Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§ 123 VwGO)

Unterschied der Begründetheit des Eilrechtsschutzes von Hauptsache: Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Unterschied der Begründetheit des Eilrechtsschutzes von Hauptsache: Keine Vorwegnahme der Hauptsache

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Baubehörde B versagt Immobilienhai H die Erteilung einer Baugenehmigung. Hs Aktionäre haben mit dem alsbaldigen Neubau kalkuliert, sodass H schnellstmöglich eine Baugenehmigung erlangen will. Er stellt daher einen Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO, gerichtet auf den vorläufigen Erlass der Baugenehmigung.

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Einordnung des Falls

Unterschied der Begründetheit des Eilrechtsschutzes von Hauptsache: Keine Vorwegnahme der Hauptsache

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Durch die Entscheidung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes darf die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweg genommen werden.

Genau, so ist das!

Neben der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO muss immer auch - wenigstens gedanklich - geprüft werden, ob die Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache vorweg nimmt. Ist dies der Fall, ist der Antrag unbegründet. Das Gericht darf im Eilrechtsschutzverfahren keine endgültige Entscheidung bezüglich des geltend gemachten Rechtsanspruchs treffen. Einer endgültigen Entscheidung steht es gleich, wenn der Zustand, der durch die vorläufige Entscheidung entsteht, nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die Erteilung einer vorläufigen Baugenehmigung an H dürfte die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg nehmen. In der Klausur musst Du hierzu nur näheres ausführen, wenn es dazu entsprechende Anhaltspunkte im Sachverhalt gibt. Ansonsten kannst Du in einem Satz feststellen, dass die Entscheidung nicht vorweg genommen wird.
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2. Der Erlass einer vorläufigen Baugenehmigung nimmt die Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich vorweg.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Erlass einer vorläufigen Baugenehmigung muss nicht grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache vorweg nehmen. Denn es handelt sich ja gerade nur um eine vorläufige, nicht um eine endgültige Erteilung. Etwas andere gilt, wenn der spätere Abriss des errichteten Baus bei Erfolglosigkeit des Hauptsacheverfahrens rechtlich ausgeschlossen wäre, etwa wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dann wäre die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen, weil der Zustand nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Die Regelung wäre tatsächlich nicht nur vorläufig, sondern endgültig. Die Erteilung der vorläufigen Baugenehmigung wäre hier ausgeschlossen, wenn das geplante Gebäude des H später nicht mehr abgerissen werden dürfte.

3. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein spätere Abriss nicht mehr möglich wäre. Die Entscheidung in der Hauptsache wird nicht vorweg genommen.

Ja!

Die Erteilung einer vorläufigen Baugenehmigung nimmt die Entscheidung in der Hauptsache vorweg, wenn der spätere Abriss des errichteten Baus bei Erfolglosigkeit des Hauptsacheverfahrens rechtlich ausgeschlossen wäre, etwa wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Es ist davon auszugehen, dass Hs geplanter Bau wieder abgerissen werden könnte. Insbesondere ist er weniger schutzwürdig, da sein Antrag auf Baugenehmigung bereits einmal abgelehnt wurde und er mit einer zweiten Ablehnung rechnen muss. In der Klausur hättest Du mehr Anhaltspunkte für und wider der Verhältnismäßigkeit eines Abrisses. Die Erteilung der vorläufigen Baugenehmigung wird wohl regelmäßig zumindest daran scheitern, dass es an der erforderlichen Eilbedürftigkeit fehlt. In der Regel wird es dem Antragsteller zumutbar sein, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🦊²

🦊²

12.7.2022, 21:23:28

Hi, die Hauptsache darf aber dann zulässigerweise vorweggenommen werden, wenn dem Antragsteller sonst irreparabel Schäden drohen? (Art. 19 IV GG - effektiver Rechtsschutz) Liebe Grüße 🦊²

MAR

Marius

14.7.2022, 00:35:39

Laut meinen Unterlagen ist das richtig. :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

23.7.2022, 12:56:53

Hallo Fuchs², genau richtig. Es gibt Ausnahmen vom Vorwegnahmeverbot, die sich aus dem Gebots effektiven Rechtsschutzes ergeben (Art. 19 Abs. 4 GG). So ist ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig, wenn das Recht des Antragsstellers sonst vereitelt würde oder wenn ihm aus sonstigen Gründen eine bloß vorläufige Regelung nicht zumutbar ist. In diesen Fällen sind aber an die Prognose der Erfolgsaussichten in der Hauptsache besonders hohe Anforderungen zu stellen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

BL

Blotgrim

13.12.2023, 14:45:20

Könnte man das in der Antwort vielleicht etwas mehr hervorheben? Es kommt für mich nämlich nicht so klar rüber, wie es hier ausgeführt wird

RAP

Raphaeljura

18.7.2023, 23:49:04

Ich meine, dass Tesla in Grünheide so vorgegangen ist. Was wären grundsätzlich Gründe für eine Eilbedürftigkeit? Und was wären Gründe, dass ein späterer Abriss unverhältnismäßig wäre?

BL

Blotgrim

6.1.2024, 09:32:32

Gründe für die Eilbedürftigkeit könnten zum Beispiel wie eben hier sein, dass dir Investoren im Nacken sitzen, die zeitnah Ergebnisse sehen wollen und sonst mit dem Absprung drohen. Es ist auch davon abhängig ob eine Regelungsanordnung oder Sicherungsanordnung vorliegt. Vereinfacht kann man sich aber merken dass ein nicht unwesentlicher Nachteil drohen muss, der dafür sorgt, dass man eine Entscheidung in der Hauptsache nicht abwarten kann. Der Abriss kann dann unverhältnismäßig sein, wenn der Verstoß gegen das Baurecht relativ gering ist, man aber gleichzeitig einen Wohnhaus und nicht nur einen Schuppen abreißt. Beispielsweise wenn das Haus die vorgeschriebenen Abstände zur Grundstücksgrenze um 2 cm überschreitet. Hier könnte es unverhältnismäßig sein eine Familie ihres Hauses zu berauben. So hätte ich das jetzt bewertet.

SARA

Sarah

6.11.2023, 16:04:55

Ist der Antrag aber nicht deshalb ungenau, weil das Gericht selbst garkeine vorläufige Baugenehmigung erlassen kann? wäre der Antrag ( im 2. Stex) entsprechend auszulegen?

BL

Blotgrim

6.1.2024, 09:17:21

Also vielleicht steh auch ich gerade auf dem Schlauch, aber warum sollte das Gericht keine vorläufige Baugenehmigung erteilen können? Es handelt sich dabei doch um eine gebundene Entscheidung, sodass das Gericht, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass das Vorhaben mit dem Baurecht vereinbar ist, eine Baugenehmigung erteilen könnte oder nicht?

w.laura.l

w.laura.l

6.2.2024, 11:09:30

Soweit ich weiß vermittelt die Baugenehmigung dem Bauvorhaben Bestandsschutz. Ist dies auch bei der vorläufigen Erteilung der Baugenehmigung der Fall? Falls ja, wie wirkt sich dieser dann auf die Hauptsacheentscheidung aus? Falls nein, weshalb nicht?

w.laura.l

w.laura.l

6.2.2024, 11:13:02

bzw. wird das wohl im VwGO-Kommentar von Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, § 123 Rn. 156 unter Verweisung auf Urteile anders gesehen?


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