Öffentliches Recht

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Grenzen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs

Grenzen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Berliner Journalist J begehrt beim Bundestag Auskünfte zu Immunitätsangelegenheiten, u.a. zu Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete. Der Bundestag lehnt dies unter Hinweis auf Art. 46 GG ab. J meint, er habe einen Anspruch auf Erteilung der Auskünfte.

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Einordnung des Falls

Grenzen eines verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Auskunftsanspruch des J ergibt sich aus § 1 Abs. 1 S. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Nein, das trifft nicht zu!

Jeder hat gegenüber den Behörden des Bundes einen grundsätzlich voraussetzungslosen Anspruch auf Informationszugang (§ 1 Abs. 1 S. 1 IFG). Diese gesetzgeberische Grundentscheidung dient vor allem der Transparenz und der Kontrolle staatlichen Handelns. Allerdings hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 1 S. 2 IFG den parlamentarischen Bereich vom Recht auf Informationszugang ausgenommen. Der Bundestag ist danach nur informationspflichtig, soweit er Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Dazu zählt jedoch nicht die Wahrnehmung parlamentarischer Angelegenheiten, wie z.B. die Wahrung der Rechte seiner Mitglieder in Immunitätsangelegenheiten.
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2. Die Landespressegesetze (hier: § 4 Abs. 1 PresseG Berlin) regeln spezielle Auskunftsansprüche der Presse gegenüber Behörden.

Ja!

Die Pressegesetze der Länder normieren landesrechtliche Auskunftsansprüche der Presse gegenüber Behörden (z.B. § 4 Abs. 1 PresseG Berlin). Dies beruht auf der Kompetenzordnung des GG: Die Regelung behördlicher Auskunftspflichten gegenüber der Presse lässt sich wesensmäßig dem Presserecht zuordnen. Dafür sind die Länder zuständig, da Art. 73 und 74 GG es nicht dem Bund zuweisen (RdNr. 12). In besonderen Fällen kann ein Landespressegesetz aber wegen entgegenstehender Kompetenz des Bundes unanwendbar sein (Art. 70 Abs. 1 GG). Mangels ausdrücklicher Zuweisung in Art. 73 und 74 GG sind solche Fälle nur bei Annexkompetenzen des Bundes denkbar.

3. Die Regelungskompetenz für Auskunftsansprüche zur Rechtsstellung der Abgeordneten liegt beim Bund (Art. 38 Abs. 3, Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG). Das Landespressegesetz ist nicht anwendbar.

Genau, so ist das!

BVerwG: Das GG weist die Regelungskompetenz für Auskunftsansprüche zur Rechtsstellung der Abgeordneten als Annexkompetenz dem Bundesgesetzgeber zu. Nach Art. 38 Abs. 3 und Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG sind Einzelheiten der Rechtsstellung der Abgeordneten durch Bundesgesetz zu bestimmen. Über Auskunftspflichten, die diesen Bereich und damit die Selbstorganisation des Bundes betreffen, hat der Bundesgesetzgeber in Ausübung seiner Annexkompetenzen selbst zu entscheiden. Von dieser Kompetenz hat er bisher keinen Gebrauch gemacht – es existiert (noch) keine bundesgesetzliche Regelung für einen presserechtlichen Auskunftsanspruch (RdNr. 12).

4. Wenn das Landespresserecht aus Kompetenzgründen nicht anwendbar ist, folgt ein Auskunftsanspruch der Presse unmittelbar aus der Verfassung (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG).

Ja, in der Tat!

Nach st.Rspr. des BVerwG (seit BVerwGE 146, 56) verleiht die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) in solchen Fällen einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch gegenüber Bundesbehörden. Dieser folge aus der Funktion der Presse in der freiheitlichen Demokratie, namentlich ihrer Informations- und Kontrollfunktion (RdNr. 13). Der Anspruch ist auf das Niveau eines „Minimalstandards“ zu begrenzen: Presseangehörige können auf hinreichend bestimmte Fragen Auskünfte verlangen, soweit die begehrten Informationen bei der Behörde tatsächlich vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater nicht entgegenstehen.

5. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) beschränkt sich auf das Verwaltungshandeln von Bundesbehörden (sog. funktionaler Behördenbegriff).

Ja!

Richtig! Das BVerwG geht in st.Rspr. davon aus, dass der Anspruch allein gegenüber Bundesbehörden im funktionalen Sinne geltend gemacht werden kann. Es gilt also – wie auch bei § 1 Abs. 1 S. 2 IFG – der funktionale Behördenbegriff (RdNr. 15f.). Damit sind nur solche Behörden anspruchsverpflichtet, die Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Der Begriff der Verwaltungstätigkeit ist dabei grundsätzlich negativ im Wege der Abgrenzung zu den anderen Staatsfunktionen (Gesetzgebung und Rechtsprechung) zu bestimmen (sog. Subtraktionsmethode). Nicht zur Verwaltungstätigkeit gehören somit z.B. parlamentarische Angelegenheiten der Gesetzgebung.

6. Immunitätsangelegenheiten von Abgeordneten sind Teil der Verwaltungsangelegenheit des Deutschen Bundestages.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerwG: Immunitätsangelegenheiten seien dem Parlament verfassungsrechtlich durch Art. 46 Abs. 2 bis Abs. 4 GG garantiert und zugeordnet und damit Teil der parlamentarischen Angelegenheiten des Bundestages. Der Zweck dieses Privilegs sei die Sicherung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages. Voraussetzung der effektiven Arbeit des Bundestages sei es nämlich, dass jeder Abgeordnete an Verhandlungen und Entscheidungen ungestört mitwirken könne; strafrechtliche Ermittlungen beeinträchtigten diese Arbeit. Somit unterfallen Immunitätsangelegenheiten „insgesamt und ohne Differenzierungen“ der Parlamentsautonomie (RdNr. 17).

7. Da sich das Auskunftsbegehren des J nicht auf ein Verwaltungshandeln des Bundestages richtet, ist ein verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) zu verneinen.

Ja, in der Tat!

Nach Ansicht des BVerwG sei der Anwendungsbereich des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs nicht eröffnet, wenn parlamentarische Angelegenheiten wie Immunitätsangelegenheiten von Abgeordneten betroffen sind (RdNr. 14). Der pauschale Ausschluss von Immunitätsangelegenheiten („insgesamt und ohne Differenzierungen“) kann jedoch durchaus kritisch betrachtet werden. Vor allem ist fraglich, ob eine entsprechende Berichterstattung über Parlamentarier den Bundestag tatsächlich in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt oder ob sie vielmehr einen disziplinierenden, politisch begrüßenswerten Effekt hätte.

8. Ein Auskunftsanspruch des J kann sich hier jedoch aus Art. 10 EMRK ergeben.

Nein!

Nach der Rspr des EGMR ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 EMRK ein Recht der Presse auf Zugang zu Verwaltungsinformationen. BVerwG: Es spreche viel dafür, dass das von J als Journalist und somit in seiner Funktion als „public watchdog“ geltend gemachte Auskunftsbegehren von Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst wird. Es sei allerdings nicht ersichtlich, dass die nach innerstaatlichem Recht bestehenden Grenzen des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs – bei Beachtung des Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten – den Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK nicht genügen (RdNr. 18). Ein Auskunftsanspruch des J besteht somit nicht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Amelie

Amelie

7.11.2024, 20:12:29

In der Aufgabe steht, dass Landesvorschriften wegen entgegenstehender Kompetenz des Bundes (

Annexkompetenz

) unanwendbar sein könnten. Es steht jedoch auch, dass der Bund bisher hiervon keinen Gebrauch gemacht hat. Wurde die Entscheidung dann nach § 4 I PresseG Berlin entschieden? Hat dieser auch die Einschränkung der Verwaltungsangelegenheiten?


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