Zivilrecht

Kaufrecht

Rücktritt

Wertersatz bei Verschlechterung nach Ausübung des Rücktrittsrechts

Wertersatz bei Verschlechterung nach Ausübung des Rücktrittsrechts

19. Januar 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Studentin S kauft bei Thalia (T) den neuen Grüneberg. Beim Lernen fällt ihr nach einer Woche auf, dass die Kommentierung des Kaufrechts komplett fehlt. Nach Ablauf der Nachfrist erklärt S per E-Mail wirksam den Rücktritt. Als sie anschließend weiter lernt, verschüttet die stets fahrlässig handelnde S fahrlässig Rotwein über den Grüneberg.

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Einordnung des Falls

Wertersatz bei Verschlechterung nach Ausübung des Rücktrittsrechts

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S kann von T Rückzahlung des Kaufpreises verlangen (§ 346 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Mit dem Rücktritt erlöschen die primären Leistungspflichten. Der Vertrag wandelt sich damit in ein Rückgewährschuldverhältnis um. Soweit schon ein Leistungsaustausch stattgefunden hat, muss jede Partei die empfangenen Leistungen zurückgewähren (§ 346 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Die aus dem Rücktritt folgenden Pflichten müssen Zug um Zug erfüllt werden (§ 348 S. 1 BGB). Die Verschlechterung oder Zerstörung des zurückzugewährenden Gegenstands nach Wirksamwerden des Rücktritts hat auf den bereits entstandenen Rückzahlungsanspruch keinen Einfluss. T hat als Leistung der S die Kaufpreiszahlung erhalten.
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2. T kann von S nach dem Gesetzeswortlaut Wertersatz verlangen, weil der Grüneberg jetzt Weinflecken hat, sich also verschlechtert hat (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Der Schuldner muss Wertersatz für die Verschlechterung oder den Untergang des empfangenen Gegenstands leisten (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 1 BGB). Die Pflicht zum Wertersatz entfällt aber, wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (§ 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB). Gemeint ist die eigenübliche Sorgfalt – diligentia quam in suis (§ 277 BGB). Entscheidend für die eigenübliche Sorgfalt ist das gewöhnliche Verhalten, solange keine grobe Fahrlässigkeit vorliegt. S geht mit ihren Sachen gewöhnlich fahrlässig um, haftet also grds. nicht für Fahrlässigkeit und hat dementsprechend auch grds. keinen Wertersatz zu leisten.

3. Außerhalb von § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Hs. 1 BGB hat T keine sonstigen Ansprüche gegen S wegen der Beschädigung des Grünebergs.

Nein!

Mit Ausübung des Rücktritts entsteht ein Rückgewährschuldverhältnis. Dieses Schuldverhältnis kann Gegenstand einer Pflichtverletzung sein (§§ 346 Abs. 4, 280ff. BGB). Die Beschädigung der zurückzugewährenden Sache nach Ausübung des Rücktritts verletzt die Pflicht zur sorgsamen Behandlung der zurückzugewährenden Sache. Die Haftungsmilderung des § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB gilt hierfür nicht, da sie den Schutz des Käufers bezweckt, der seine (zukünftige) Rückgabepflicht noch gar nicht kennt. Da S fahrlässig handelte, haftet sie für die Verschlechterung des Grünebergs nach Ausübung des Rücktritts (§§ 346 Abs. 4, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB).

4. Es wird diskutiert, ob dieses Ergebnis für den Zeitraum nach Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis des Rücktrittsgrunds durch den Rücktrittsberechtigten zu korrigieren ist.

Ja, in der Tat!

Ab diesem Zeitpunkt sei der Rücktrittsberechtigte nicht mehr schutzwürdig, denn er wisse oder hätte wissen müssen, dass er mit einer Sache umgehe, die er bei Ausübung des Rücktritts wieder an den Vertragspartner zurückgeben müsste. Die Gegenansicht verweist darauf, dass der Rücktrittsberechtigte sich in dieser Phase aber in Ruhe entscheiden dürfe, ob, wann und wie er sein Rücktrittsrecht ausübe und daher weiterhin den Schutz des § 277 BGB verdiene, der ja von der Haftung wegen grober Fahrlässigkeit ohnehin nicht befreie. S hat den Rücktritt vorliegend sogar schon erklärt. Ihr ist klar, dass sie den Grüneberg nicht behalten darf. Für eine Privilegierung nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB besteht daher kein Grund mehr. Die Vorschrift ist jedenfalls dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass sie nicht für den Zeitraum nach Ausübung des Rücktrittsrechts gilt (a.A. vertretbar).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

12.4.2021, 09:12:13

Bzgl der Anspruchshöhe T gegen S kann man sich bei der

Differenzhypothese

mE schon fragen, ob ein unvollständiger Palandt überhaupt einen Wert hat, der noch (durch Rotweinflecken) vermindert werden kann 😄

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.4.2021, 09:34:06

Ach, die Rotweinflecken werten ihn vielleicht sogar eher auf und machen ihn zu einem Unikat. Und das Kaufrecht ist eh stark überbewertet 😂

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

12.12.2022, 14:03:38

Wäre es hier falsch, noch auf § 241 II hinzuweisen? :)

Fuller at H(e)art

Fuller at H(e)art

11.2.2023, 22:26:18

Die Verneinung eines

Wertersatz

anspruchs aus

34

6 II 1 Nr.3 überzeugt m.E. nicht. Ob

34

6 III 1 Nr.3 ab Kenntnis und damit erst Recht ab

Rücktritt

noch Anwendung findet, ist mindestens begründungsbedürftig/strittig. Dass vorliegend ein Schadensersatzanspruch aufgrund Verletzung einer Pflicht aus dem Rückgewährschuldverhältnis gegeben ist, entbindet nicht von einer Auseinandersetzung.

CR7

CR7

11.4.2023, 09:45:08

@[

Lukas Mengestu

](136780) was sagst du dazu?

LAY

Lay

16.8.2023, 13:52:36

Da gehe ich mit. Reduziert nicht die h.M. §

34

6 III 1 Nr.3 teleologisch dahin, dass die Vorschrift ab der

Rücktritt

serklärung nicht mehr greift, da der Schuldner dann nicht mehr schutzwürdig ist? Schließlich kann er jedenfalls ab dem Zeitpunkt des

Rücktritt

s nicht mehr darauf vertrauen, die Sache zu behalten. Er sollte sie also auch nicht mehr wie seine eigene behandeln dürfen.

DAV

David.

17.8.2023, 13:03:43

Sehe ich auch so

RUBI

Rubinho

25.8.2023, 08:21:04

Also wir haben so einen Fall im Rep gemacht. Nach der h.M. gilt hier das 3 Phasen Modell des §

34

6 Abs. 3 Nr. 3 BGB, d.h. In Phase 1 (zwischen Vertragsschluss und Kenntnis des gesetzl.

Rücktrittsrecht

s findet §

34

6 Abs. 3 Nr. 3 unzweifelhaft Anwendung; zwischen Kenntnis des gesetzl.

Rücktrittsrecht

s und dem

Rücktritt

greift §

34

6 Abs. 3 Nr. 3 wohl auch (sehr strittig); nach dem

Rücktritt

findet §

34

6 Abs. 3 Nr. 3 keine Anwendung (teleologische Reduktion)). Hier wären wir ja in Phase 3 (Verschlechterung nach

Rücktritt

). Demnach sollte T ein

Wertersatz

anspruch gem. §

34

6 Abs. 2 Nr. 3 zustehen, da dieser gerade nicht nach §

34

6 Abs. 3 Nr. 3 entfällt.

AME

Amelie7

24.11.2024, 20:42:28

Danke für die Zusammenfassung @[Rubinho](135006) so hatten wir das im Rep auch

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

5.12.2024, 10:22:17

Hallo @[Fuller at H(e)art](129396), vielen Dank für den guten Hinweis. Wir haben die Aufgabe jetzt zunächst mal dahingehend überarbeitet, dass wir auf die Diskussion um §

34

6 III 1 Nr 3 BGB und eine teleologische Reduktion oder einen Ausschluss näher eingehen. @[Rubinho](135006) hat das Ganze systematisch schon ordentlich zusammengefasst. Ich möchte allerdings zu bedenken geben, dass die Diskussion letztlich noch deutlich komplexer ist und die vertretenen Auffassungen noch vielschichtiger. Zunächst steht im Hintergrund stets die Haftung nach §§

34

6 IV, 280 I, 241 II BGB. IE hat der Vertragspartner gegen den Zurücktretenden in unserem Fall also jedenfalls nach ausgeübtem

Rücktrittsrecht

ohnehin einen Anspruch auf Ausgleich des Schadens an der Sache, ob jetzt über

Wertersatz

oder über Schadensersatz. Entscheidend ist also vor allem die spannende Anschlussfrage, zu welchen Unterschieden die beiden Ansprüche führen, wann es also in der Sache mal "darauf ankommt". Der

Wertersatz

anspruch aus §

34

6 II 1 Nr. 3, 1. Hs BGB ist verschuldensunabhängig. Reduziert man also den Anwendungsbereich des §

34

6 III 1 Nr 3 BGB teleologisch, bleibt aber bei §

34

6 II 1 Nr 3, 1. Hs BGB, haftet der

Rücktritt

sberechtigte eigtl auch für bloßen Zufall - und zwar unabhängig vom Verzug mit der Rückgabepflicht nach § 287 S 2 BGB. Ob das angemessen ist, kann man mE bezweifeln, weil es ein deutlich strengerer Maßstab als die übliche Haftung wegen

Vorsatz

und Fahrlässigkeit nach §§

34

6 IV, 280 I, 241 II, 276 I 1 BGB ist. Dementsprechend wollen dieses Ergebnis selbst einige von denjenigen nicht mittragen, die grds die teleologische Reduktion des §

34

6 III 1 Nr 3 BGB befürworten (näher zum Ganzen MüKoBGB/Gaier, 9. Aufl 2022, §

34

6 Rn 122 f mwN). Im Detail ist hier vieles umstritten und Ihr würdet in einer Prüfungsaufgabe (hoffentlich!) genug Anhaltspunkte finden, um das Problem sauber diskutieren zu können. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

BEN

benjaminmeister

21.12.2024, 20:30:23

@[Sebastian Schmitt](263562) könntet ihr in der zweiten Frage bitte noch ein "eigentlich"/"grundsätzlich" hinzufügen? Im Moment wird der

Wertersatz

letztendlich in der Aufgabe ja aufgrund der teleologischen Reduktion bejaht, weshalb die Frage, so wie sie gestellt wird (ohne Einschränkung) mit Ja zu beantworten wäre. Edit: In der nächsten Aufgabe wäre es mMn. auch sinnvoll den Streit zu thematisieren und den

Wertersatz

ggf. zu bejahen.

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

6.11.2023, 10:23:51

In Grünenerg

34

6 Rd. 18 steht, dass wir auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs die Haftungsprivilegierung des III 1 Nr. 3 anwenden müssen (mit der Folge, dass ein ein Schadensersatzanspruch hier ausscheiden müsste). Warum wird das hier nicht getan? Weil das Buch erst nach Abgabe der Rucktrittserklärung beschädigt wurde?

FJE

Friedrich-Schiller-Universität Jena

21.1.2024, 07:14:13

Die Pflicht zum

Wertersatz

nach §

34

6 Abs. 3 Nr. 3 BGB entfällt nach w.h.M. nicht, wenn sie Kenntnis vom

Rücktritt

haben kann.

FL

Flohm

6.3.2024, 10:44:34

Wieso ist §277 im Rahmen des §

34

6 II 1 Nr. 3 nur bei einem gesetzlichen

Rücktrittsrecht

relevant ?

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

18.3.2024, 19:31:48

Diese Haftungsausschluss soll denjenigen Rückgewährschuldner schützen, der nicht mit einer möglichen Rückgewähr zu rechnen braucht, weil sie nicht vertraglich vereinbart wurde, sondern sich „unerwartet“ aus einem gesetzlichen

Rücktrittsrecht

ergibt. Von diesem Schuldner kann nicht erwartet werden, dass er mit der Sache besser umgeht, als er es ohnehin mit seinen Dingen tut. 


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