+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T fährt StVO-konform in der 70er-Zone. Als er im Rückspiegel sieht, dass O mit immens überhöhter Geschwindigkeit näher kommt und den Sicherheitsabstand unterschreitet, gerät T in Angst und möchte O "erziehen", indem er etwas mittig auf der Fahrbahn fährt, um ein Überholen zu verhindern. Kurze Zeit später biegt T links ab.

Einordnung des Falls

Einmaliges Verhindern des Überholens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ts Handeln ist als verwerflich einzustufen (§ 240 Abs. 2 StGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Verwerflich ist eine Verhaltensweise, wenn die Gewaltanwendung oder die Drohung zu dem beabsichtigten Zweck in einem auffallenden Missverhältnis stehen. Dabei muss das Missverhältnis derart auffällig sein, dass die Verhaltensweise als sozialethisch missbilligenswert anzusehen ist, d.h. von einem verständigen Dritten als sozial unerträglich, als strafwürdiges Unrecht empfunden wird. Die Fahrweise des O, insbesondere die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes, hat T nachvollziehbar verängstigt und seine Reglementierungsabsicht als Beweggrund ausgelöst. Das Ausmaß und die Beeinträchtigung des O erscheinen demgegenüber nicht so gravierend. Ts Verhalten erscheint unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände noch nicht als sittlich missbilligenswert. Auch ohne Nötigung kann eine Sanktion in Form der Geldbuße (§ 1 Abs. 2 StVO) statthaft sein. Dies kannst du als Argumentationsstütze im Rahmen der Verwerflichkeit verwenden.

2. Indem T beim Überholversuch des O etwas mittig auf der Fahrbahn fährt, übt er Gewalt aus (§ 240 Abs. 1 Var. 1 StGB).

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Ja, in der Tat!

Der klassische Gewaltbegriff setzt voraus, dass der Täter (1) durch körperliche Kraftentfaltung (2) Zwang ausübt, indem er auf den Körper eines anderen einwirkt, (3) um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden. Indem der T mittig auf der Fahrbahn fährt, übt er körperlich wirkenden Zwang auf O aus, da dieser nicht an T vorbeikommt. Hier könntest Du auch schon auf die Unerheblichkeit der Gewaltanwendung seitens T abstellen. Bedenke, dass Du dadurch eventuell im Sachverhalt angelegte Probleme nicht mehr ansprichst.

3. T hat O zu einem Unterlassen genötigt (§ 240 Abs. 1 StGB).

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Ja!

Die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ist ein Erfolgsdelikt. Der Täter muss ein Opferverhalten, das in einer Handlung, Duldung oder Unterlassung liegen kann, herbeigeführt haben (Nötigungserfolg). Das Unterlassen ist die Nichtvornahme einer konkreten Handlung. Handlung meint dabei ein positives Tun. Indem T mittig auf der Fahrbahn fährt, bewirkt er, dass O ihn nicht überholen kann.

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APhM

APhM

3.2.2022, 07:04:02

Ok, vor dem Hintergrund der Gefahr für die Allgemeinheit sowie T und O selbst, finde ich diese Argumentation nicht schlüssig. Gerade, wenn O Angst hatte sollte er eben auf seiner Fahrspur bleiben und hoffen, dass T an ihm vobeizieht oder - wie ja geschehen - die Straße vorher verlässt. Er macht jedoch einen auf Oberlehrer/Ordnungshüter und riskiert eine Eskalation der Situation mit möglicherweise noch riskanteren Fahrweisen bis hin zum Unfall auf einer öffentlichen Straße und darin liegt dann keine Verwerflichkeit i.S.d. § 240 II StGB... Sein Rechtsgut war zwar mehr gefährdet, als die Rechtsordnung es mit ihrer Geschwindigkeitsnwgrenzung zulässt. Er selbst schafft jedoch neue, darüberhinaus gehende Gefahren.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.2.2022, 11:29:13

Hallo APhM, sehr guter Einwand. Die "Schulmeisterei" im Straßenverkehr (so Maatz, Nötigung im Straßenverkehr, NZV 2006, 337) ist wirklich ein absoluter Grenzfall, wo man hervorragend in beide Richtungen argumentieren kann (hierzu auch Rebler, Nötigung im Straßenverkehr, SVR 2017, 416). Dies wird nicht nur dadurch deutlich, dass die erstinstanzlichen Entscheidungen jeweils eine Nötigung angenommen haben. Vielmehr gibt es durchaus andere Verfahren, in denen letztlich der "Schulmeister" strafrechtlich belangt wurde (BayObLG, NZV 2001, 527; BGH NZV 1995, 325). Pauschale Aussagen verbieten sich in dem Kontext, weswegen es immer auf den Einzelfall ankommt. Für das OLG Köln waren letztlich 2 Punkte ausschlaggebend. Zum einen der Umstand, dass O durch den fehlenden Sicherheitsabstand diese Situation provoziert hat und zum anderen, dass die Länge der Blockade relativ überschaubar war (2 km) und deshalb "nicht so gravierend" erscheine. Aber wie gesagt, ist das an dieser Stelle eine Wertungsfrage, sodass man sich - mit den von Dir vorgebrachten Argumenten - auch gut anders entscheiden kann. Wir haben an die Aufgabe mal eine Umfrage angehängt. Ich bin gespannt, wie das Meinungsbild in der Community ausfällt :D. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FA

Faby

26.3.2022, 21:42:42

Coole Idee mit der Umfrage, gern mehr davon! :)

NI

NickFischer

23.7.2023, 13:24:27

Die Umfragen sind ja mal richtig cool! Weiter so!


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