in der Tat!

Ein Anerkenntnis erfolgt "sofort" (§ 93 ZPO), wenn es der Beklagte in seinem ersten Schriftsatz erklärt. Bei einem schriftlichen Vorverfahren (§ 276 ZPO) kann der Beklagte noch in der Klageerwiderung sofort anerkennen, sofern er in der zuvor erfolgten Anzeige seiner Verteidigungsbereitschaft noch keinen Sachantrag ankündigt. B hat den Anspruch nicht sofort anerkannt (§ 93 ZPO), weil er die Klageerwiderungsfrist verstreichen ließ. Das Anerkenntnis im Termin zur mündlichen Verhandlung kam somit zu spät. Beide Voraussetzungen des § 93 ZPO liegen somit nicht vor. B hatte im Ausgangsfall in seiner Verteidigungsanzeige noch erklärt, sich "ein Anerkenntnis vorzubehalten". Ein solcher Vorbehalt ist nicht geeignet, sich die Wirkungen des § 93 ZPO "zu sichern".

7. Um die Prozesskosten zu vermeiden, hätte B schlicht Klageabweisung beantragen müssen und kein Anerkenntnis erklären dürfen.

Ja!

Eine unschlüssige Klage ist auf entsprechenden Antrag des Beklagten abzuweisen. Beantragt der Beklagte Abweisung einer unschlüssigen Klage, obsiegt er und muss daher auch nicht die Kosten tragen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Eine unschlüssige Klage kann durch ergänzenden Parteivortrag schlüssig werden. In diesem Fall muss der Beklagte die Möglichkeit erhalten, auf veränderten Prozessstoff zu reagieren, ohne sich einer negativen Kostenentscheidung auszusetzen. Deshalb kann der Beklagte in einem solchen Fall ausnahmsweise auch zu einem späteren Zeitpunkt "sofort anerkennen" - z.B. nach seinem ersten Schriftsatz oder sogar noch in der mündlichen Verhandlung -, sofern der Beklagte damit unmittelbar auf den ergänzenden Parteivortrag des Klägers reagiert. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger jedoch seinen Vortrag nicht verändert. Diese Ausnahme greift somit nicht.

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Radek

Radek

25.5.2023, 17:33:06

B hätte noch nicht einmal Klageabweisung beantragen müssen. Hätte er keinen Antrag gestellt (und wäre somit säumig geblieben), so wäre ein unechtes klageabweisendes Sachurteil ergangen.

HEI

Heinrich9

2.11.2023, 09:48:12

Sehr guter Punkt. Begrifflich handelt es sich jedoch um ein echtes klageabweisendes Sachurteil in Gestalt eines „unechten Versäumnisurteils“. „Unecht“ deswegen, weil ein echtes Versäumnisurteil iSd § 331 I, II HS 1 ZPO WEGEN der Säumnis des Beklagten ergeht, während das „unechte“ Versäumnisurteil iSd § 331 II HS 2 ZPO nicht WEGEN der Säumnis des Beklagten ergeht, sondern wegen der Unschlüssigkeit der Klage. Zum Zeitpunkt der Feststellung dieser Unschlüssigkeit in der mündlichen Verhandlung ist der Beklagte jedoch zusätzlich säumig. Wegen dieses Zusammentreffens von Unschlüssigkeit der Klage und Säuminssituation spricht man von einem „unechten“ Versäumnisurteil.


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