Zustellungsmangel
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K möchte Klage gegen B auf Zahlung von 10.000€ Schadensersatz einreichen. Versehentlich stellt das Gericht die Klage nicht B zu, sondern dessen gleichnamigem Vater V. V gibt die Klageschrift weiter an B. B rügt vor Gericht die falsche Zustellung.
Diesen Fall lösen 79,5 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Zustellungsmangel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Klage wird rechtshängig, wenn die Klageschrift bei Gericht eingeht.
Nein, das trifft nicht zu!
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2. Eine Klageschrift muss förmlich zugestellt werden.
Ja!
3. Der Zustellungsmangel wurde in dem Zeitpunkt geheilt, als V die Klageschrift an seinen Sohn weitergab.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tigerwitsch
17.3.2021, 21:43:35
Toll, dass Ihr die ZPO-Aufgaben habt! 👍🏻 Könnt Ihr bitte die Fristproblematik uU noch ein wenig ausbauen? Ausserdem mit Blick auf die anwaltliche Sicht: Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit typischen Problemen? Das wäre wirklich klasse! 😇
se.si.sc
7.12.2022, 11:13:02
Warum gibt es eigentlich im ZivilR die klare Differenzierung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit, im ÖffR aber gerade nicht bzw. warum fallen beide Wirkungen dort zusammen (s. § 90 S. 1 VwGO, wonach Rechtshängigkeit schon mit Klageerhebung eintritt)?
Lukas_Mengestu
8.12.2022, 13:46:48
Hallo se.si.sc, die leichte (und unbefriedigende) Antwort wäre erstmal, weil es so im Gesetz steht :D Wenn ich Dich aber richtig verstanden habe, geht es Dir eher um die Frage, warum der Gesetzgeber sich für diese unterschiedliche Regelung entschieden hat und im Verwaltungsprozess die Anhängigkeit u. Rechtshängigkeit zusammenfallen lässt, während im Zivilprozess für die Rechtshängigkeit noch die Zustellung erforderlich ist (§ 253 Abs. 1,
261 ZPO). Die einschlägige Kommentarliteratur schweigt sich zu dem Hintergrund der Differenzierung tatsächlich aus und stellt diese lediglich fest (BeckOK VwGO/Wolff, 63. Ed. 1.7.2021, VwGO § 90 Rn. 4; HK-VerwR/Winfred Porz, 5. Aufl. 2021, VwGO § 90 Rn. 3;Schoch/Schneider/Riese, 42. EL Februar 2022, VwGO § 90 Rn. 6; NK-VwGO/Wilfried Peters/Mathias Reinke, 5. Aufl. 2018, VwGO § 90 Rn. 1). Der systematische Vergleich mit den Vorschriften aus dem Sozialgerichtsverfahren (§ 94 SGG), bzw. dem Finanzgerichtsverfahren (§ 66 S. 1 FGO) zeigt, dass dahinter letztlich wohl die Ratio steht, dass in Fällen, in denen der Staat als Beteiligter auftritt, es für die Rechtshängigkeit der Zustellung an diesen nicht mehr bedarf. Denn auch die Gerichte sind ja letztlich Teil des Staates. Im Zivilprozess streiten dagegen private Parteien, weswegen es hier naheliegt, für den Eintritt der Rechtshängigkeit darauf abzustellen, dass die andere Partei Kenntnis davon erlangt, dass sie nun an einem Rechtsstreit beteiligt ist. Zum Schutz des Klägers, der auf die Wirkung der Rechtshängigkeit angewiesen ist (zB Verjährungshemmung), gibt es dann auch noch die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
se.si.sc
8.12.2022, 16:44:31
Danke für die ausführliche Antwort, sehr hilfreich für das Verständnis!
Yumiko
2.2.2023, 20:27:04
Liebes Team, Wenn eine Heilung dadurch eintritt, dass die Klageschrift tatsächlich an den richtigen zugestellt wird, wann wird dann die Ersatzzustellung relevant? Oder meint die Heilung gerade den Fall der Ersatzzustellung? Ich meine aber, dass es ja auch Fälle gibt, in denen z.B die Mutter für den Sohn eine Klage ersatzweise in dessen Wohnung an sich nimmt und dadurch schon die Zustellung erfolgt aber nicht „geheilt“ wird
MLena
19.4.2023, 12:06:31
Ich habe den Fall so verstanden, dass die Klageschrift nicht an den Sohn, sondern an den Vater adressiert war. Aus Sicht des Postboten wurde das Schreiben also zunächst an die Person übergeben, an die das Schreiben laut Briefumschlag gerichtet war, also an die "richtige". Bei der Ersatzzustellung in 178 ZPO geht es aber darum, dass die Person, an die das Schreiben adressiert ist, nicht angetroffen werden kann, das ist hier nicht der Fall, der Vater hat das Schreiben ja entgegengenommen :)
der unerkannt geisteskranke E
17.11.2023, 09:48:41
Die Ersatzzustellung nach regelt einen Fall, in dem die Klageschrift dem Beklagten nicht tatsächlich zugestellt wird und dieser die Zustellung dennoch gegen sich gelten lassen muss. Das erfordert enge Voraussetzungen, da der Beklagte diesbezüglich schutzbedürftig ist. Die Heilung mach § 189 ZPO regelt den Umgang mit dem Fall, dass keine Zustellung, auch also keine Ersatzzustellung erfolgt ist. Es geht um die Prozessökonomie: Auch wenn eine ordnungsegemäße (Ersatz-) Zustellung nicht möglich war, wäre es ökonomisch nicht sinnvoll, die Zustellung wiederholen zu müssen, obwohl die Klageschrift dem Beklagten tatsächlich zugegangen ist. Dieser ist in diesem Fall insbesondere auch nicht mehr schutzbedürftig.
Linus
28.3.2024, 17:47:11
In einer Aufgabe steht, dass im
Verwaltungsrechtanders als im Zivilrecht die Rechtshängigkeit durch die Klageerhebung eintritt. Aber im Zivilrecht ist es doch genauso. Nur erfolgt die Klageerhebung erst durch die
Zustellung der Klage an den Beklagten.
flari0n
13.8.2024, 11:22:11
Die Rechtshängigkeit wird im Zivilprozess gem. § 261 I ZPO erst mit Erhebung der Klage begründet, die Erhebung wiederum - wie du richtig schreibst - gem. § 253 I ZPO mit
Zustellung der Klageschrift an den Beklagten :)
Linne_Karlotta_
12.9.2024, 17:25:09
Hallo in die Runde, es ist genauso, wie @[flari0n](207363) sagt. Ich habe die ungenaue Formulierung in der Lösung jetzt entsprechend überarbeitet. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team