Fall 6: Erlass eines Verwaltungsakts aufgrund einer (rechtswidrigen) Verordnung


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach der durch die bayrische Landesregierung erlassenen Verordnung zum Infektionsschutz dürfen sich im Sommer 2020 nur zwei Haushalte treffen. Die Rechtsverordnung ist materiell rechtswidrig. Polizistin P erteilt L aufgrund der Verordnung einen Platzverweis.

Einordnung des Falls

Fall 6: Erlass eines Verwaltungsakts aufgrund einer (rechtswidrigen) Verordnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Rechtmäßigkeit des Platzverweises setzt zunächst voraus, dass er aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage und formell rechtmäßig ergangen ist.

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Ja, in der Tat!

Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er aufgrund einer (1) rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage, (2) formell und (3) materiell rechtmäßig ergangen ist. Die Rechtsgrundlage für einen Platzverweis findet sich in dem jeweils einschlägigen Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesländer (z.B. Art 16 Abs. 1 PAG). Die formelle Rechtmäßigkeit des Platzverweises erfordert die Einhaltung der einschlägigen Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften. Die Polizeibehörden der Länder sind zuständig für die Abwehr von Gefahren, sofern eine rechtzeitige Abhilfe durch die Ordnungsbehörden nicht zu erwarten ist. P wird hier nicht repressiv, sondern präventiv zur Gefahrenabwehr tätig (Art. 2 Abs. 1 PAG). Sie ist im Rahmen ihrer Eilzuständigkeit (Art. 3 PAG) zuständig für den Erlass des Platzverweises. Dieser kann auch mündlich erlassen werden. Formelle Fehler sind nicht erkennbar. Zum Aufbau: Das Vorliegen einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit. Der hier vorgeschlagene Prüfungsaufbau, bei dem die Ermächtigungsgrundlage vorangestellt wird, strukturiert die Prüfung jedoch überzeugend vor und wird weithin so gewählt.

2. Ein Verstoß gegen eine rechtmäßige Verordnung begründet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

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Ja!

Nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 PAG kann die Polizei einen Platzverweis zur Abwehr einer (bestehenden) Gefahr oder einer drohenden Gefahr für bedeutende Rechtsgüter erteilen. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht dann, wenn ein Verhalten gegen die objektive Rechtsordnung verstößt. Zu dieser gehören das Grundgesetz, Landesverfassungen, Parlamentsgesetze und alle materiellen Gesetze (Rechtsverordnungen, Satzungen). Rechtswidrige Rechtsverordnungen sind nichtig. Sie entfalten also keine Wirkung und sind damit gerade kein Teil der objektiven Rechtsordnung. Wenn Ls Verhalten gegen eine rechtmäßige (= wirksame) Rechtsverordnung verstieße, bestünde darin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

3. Zur Beantwortung der Frage, ob Ls Verhalten gegen die objektive Rechtsordnung verstößt, müsste die Rechtsverordnung zunächst rechtmäßig sein.

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Genau, so ist das!

Der Verstoß gegen eine Rechtsverordnung kann nur dann eine Gefahr für die objektive Rechtsordnung sein, wenn die Rechtsverordnung rechtmäßig und damit wirksam ist. Die Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung setzt voraus, dass sie (1) auf der Grundlage einer (formell und materiell) rechtmäßigen Rechtsgrundlage ergangen ist und die Verordnung selbst (2) formell sowie (3) materiell rechtmäßig ergangen ist Die Rechtsverordnung ist vorliegend materiell rechtswidrig. Dass die Rechtsverordnung hier rechtswidrig ist, haben wir aus didaktischen Gründen vorgegeben. In einer Klausur wird der Sachverhalt regelmäßig keine Vorgaben zur Rechtswidrigkeit einer Verordnung enthalten. Diese musst Du dann vielmehr inzident prüfen.

4. Begründet Ls Verhalten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, mit der Folge, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Platzverweises erfüllt sind?

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Verstoß gegen eine Rechtsverordnung kann nur dann eine Gefahr für die objektive Rechtsordnung sein, wenn die Rechtsverordnung rechtmäßig und damit wirksam ist. Die Rechtsverordnung ist laut Sachverhalt materiell rechtswidrig. In Ls Verhalten ist daher kein Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung zu sehen. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt also nicht vor. Auch ist nicht ersichtlich, dass Ls Verhalten aus anderen Gründen den Tatbestand des Platzverweises erfüllt. Der Platzverweis ist rechtswidrig. Rechtsverordnungen treten in der verwaltungsrechtlichen Klausur oft – wie hier – in der Form auf, dass sie inzident im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Handelns einer Behörde geprüft werden muss. Du punktest bereits damit, dass Du die Rechtsverordnung an der richtigen Stelle prüfst.

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