Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§ 123 VwGO)

1 Fall Feststellungsklage: Sicherungsanordnung

1 Fall Feststellungsklage: Sicherungsanordnung

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eine Verordnung der Gemeinde G in Land L bestimmt für Bezirk B, dass dort das Nachgehen der Prostitution verboten ist. P hält die Verordnung für nichtig, weil diese die formellen Anforderungen des Zitiergebots aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG nicht erfüllt, was tatsächlich der Fall ist. Damit P bis zur Entscheidung in der Hauptsache seinen Lebensunterhalt verdienen kann, stellt er einen Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO.

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Einordnung des Falls

1 Fall Feststellungsklage: Sicherungsanordnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nur statthaft, wenn das Land L von der Möglichkeit des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO keinen Gebrauch gemacht hat.

Ja, in der Tat!

Alle Länder außer Hamburg haben von der Möglichkeit des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht. Das fiktive Land L hat kein Landesgesetz eingeführt, dass die Überprüfung untergesetzlicher Landesnormen in einem Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO ermöglicht. Einige andere Länder sehen ein solches Verfahren nur in eingeschränktem Umfang vor. Es gilt jedes Mal zu überprüfen, ob dieser Fall vorliegt. NRW hat es z.B. in § 109a und Berlin in § 62a JustG normiert. In eingeschränktem Umfang sieht Bayern die konkrete Normenkontrolle vor, Art. 4 S. 1 AGVwG.
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2. Die Verordnung ist aufgrund eines formellen Fehlers nichtig. Der Anordnungsanspruch besteht.

Ja!

Im Rahmen des Anordnungsanspruchs wird eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorgenommen. D.h., dass geprüft wird, ob nach den glaubhaft gemachten bekannten Tatsachen der Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich ist. Geprüft wird quasi die Begründetheit im Hauptsacheverfahren. Dabei darf im Ergebnis die Hauptsacheentscheidung nicht vorweg genommen werden, also nur eine vorläufige Regelung getroffen werden. Der formelle Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG führt zur Nichtigkeit der Verordnung. Das Hauptsacheverfahren wird Erfolg haben. Die „summarische„ Prüfung hat im Ersten Staatsexamen keine Auswirkungen auf den Umfang der Prüfung, den Begriff solltest Du aber unbedingt nennen.

3. Ps Antrag scheitert am Fehlen der Eilbedürftigkeit. Der Antrag ist daher unbegründet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Antragsteller die besondere Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht hat. Im Rahmen von § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO bedeutet das, dass durch längeres Zuwarten die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte Ein Zuwarten, bis über die Hauptsache entschieden wurde, würde Ps Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG wesentlich erschweren, da er bis dahin nicht arbeiten könnte, ohne ein Ordnungsgeld zu riskieren. Die Einschränkung ist schwerwiegend, weil Ps Grundlage zur Lebenserhaltung wegfallen würde. Eilbedürftigkeit liegt damit vor. Der Antrag ist begründet. Das Gericht wird die Nichtigkeit der Verordnung vorläufig feststellen. Diese Feststellung wirkt nur inter partes für P, sodass sich andere nicht darauf berufen können.

4. Ls Antrag nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist begründet, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Ja!

Mit Hilfe des Antrags nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann eine vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustands erreicht werden. Dies kommt regelmäßig in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis in Betracht. Die Begründetheitsprüfung gliedert sich in die Glaubhaftmachung des Bestehens eines (1) Anordnungsanspruchs und (2) Anordnungsgrundes. P begehrt die vorläufige Sicherung seiner Rechtsposition in Bezug auf die streitige Rechtsverordnung. Er muss glaubhaft machen, dass die Rechtsverordnung ihn in seinen Rechten verletzt. Weiterhin muss er die Eilbedürftigkeit glaubhaft machen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

3.5.2022, 14:06:40

Ist es nicht nach der Rechtsprechung grundsätzlich so, dass bei Art. 12 GG das Zitiergebot nicht mehr richtig zur Anwendung kommt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.5.2022, 14:29:12

Hallo nomamo, vielen Dank für die Rückfrage. Ich glaube, Du unterliegst hier einer kleinen Verwechslung. Das Zitiergebot in Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG besagt, dass bei Verordnungen die Rechtsgrundlage anzugeben ist, auf der sie beruht. Dies gilt auch dann, wenn in die Berufsfreiheit eingegriffen wird. Richtig ist aber, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG das Zitiergebot nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG, also die Pflicht die Grundrechte zu benennen, die ein Gesetz einschränkt, auf die Berufsausübungsfreiheit nicht anzuwenden ist, da es hier an einem gezielten Freiheitseingriff fehlt (vgl. BVerfG NJW 1961, 2011). Vielmehr enthalte Art. 12 Abs. 1 GG einen Regelungsvorbehalt, der darauf abzielt, dass die inhärenten Grenzen der gewerblichen Tätigkeit überhaupt erst durch Gesetze ausgestaltet und konkretisiert werden. Es liegt also keine "Einschränkung" vor, wie sie für das Zitiergebot vorausgesetzt wird (vgl. Art. 19 Abs. 1 GG). Insofern findet das Zitiergebot auch keine Anwendung auf die allgemeine Handlungsfreiheit, die Meinungsfreiheit oder die Eigentumsgarantie (vgl. Enders, in: BeckOK-GG, 50.Ed. 15.02.2022, Art. 19 RdNr. 14). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KI

kimboslice

10.6.2022, 15:35:35

Warum ist hier nicht der Antrag nach §

47 VI VwGO

statthaft?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

6.7.2022, 12:00:47

Liebe kimboslice, danke für den Hinweis! Tatsächlich hast du Recht und ein Antrag nach

§ 47 Abs. 6 VwGO

ist statthaft, wenn das Landesgesetz dies für untergesetzliche Landesnormen vorsieht. Berlin und Brandenburg haben von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, dort spielt auch der Fall. Wir haben die Aufgabe entsprechend präzisiert. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

KI

kimboslice

6.7.2022, 13:19:40

Alles klar, danke :)

ER

Eric

21.11.2022, 22:35:26

Auch hier sollte Berlin gestrichen werden, da eine Regelung nunmehr existiert ;)

UN

Unterfertigter

26.1.2024, 22:52:01

Ich dachte, mit 62a JustG hätte Berlin mittlerweile eine Regelung iSd 47 I 2?

LELEE

Leo Lee

27.1.2024, 12:50:12

Hallo, vielen Dank für den Hinweis! Berlin hat wie du zu Recht anmerkst seit ein paar Jahren die neue Regelung in § 62a JustG Bln. Wir haben den Text nun entsprechend angepasst und danken dir vielmals, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

HAN

hannabuma

3.6.2024, 19:13:11

Wie wäre es, wenn die Verordnung oder Satzung noch nicht in Kraft getreten ist und der Betroffene sich bereits davor gegen den Erlass w

ehre

n will? Ist dann trotzdem schon der §

47 VI VwGO

einschlägig, oder nur der § 123 I VwGO?

HARD

hardymary

13.11.2024, 16:05:29

Ich würde mit §

47 VI VwGO

gehen, sofern es in einem Bundesland spielt, der von dem § 47 I Nr. 2 Gebrauch gemacht hat. . Ich meine, dass da vorbeugender RS mit den allg. Voraussetzungen möglich ist (Abwarten unzumutbar).


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