Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungskompetenzen

Grundfall: Abweichungskompetenz der Länder (Art. 72 Abs. 3 GG) - Hochschulzulassung

Grundfall: Abweichungskompetenz der Länder (Art. 72 Abs. 3 GG) - Hochschulzulassung

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das Land L erlässt das „Anspruchsvollere-Unis-Gesetz“ (AUG), nach dem Studieninteressierte in L zusätzlich zur Hochschulzulassung eine spezielle Zulassungsprüfung absolvieren müssen. Allerdings existiert bereits ein Hochschulzulassungsgesetz des Bundes, das die Voraussetzungen der Hochschulzulassung regelt.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Abweichungskompetenz der Länder (Art. 72 Abs. 3 GG) - Hochschulzulassung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das AUG ist formell verfassungswidrig, soweit dem Land L die Gesetzgebungskompetenz (Art. 70-74 GG) für das AUG fehlt.

Ja!

Die Gesetzgebungskompetenz ist neben dem Gesetzgebungsverfahren eine zwingende Voraussetzung für die formelle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes. War der Gesetzgeber nicht gesetzgebungsbefugt, ist das Gesetz insoweit formell verfassungswidrig und nichtig.
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2. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Genau, so ist das!

Die Länder haben grundsätzlich das Recht der Gesetzgebung (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind also die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.

3. Der Bund ist ausnahmsweise für das AUG zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Artt. 71, 73 GG) besteht.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Kompetenztitel der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 73 GG) für den Erlass des AUG ist nicht ersichtlich.

4. Das AUG fällt unter den Kompetenztitel der Hochschulzulassung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG). Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1-4 GG) liegt vor.

Ja!

Hochschulzulassung beinhaltet die Ermittlung vorhandener Kapazitäten, die Entwicklung von Auswahlverfahren und die Vergabe von Studienplätzen. Durch die Einführung einer speziellen Zulassungsprüfung wird ein Bestandteil eines Auswahlverfahrens entwickelt.

5. Der Bund hat mit dem Hochschulzulassungsgesetz des Bundes von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist dann automatisch gesperrt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Art. 72 Abs. 1 GG wird beispielsweise durch Art. 72 Abs. 2 GG beschränkt. Es kann also sein, dass die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehlt, weil ein Gesetz nicht im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich war. Durch das Hochschulzulassungsgesetz des Bundes hat der Bund von dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, sodass die Gesetzgebungskompetenz der Länder grundsätzlich gesperrt ist. Immer, wenn Du eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 GG annimmst, solltest Du zumindest gedanklich auch noch Art. 72 Abs. 2-3 GG prüfen.

6. Das AUG muss für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Erforderlichkeitsklausel ist ausweislich des Wortsinns von Art. 72 Abs. 2 GG nur auf Bundesgesetze anwendbar. Das AUG kommt vom Land L und nicht von Bund.

7. L darf vom Hochschulzulassungsgesetz des Bundes abweichen (Art. 72 Abs. 3 GG).

Ja!

In einigen abschließend aufgezählten Bereichen (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 1-7 GG) können die Länder abweichende Regelungen treffen, obwohl es bereits ein Bundesgesetz gibt. Insoweit bewirkt das Bundesgesetz also keine Sperrwirkung. Die Länder haben insoweit also eine Abweichungskompetenz. L trifft eine Regelung über die Hochschulzulassung (vgl. Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 1 GG).

8. L hat die Gesetzgebungskompetenz für das AUG (Art. 72 Abs. 3 GG).

Genau, so ist das!

Das AUG fällt unter den Kompetenztitel der Hochschulzulassung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG). Somit ist eigentlich eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG) gegeben. Allerdings hat L wirksam von seiner Abweichungskompetenz Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 1 GG). Der Bund könnte theoretisch das Hochschulzulassungsgesetz des Bundes aber unverändert wieder beschließen. Dieses Gesetz würde nach dessen Inkrafttreten (Art. 72 Abs. 3 S. 2 GG) wieder Anwendungsvorrang vor dem AUG genießen (Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Tim

Tim

8.2.2023, 00:54:33

Der Bund könnte bei erneutem Beschluss des Hochschulzulassungsgesetzes wieder Anwedungsvorrang des Bundesgesetzes erzeugen. Allerdings könnte wiederum darauf auch das Land sein AUG erneut unverändert schließen? Eigentlich befinden wir uns in einer Patt Situation?

Paul König

Paul König

8.2.2023, 06:52:12

Genau, Tim! Diese"Ping-Pong-Gesetzgebung" ist theoretisch möglich, kommt in der Praxis aber nicht vor... Beste Grüße - Paul (für das Jurafuchs-Team) @[Lukas Mengestu](136780)

lennart20

lennart20

22.2.2023, 11:04:22

Warum hätte das Bundesgesetz wieder Vorrang? Aufgrund von lex posterior derogat legi priori?

lennart20

lennart20

22.2.2023, 11:14:07

Hat sich im folgenden geklärt

NI

Nilson2503

25.7.2023, 22:26:15

Obgleich eine solche Ping-Pong-Gesetzgebung praktisch nicht vorkommt, mit welchen Erwägungen würde man ein solches Problem theoretisch auflösen können? Gibt es eine Grenze, ab wie vielen „Ping-Pong-Runden“ man sich für Bund/Land entscheidet? Würde man wie folgt systematisch zugunsten der Länder argumentieren können: Grds. Haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 I GG die Befugnis, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Der Umstand, dass Art. 72 III GG hiervon eine Ausnahme macht, könnte einen dazu verleiten lassen, dass man im Zweifel das Gesetz des Landes „endgültig“ anerkennt, oder?

Paul König

Paul König

27.7.2023, 13:53:17

Hey @[prädikatsnils2503](175300), das ist eine offene Frage. Ich gehe davon aus, dass man das in einem solchen theoretischen Fall einfach laufen lassen müsste, bis es einem der Beteiligten zu dumm wird und das Spiel aufgibt. Das Recht setzt der Politik insoweit nur einen Rahmen und wenn sich die politischen Akteurinnen zu solchen Spielchen entscheiden, verlassen sie diesen verfassungsrechtlichen Rahmen eben nicht. Deine Argumentation lässt sich aber hören und würde sicherlich auch so vertreten werden, wenn es mal dazu kommen sollte!


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