+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die esoterikbegeisterte Irin B führt Séancen durch, in denen sie in der Regel gegen Entgelt den Kontakt zu Verstorbenen herstellt. Ein Mal hat sie die Leistung kostenlos angeboten. Zu diesem Zweck reist sie 3-5 Mal im Jahr von Dublin nach Amsterdam, wo sie ihre Dienste anbietet.
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Einordnung des Falls
Grundlagenfall: Begriff der Dienstleistung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Dienstleistungsfreiheit ist nur anwendbar, wenn die anderen Grundfreiheiten nicht einschlägig sind.
Genau, so ist das!
Die Dienstleistungsfreiheit ist nur subsidiär zu den anderen Grundfreiheiten anwendbar, was sich aus Art. 57 Abs. 1 AEUV ergibt. Daraus folgt, dass der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit vom Anwendungsbereich der anderen Dienstleistungsfreiheiten abgegrenzt werden muss.
Der in Art 57 AEUV normierte Vorrang der anderen Grundfreiheiten führt jedoch nicht dazu, dass die Dienstleistungsfreiheit bloß ein umfassender Auffangtatbestand ist. Vielmehr handelt es sich um eine Grundfreiheit mit einem eigenen festgelegtem Anwendungsbereich.
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2. Die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 56 AEUV setzt voraus, dass es sich bei den Séancen der B um eine Dienstleistung handelt.
Ja, in der Tat!
Der Begriff der Dienstleistung ist im AEUV nicht definiert, auch wenn Art. 57 AEUV einzelne Merkmale benennt. Die Dienstleistung lässt sich in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten als selbstständige, vorübergehende Leistung definieren, die einen entgeltlichen Charakter haben muss. Das Merkmal der Selbstständigkeit wird in Art. 57 AEUV zwar nicht ausdrücklich angesprochen, ergibt sich aber aus den beispielhaft in Art. 57 Abs. 2 AEUV genannten Tätigkeiten und in Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das Merkmal „vorübergehend“ ergibt sich in Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit. Die Dienstleistungsfreiheit war ursprünglich nur als Auffangtatbestand und Ergänzung und Unterstützung insbesondere der Warenverkehrsfreiheit gedacht (vgl. Art. 59 Abs. 2 AEUV).
3. Bs Leistung hat keinen entgeltlichen Charakter, da B sie auch kostenlos angeboten hat.
Nein!
Eine Dienstleistung hat dann entgeltlichen Charakter, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die einen Teil des Wirtschaftslebens ausmacht. Von einer Beteiligung am Wirtschaftsleben ist wiederum dann auszugehen, wenn eine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt. Außerdem muss das Entgelts immer die wirtschaftliche Gegenleistung für die betreffende Leistung darstellten. Es reicht insoweit aus, dass das Entgelt in der Regel für die betreffende Leistung entrichtet wird. B erbringt die Leistungen in der Regel gegen Entgelt und hat die Leistungen nur in einem Fall kostenlos angeboten. Der Umstand, dass im zu beurteilenden Einzelfall ausnahmsweise kein Entgelt erhoben wurde, bleibt ohne Bedeutung, sodass die Leistung insgesamt einen entgeltlichen Charakter aufweist.
4. Es handelt sich bei den angebotenen Séancen um eine selbstständige Leistung.
Genau, so ist das!
Dass es sich bei Dienstleistungen um selbstständige Tätigkeiten handelt, lässt sich an den beispielhaft in Art. 57 Abs. 2 AEUV genannten Tätigkeiten erkennen. Um eine selbstständige Leistung handelt es sich, wenn sie nicht weisungsgebunden erbracht wird. B bietet die Séancen nicht auf Grundlage fremder Weisungen für jemand anderen an, sondern entscheidet auch selbst über Ausgestaltung und Modalitäten der Leistung. Sie handelt damit selbstständig.
Mit Hilfe dieses Kriteriums wird die Dienstleistungsfreiheit von der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV abgegrenzt.
5. Die betreffende Leistung ist ferner vorübergehender Natur.
Ja, in der Tat!
Das Kriterium der vorübergehenden Leistung ergibt sich aus Art. 57 Abs. 3 AEUV. Vorübergehend ist eine Leistung dann, wenn keine dauerhafte Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Erbringung selbstständiger Leistungen errichtet wird. Das Kriterium dient der Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit. B bietet ihre Séancen nur 3-5 Mal im Jahr in den Niederlanden an. Von einer dauerhaften Niederlassung kann daher keine Rede sein. Die Leistung hat vielmehr vorübergehenden Charakter. Eine Dienstleistung i.S.d. Art. 57 AEUV liegt somit vor. Der sachliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist damit eröffnet.
Anders als das Merkmal der Entgeltlichkeit, dient das Merkmal der vorübergehenden Leistung nur der Abgrenzung von der Niederlassungsfreiheit und ist nicht genuiner Teil der Definition.