Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Die Rechtsverordnung

Fall 6: Erlass eines Verwaltungsakts aufgrund einer (rechtswidrigen) Verordnung

Fall 6: Erlass eines Verwaltungsakts aufgrund einer (rechtswidrigen) Verordnung

4. Juli 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach der durch die bayrische Landesregierung erlassenen Verordnung zum Infektionsschutz dürfen sich im Sommer 2020 nur zwei Haushalte treffen. Die Rechtsverordnung ist materiell rechtswidrig. Polizistin P erteilt L aufgrund der Verordnung einen Platzverweis.

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Einordnung des Falls

Fall 6: Erlass eines Verwaltungsakts aufgrund einer (rechtswidrigen) Verordnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Rechtmäßigkeit des Platzverweises setzt zunächst voraus, dass er aufgrund einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage und formell rechtmäßig ergangen ist.

Ja, in der Tat!

Ein Verwaltungsakt ist rechtmäßig, wenn er aufgrund einer (1) rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage, (2) formell und (3) materiell rechtmäßig ergangen ist. Die Rechtsgrundlage für einen Platzverweis findet sich in dem jeweils einschlägigen Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesländer (z.B. Art 16 Abs. 1 PAG). Die formelle Rechtmäßigkeit des Platzverweises erfordert die Einhaltung der einschlägigen Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften. Die Polizeibehörden der Länder sind zuständig für die Abwehr von Gefahren, sofern eine rechtzeitige Abhilfe durch die Ordnungsbehörden nicht zu erwarten ist. P wird hier nicht repressiv, sondern präventiv zur Gefahrenabwehr tätig (Art. 2 Abs. 1 PAG). Sie ist im Rahmen ihrer Eilzuständigkeit (Art. 3 PAG) zuständig für den Erlass des Platzverweises. Dieser kann auch mündlich erlassen werden. Formelle Fehler sind nicht erkennbar. Zum Aufbau: Das Vorliegen einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit. Der hier vorgeschlagene Prüfungsaufbau, bei dem die Ermächtigungsgrundlage vorangestellt wird, strukturiert die Prüfung jedoch überzeugend vor und wird weithin so gewählt.
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2. Ein Verstoß gegen eine rechtmäßige Verordnung begründet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Ja!

Nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 PAG kann die Polizei einen Platzverweis zur Abwehr einer (bestehenden) Gefahr oder einer drohenden Gefahr für bedeutende Rechtsgüter erteilen. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht dann, wenn ein Verhalten gegen die objektive Rechtsordnung verstößt. Zu dieser gehören das Grundgesetz, Landesverfassungen, Parlamentsgesetze und alle materiellen Gesetze (Rechtsverordnungen, Satzungen). Rechtswidrige Rechtsverordnungen sind nichtig. Sie entfalten also keine Wirkung und sind damit gerade kein Teil der objektiven Rechtsordnung. Wenn Ls Verhalten gegen eine rechtmäßige (= wirksame) Rechtsverordnung verstieße, bestünde darin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

3. Zur Beantwortung der Frage, ob Ls Verhalten gegen die objektive Rechtsordnung verstößt, müsste die Rechtsverordnung zunächst rechtmäßig sein.

Genau, so ist das!

Der Verstoß gegen eine Rechtsverordnung kann nur dann eine Gefahr für die objektive Rechtsordnung sein, wenn die Rechtsverordnung rechtmäßig und damit wirksam ist. Die Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung setzt voraus, dass sie (1) auf der Grundlage einer (formell und materiell) rechtmäßigen Rechtsgrundlage ergangen ist und die Verordnung selbst (2) formell sowie (3) materiell rechtmäßig ergangen ist Die Rechtsverordnung ist vorliegend materiell rechtswidrig. Dass die Rechtsverordnung hier rechtswidrig ist, haben wir aus didaktischen Gründen vorgegeben. In einer Klausur wird der Sachverhalt regelmäßig keine Vorgaben zur Rechtswidrigkeit einer Verordnung enthalten. Diese musst Du dann vielmehr inzident prüfen.

4. Begründet Ls Verhalten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, mit der Folge, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Platzverweises erfüllt sind?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Verstoß gegen eine Rechtsverordnung kann nur dann eine Gefahr für die objektive Rechtsordnung sein, wenn die Rechtsverordnung rechtmäßig und damit wirksam ist. Die Rechtsverordnung ist laut Sachverhalt materiell rechtswidrig. In Ls Verhalten ist daher kein Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung zu sehen. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt also nicht vor. Auch ist nicht ersichtlich, dass Ls Verhalten aus anderen Gründen den Tatbestand des Platzverweises erfüllt. Der Platzverweis ist rechtswidrig. Rechtsverordnungen treten in der verwaltungsrechtlichen Klausur oft – wie hier – in der Form auf, dass sie inzident im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Handelns einer Behörde geprüft werden muss. Du punktest bereits damit, dass Du die Rechtsverordnung an der richtigen Stelle prüfst.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

HAN

Hannah17

3.5.2024, 14:12:25

Verstehe ich es also richtig, dass ich die

Ermächtigungsgrundlage

in der

Begründetheit

als ersten Prüfungspunkt anspreche und hierunter dann die

formelle und materielle Rechtmäßigkeit

im gebotenen Umfang prüfe, sofern der Sachverhalt hierzu Anlass bietet?

Maximilian Puschmann

Maximilian Puschmann

7.5.2024, 13:58:20

Hallo Hannah 17, Wenn Anhaltspunkte bestehen, dass die in Frage kommende

Ermächtigungsgrundlage

selbst formell oder materiell

rechtswidrig

sein könnte, prüfst du dies inzident unter dem Punkt

Ermächtigungsgrundlage

. Die

formelle und materielle Rechtmäßigkeit

des Verwaltungsaktes selbst prüfst du im Anschluss. Ob eine taugliche

Ermächtigungsgrundlage

gegeben ist, prüfst du in der

Begründetheit

immer zuerst.  Beste Grüße Max – für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

11.8.2024, 17:17:39

@[Hannah17](150261) B.

Begründetheit

des Rechtsbehelfs I. Rechtmäßigkeit des

Platzverweis

es 1.

Ermächtigungsgrundlage

a) Erforderlichkeit einer

Ermächtigungsgrundlage

(+), da

Vorbehalt des Gesetzes

b) Konkrete

Ermächtigungsgrundlage

, Art. 16 Abs. 1 PAG

Formelle Rechtmäßigkeit

a) Zuständigkeit der handelnden Behörde → Zuständigkeit der Polizei zur

Gefahr

enabwehr (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 PAG) b) Verfahren c) Form 2.

Materielle Rechtmäßigkeit

a) Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 16 I PAG aa)

Gefahr für die öffentliche Sicherheit

(1)

Öffentliche Sicherheit

umfasst die objektive Rechtsordnung, darunter auch RVO (2) Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung, hier also RVO? - Problem: Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Verordnung → inzident RVO prüfen, also (aa)

Ermächtigungsgrundlage

für RVO (i) Formelle Vfm der EGL (ii) Materielle Vfm der EGL (bb) Rechtmäßigkeit der RVO (i) Formelle RMK (ii) Materielle RMK (cc) Zwischenergebnis (3) Zwischenergebnis bb) Zwischenergebnis b) Rechtsfolge:

Ermessen

der Behörde aa)

Ermessensfehler

bb) Verhältnismäßigkeit II. Ergebnis Der

Platzverweis

ist aufgrund der materiellen

Rechtswidrig

keit der zugrunde liegenden Verordnung

rechtswidrig

.

OKA

okalinkk

18.4.2025, 16:52:54

wie ist dieses Ergebnis damit zu vereinbaren, dass es im Verwaltungsrecht grds. keinen

Rechtswidrig

keitszusammenhang gibt?

Simon

Simon

2.6.2025, 17:43:35

Vorsicht, die Faustregel, dass es keinen

Rechtswidrig

keitszusammenhang (sog.

Konnexität

) gibt, gilt nur im

Verwaltungsvollstreckung

srecht. Art. 70 I BayPAG fordert für die Vollstreckung

polizeirecht

licher Verfügungen nur das Vorliegen eines vollstreckbaren VA. Im Umkehrschluss zu Art. 70 II BayPAG ("innerhalb ihrer Befugnisse") und angesichts des Grundsatzes der effektiven

Gefahr

enabwehr, sowie der Tatbestandswirkung von VA muss dieser Grund-VA nur wirksam, nicht hingegen rechtmäßig sein (str.). Überprüfst Du aber die Rechtmäßigkeit des Grund-VA, z.B. im Rahmen einer

Fortsetzungsfeststellungsklage analog

§ 113 I 4 VwGO gegen den

Platzverweis

, so musst Du sehr wohl die Rechtmäßigkeit der RVO prüfen, da eine

rechtswidrig

e RVO nichtig ist und ein Verstoß gegen diese damit keine

Gefahr für die öffentliche Sicherheit

i.S.d. Art. 16 I 1 Nr. 1 BayPAG begründen kann. Bei Rechtsnormen gibt es keinen Wirksamkeitsgrundsatz wie ihn Art. 43 II BayVwVfG anordnet, sondern es gilt das sog. Nichtigkeitsdogma.

OKA

okalinkk

3.6.2025, 08:58:35

Danke :) @[Simon](131793)


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