Fahrlässigkeitsmaßstäbe § 309 Nr. 7
20. Mai 2025
22 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
F kauft bei E einen neuen Fernseher für die Fußball-EM. In den AGB des Kaufvertrags steht, dass die Haftung für leicht fahrlässige Pflichtverletzungen des Verwenders ausgeschlossen ist. Als F den Fernseher auspackt, ist dieser irreparabel aufgrund leichter Fahrlässigkeit der E beschädigt.
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Einordnung des Falls
Fahrlässigkeitsmaßstäbe § 309 Nr. 7
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die AGB-Klausel hinsichtlich des Haftungsausschlusses verstößt gegen § 309 Nr. 7 a) BGB.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Klausel verstößt gegen § 309 Nr. 7 b) BGB.
Nein!
3. Der Haftungsausschluss ist wegen des Verstoßes gegen § 309 Nr. 7 a) BGB insgesamt unwirksam.
Genau, so ist das!
4. F kann - sofern die Nacherfüllung scheitert - von E Schadensersatz aufgrund der Beschädigung nach den allgemeinen Vorschriften verlangen.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Claudia
27.7.2023, 19:29:42
309 Nr. 7a) BGB umfasst doch nur die Verletzung von Personen und nicht durch Personen oder? Dann würde die Norm bei einer fahrlässigen
Beschädigungdes Fernsehers mithin einer Sache nicht greifen oder stehe ich hier auf dem Schlauch?
Leo Lee
3.8.2023, 11:34:34
Hallo Claudia, Genauso ist es, "Verletzung von Sachen" sind nicht von § 309 Nr. 7a) BGB erfasst. Beachte jedoch, dass eine AGB-Prüfung immer "abstrakt" vorzunehmen ist. Sprich, der Schwerpunkt liegt nicht darauf, dass Nr. 7a) hier die
Beschädigungdes Fernsehers erfasst, sondern vielmehr darauf, dass (
konkludentdurch die Nichtklarstellung) auch Personenschäden quasi von dieser problematischen Klausel erfasst wird und somit "mittelbar" gegen Nr. 7a) verstößt. D.h. die Klausel bezieht sich auf jegliche Pflichtverletzungen durch leichter Fahrlässigkeit und mithin auch auf Personenschäden (was jedoch gegen Nr. 7a) verstößt):) Liebe Grüße Leo
Flohm
31.8.2023, 08:52:42
Ich verstehe leider immer noch nicht warum Nr. 7a hier einschlägig ist und was der Fall mit einem Personen
schadenzu tun hat.
Dogu
22.11.2023, 23:28:31
Der Fall muss nichts mit einem Personen
schadenzu tun haben. Es reicht, wenn die Klausel gegen ein Klauselverbot verstößt.
in persona
26.8.2024, 22:06:34
Hallo:) über eine ausführliche Erklärung wäre ich dankbar!
Matschegenga
18.9.2024, 10:00:54
Erklärung: Der Verwender will hier mit der Klausel die eigene Haftung wegen
leicht fahrlässiger Pflichtverletzungen ausschließen. Wäre die Klausel wirksam, würde der Verwender unter anderem nicht für fahrlässig verursachte Schäden an Körper, Leben oder Gesundheit des Kunden haften. Daher verstößt die Klausel gegen § 309 Nr.7 lit.a BGB. Der Haftungsausschluss ist daher insgesamt unwirksam und greift daher auch nicht vorliegend im Fall mit dem Fernseher.

Juraluchs
11.11.2024, 23:54:01
Im Übrigen ergibt sich die Unwirksamkeit schon aus § 309 Nr. 8b
benjaminmeister
1.12.2024, 18:57:01
Könnte man wirklich noch in die Aufgabe als Zusatzfrage übernehmen (also zum Beispiel unterstellen, dass die Haftungsbeschränkung Personenschäden ausnimmt und deshalb grundsätzlich wirksam ist) und danach fragen, ob V die Nacherfüllung verweigern kann.
AngeD
7.12.2024, 12:07:49
Könnte mir jmd. in diesem Zusammenhang erklären, wie der Blue-Pencil Test vs. Verbot geltungserhaltenden Reduktion angewandt wird? mMn schließen sich beide gegenseitig aus?!
Leo Lee
8.12.2024, 11:17:41
Hallo AngeD, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du liegst mit deinem Gefühl (fast) sehr nah an der Antwort, denn es scheint auf den ersten Blick tats. so, als würden der Test und das Verbot der Reduktion sich diametral entgegenstehen. Beachte allerdings, dass das Verhältnis zw. den beiden nicht exklusiv, sondern vielmehr ergänzend ist. Der sog. blue-pencil-Test befindet sich "innerhalb" des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion und "entschärft" dieses Verbot insofern. Dies geschieht dadurch, dass diejenigen Teile, die an sich zulässig wären (und wo eben keine geltungserhaltende Reduktion nötig wäre, um zu retten), von den unzulässigen (die eben einer Reduktion zugänglich wären) Teilen getrennt werden. Das bedeutet also, dass der Blue-Pencil-Test eine Art "Vorstufe" zum Verbot bildet und versucht erstmal die an sich unproblematischen Teile zu retten, solange die Klausel auch ohne diese Teile Sinn ergeben. Wenn diese Teile unzertrennlich sind, dann werden sie als Einheit behandelt und dann mit dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ggf. "rausgekickt". Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Fornasier § 306 Rn. 22 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

schwemmely
8.3.2025, 10:34:33
Hallo, ich fand den Thread, in dem das Verhältnis von den 2 erklärt wurde, super. Nur merke ich, dass ich für das Verständnis noch 1-2 Beispiele bräuchte, wann was nun angewendet wird...Ist iwi immer noch so schwammig... Mir würde z.B. ein Beispiel helfen, was mal so und mal so formuliert wird, um den Unterschied genauer zu erkennen... LG
Lt. Maverick
18.4.2025, 21:35:06
Wichtig für die Anwendbarkeit des Blue-Pencil-Tests ist, dass „inhaltlich voneinander trennbare und einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen gegeben sind“. Im vorliegenden Fall ist es so, dass die Rede von „Pflichtverletzungen“ ist. Dies kann sich sowohl auf Pflichtverletzungen hinsichtlich der Hauptleistung als auch auf Schutz- und Rücksichtnahmepflichten beziehen. Inhaltlich können die jeweiligen Arten der Pflichtverletzungen nicht getrennt werden, da sie als Oberbegriff zusammengefasst wurden. Es geht nicht klar hervor, welche Form der Pflichtverletzung gemeint ist. Geltungserhaltend wäre die Reduktion, wenn man annehmen würde, dass nur das gelten würde, was sozusagen wirksam wäre. Das ist aber verboten. Den Blue-Pencil-Test kann man hier prima visualisieren. Was könnte man bei dieser Klausel denn wegstreichen, dass zumindest „sonstige Schäden“ noch erfasst werden? Nichts. Dreh- und Angelpunkt ist der Begriff „Pflichtverletzung“. Da kann sinngemäß nichts weg. Für einen Blue-Pencil-Test könnte man das Beispiel hier einfach umformulieren: „Die Haftung ist für [fahrlässige Personenschäden ausgeschlossen, ebenso ist die Haftung für]
leicht fahrlässige Schäden, die keine Personenschäden sind, ausgeschlossen.“ Der Blue-Pencil-Test ist aber eher im Arbeitsrecht anzutreffen. Da hilft es einschlägige BAG-Urteile zu lesen.

schwemmely
19.4.2025, 10:00:19
@[Lt. Maverick](229751) danke dir! D.h. stimmt die grds. Daumenregel, dass wenn ein unbestimmter Begriff oder eine Art unbestimmte Klausel vorliegt, der blue-pencil Test ausscheidet, weil, dann der Begriff selber ausgefüllt werden müsste und das unzulässig ist. Aber wenn man konkrete Benennungen hat, die voneinander abgespalten werden können oder eine konkretere Benennung einfach weggestrichen werden kann, weil dadurch z.b. Gesetzliche Rahmenbedingungen an die Stelle treten können, dieser anwendbar ist? :) LG
Lt. Maverick
19.4.2025, 10:38:20
Zunächst ist „Pflichtverletzung“ kein unbestimmter Rechtsbegriff. Der Gesetzgeber hat allerlei Bestimmungen getroffen, die diesen Begriff ausfüllen, z.B. §§ 241, § 281, § 282, §
823 BGBsowie in speziellen vertraglichen Regelungen. Im Zusammenspiel von §§ 241 II, 823 I BGB ist klar, dass es sich bei Rechten um Körper, Gesundheit, Leben usw. (§ 309 Nr. 7a BGB) handelt. Verletzt eine Vertragspartei diese Rechte, so stellt das ebenso eine Pflichtverletzung i.S.v. § 280 I S. 1 BGB dar. Wenn also eine Vertragspartei nun die Haftung für fahrlässige Pflichtverletzungen durch AGB einschränkt, so können Verletzungen hinsichtlich der vorgenannten Rechte inhaltlich und begrifflich nicht von „Pflichtverletzungen“ getrennt werden, denn sie stellen ebenso Pflichtverletzungen dar wie z.B. die verspätete Leistung. Würde man also annehmen, dass der Verwender nur solche Pflichtverletzungen meinte, die nicht von § 309 Nr. 7a BGB erfasst sind, dann wäre das ein Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. Der Verwender könnte sich sonst bei eigentlich unwirksamen Klauseln darauf verlassen, dass die Gerichte zu seinen Gunsten nur das wirksame Überbleibsel aus der Klausel herauslesen. Das heißt, dass die Klausel so formuliert sein muss, dass sich Begriffe sinngemäß trennen lassen und inhaltlich ohne den unwirksamen Teil stehen können. Ein anderes Beispiel von Jurafuchs: „Die Haftung für
leicht fahrlässige Verletzungen von Personen- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.“ Der Teil hinsichtlich „Personenschäden“ ist wegen § 309 Nr. 7a BGB unwirksam. Vermögensschäden sind keine Personenschäden, damit nicht von § 309 Nr. 7a BGB erfasst. Würde man den Blue-Pencil-Test jetzt so anwenden, dass zumindest die Bestimmung hinsichtlich der Haftung für
leicht fahrlässigverursachte Vermögensschäden wirksam bleibt, so würde es dennoch zu einer Verkürzung von Ansprüchen beim
Verwendungsgegner kommen. Auch bei Personenschäden treten regelmäßig Vermögensschäden auf (z.B. Heilbehandlungskosten). Inhaltlich stehen Vermögensschäden somit in einem Zusammenhang mit Personenschäden. Der Blue-Pencil-Test kommt nicht zur Anwendung, auch wenn visuell „Personenschäden“ gestrichen werden könnte, hängen Vermögensschäden inhaltlich mit Personenschäden zusammen. Ist die Klausel also insgesamt unwirksam bzw. teilweise unwirksam, treten an deren Stelle die gesetzlichen Regelungen (§ 306 II BGB). Bei unbestimmten Rechtsbegriffen immer die kundenfeindlichste Deutung wählen, gerade die Mehrdeutigkeit ist ein Indiz für Kundenfeindlichkeit. Da käme kein Blue-Pencil-Test zur Anwendung. Es ist gerade nicht Aufgabe der Gerichte die für den Verwender günstigste Interpretation zu wählen. Vorsicht beim Blue-Pencil-Tests. Die Gerichte gehen selbst zaghaft und vorsichtig damit um.

schwemmely
19.4.2025, 11:18:33