Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungskompetenzen

Wegfall der Erforderlichkeit - "Unnötige Organspenderegelung" [F]

Wegfall der Erforderlichkeit - "Unnötige Organspenderegelung" [F]

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach einigen Organspende-Skandalen in den letzten Jahren soll das Recht der Organspende in der EU stärker vereinheitlicht werden. Die 27 nationalen Regelungen über die Organspende werden durch eine neue EU-Verordnung abgelöst. Das deutsche Transplantationsgesetz (TPG) wird nicht aufgehoben.

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Einordnung des Falls

Wegfall der Erforderlichkeit - "Unnötige Organspenderegelung" [F]

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG regelt den Grundsatz der Länderzuständigkeit für die Gesetzgebung. Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind demnach die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.
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2. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen zur Transplantation von Organen.

Ja, in der Tat!

Der Bund hat den konkurrierenden Kompetenztitel für „Regelungen zur Transplantation von Organen, Geweben und Zellen“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 Var. 3 GG). Die EU könnte eine mögliche EU-Verordnung hingegen auf Art. 168 Abs. 4 lit. a AEUV stützen.

3. Regelungen zur Transplantation von Organen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 Var. 3 GG) müssen für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).

Ja!

Die Erforderlichkeit muss nur auf den Gebieten des Art. 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 GG nachgewiesen werden (Art. 74 Abs. 2 GG). Derartige Regelungen stützen sich auf den Kompetenztitel für die Transplantation von Organen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 Var. 3 GG). Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG wird in Art. 72 Abs. 2 GG aufgezählt.

4. Die Erforderlichkeit für die bundesgesetzliche Regelung in Gestalt des TPG ist durch die EU-Verordnung weggefallen.

Genau, so ist das!

Die neue EU-Verordnung zur Organspende gilt in Deutschland unmittelbar (vgl. Art. 288 UAbs. 2 AEUV). Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts verdrängt sie die Regelungen des TPG. Das TPG ist somit nicht mehr erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG.

5. Führt der Wegfall der Erforderlichkeit zur formellen Verfassungswidrigkeit des TPG?

Nein, das trifft nicht zu!

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Gesetzgebungskompetenzen im Allgemeinen und die Beurteilung der Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG im Besonderen ist der Erlass des Gesetzes, genauer: die Ausfertigung des Bundesgesetzes durch den Bundespräsidenten (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG). Auch ein späterer Wegfall der Erforderlichkeit eines Gesetzes führt daher nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, weil das Gesetz im maßgeblichen Zeitpunkt der Ausfertigung kompetenzgemäß erlassen wurde. Dies wird durch die Existenz einer Regelung für den Wegfall der Erforderlichkeit (vgl. Art. 72 Abs. 4 GG) untermauert: Art. 72 Abs. 4 GG ergibt nur Sinn, wenn der Wegfall die formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unberührt lässt. Jedoch kann der Bund an einem solchen Gesetz mangels Gesetzgebungskompetenz keine erheblichen Änderungen mehr vornehmen.

6. Wenn die Erforderlichkeit einer Regelung entfallen ist, fällt die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz an die Länder zurück (Art. 72 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Nein!

Wenn die Erforderlichkeit eines Bundesgesetzes später wegfällt, muss der Bund erst ein Freigabegesetz erlassen (Art. 72 Abs. 4 GG; Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG), damit die Länder wieder gesetzgeberisch tätig werden dürfen. Der Bund hat diesbezüglich ein Ermessen („kann bestimmt werden“). Die Länder können die Freigabe notfalls durch einen Antrag vor dem BVerfG erzwingen (Art. 93 Abs. 2 S. 1, 2 GG). Wenn der Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz durch eine Verfassungsänderung (zum Beispiel im Zuge der Föderalismusreformen) verloren hat, kann der Landesgesetzgeber ohne Weiteres tätig werden (Art. 125a Abs. 1 S. 2 GG).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ll373

ll373

9.1.2023, 03:16:18

Liebes Jurafuchs-Team, in einer der Slides steht bei der Subsumption etwas von ein Bafög Reform oder Gesetzt, ich glaube da wurde etwas durcheinander gebracht ;)

Paul König

Paul König

10.1.2023, 06:44:18

Auch hier gut aufgepasst, II373! Da ist uns beim Vereinheitlichen des Maßstabs über die Aufgaben hinweg etwas durchgerutscht. Ist jetzt wegen Deines Hinweises korrigiert, danke dafür! Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[Lukas Mengestu](136780)

TUBAT

TubaTheo

30.12.2023, 23:55:09

In welchem Verhältnis steht dann die neue EU-Verordnung zum bestehenden TPG? Bleibt das TPG bestehen, aber entfaltet keine Rechtswirkung mehr oder wie ist das?

Jakob G.

Jakob G.

4.10.2024, 22:59:09

Die EU-Verordnung gilt unmittelbar (Art. 288 II AEUV) und genießt Anwendungsvorrang, kein Geltungsvorrang. (Vgl. Europarecht-Kurs,

Costa/ENEL

-Entscheidung). Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts, der vom EuGH aus dem effet utile und dem Loyalitätsgebot (Art. 4 III EUV) hergeleitet wird. Folglich ist das TPG in Kraft und nur insoweit nicht anwendbar, wie bestehende Regeln in Widerspruch zu der EU-Verordnung stehen.


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