Öffentliches Recht

VwGO

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

§ 23 EGGVG: präventive vs. repressive Maßnahmen

§ 23 EGGVG: präventive vs. repressive Maßnahmen

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fall Fall zur Abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 EGGVG: Ein Mann hält sich an einem Kriminalitätsschwerpunkt auf. Ein Streifenpolizist findet ihn suspekt und fordert ihn auf, ihm seinen Personalausweis auszuhändigen.
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Klassisches Klausurproblem

A hält sich an einem Kriminalitätsschwerpunkt auf. Streifenpolizist P findet A suspekt und fordert ihn auf, ihm seinen Personalausweis auszuhändigen. A gibt P den Ausweis, will die Maßnahme aber später gerichtlich überprüfen lassen.

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Einordnung des Falls

Abdrängende Sonderzuweisung nach § 23 EGGVG: Abgrenzung präventiv oder repressiv

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Sind aufdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich? Ist Die Streitigkeit auch öffentlich-rechtlich und nichtverfassungsrechtlicher Art?

Ja!

Aufdrängende Sonderzuweisungen sind nicht ersichtlich. Nach der Sonderrechtstheorie / modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Natur, wenn die streitentscheidenden Normen einen Hoheitsträger einseitig berechtigen oder verpflichten. Die hier einschlägigen streitentscheidenden Normen sind solche des Polizei- und Ordnungsrechts. Als Normen des besonderen Gefahrenabwehrrechts berechtigen und verpflichten sie einseitig Hoheitsträger. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt somit vor. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art.
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2. Ist stets der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, wenn eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich und nicht-verfassungsrechtlicher Art ist?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Verwaltungsrechtsweg ist für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist (sog. abdrängende Sonderzuweisungen) (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO). Wichtige abdrängende Sonderzuweisungen zum ordentlichen Rechtsweg sind § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 3 GG (Amtshaftung), § 23 EGGVG (Justizverwaltungsakte) und §§ 62 Abs. 1 S. 1, 67f. OWiG (Einspruch gegen Bußgeldbescheid). Liegt eine abdrängende Sonderzuweisung offensichtlich nicht vor, genügt die Feststellung, dass abdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich sind.

3. Ist die Streitigkeit hier nach der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 EGGVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen?

Nein, das trifft nicht zu!

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art sind nach der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 EGGVG den ordentlichen Gerichten zugewiesen, wenn die betreffende Maßnahme repressiv ist. Eine Ausweiskontrolle kann präventiv (zur Gefahrenabwehr) (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG) oder repressiv (zur Strafverfolgung) erfolgen (vgl. § 163b Abs. 1 StPO). P kam es erkennbar nicht darauf an, eine bestimmte Straftat zu verfolgen. Vielmehr wollte P potenziellen Rechtsverstößen durch A vorbeugen. Damit hat die Polizei nicht als Justizbehörde i.S.d. § 23 EGGVG gehandelt. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO).
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Prüfungsschema

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO) ist für jede verwaltungsrechtliche Klausur und jede Verwaltungsstreitsache elementar. Wie prüfst Du die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs?

  1. Existieren aufdrängende Sonderzuweisungen?
  2. Liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor?
  3. Ist die Streitigkeit „nichtverfassungsrechtlicher Art“?
  4. Existieren abdrängende Sonderzuweisungen?

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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

AR

Aris

14.1.2023, 19:33:03

Inwiefern ergibt sich die Differenzierung zwischen repressiven und präventiven Eingriffen aus bzw. nach 23 EGGVG?

SE.

se.si.sc

17.1.2023, 09:54:49

§ 23 I 1 EGGVG sagt ja, dass über Maßnahmen der Justizbehörden auf dem Gebiet (u.a.) der Strafrechtspflege auf Antrag die ordentlichen Gerichte entscheiden. Auch die Polizei kann eine solche Justizbehörde sein, wenn sie eben im Einzelfall zur Strafrechtspflege tätig wird, also als Ermittlungsbehörde repressiv handelt und Straftaten aufklärt und verfolgt (zB Meyer-Goßner/Schmitt, § 23 EGGVG Rn. 2). Möchte man gegen solche Maßnahmen der Polizei vorgehen, gehört das nach § 23 I 1 GVG vor die ordentlichen Gerichte. Die Polizei kann aber auch präventiv zur Gefahrenabwehr nach den jeweiligen Landesgesetzen handeln. Das ist dann kein Fall der Strafrechtspflege iSd § 23 I 1 EGGVG und wird dort auch gar nicht näher erwähnt. Rechtsstreitigkeiten über solche Maßnahmen unterliegen deswegen nicht der abdrängenden Sonderzuweisung des § 23 I 1 EGGVG und gehören nach den allgemeinen Regeln (§ 40 I 1 VwGO) vor die Verwaltungsgerichte.

MAG

Magie99Capona

9.7.2024, 09:27:39

liegt eine öffentlich rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher art vor ist stets der verwaltungsrechtsweg eröffnet genau diese frage taucht in verschiedenen fällen auf und wird mal mit ja und mal mit nein beantwortet wegen dem stets war ich immer bei nein, da ja nich abdrängende sonderzuweisungen vorliegen können aber das ist nicht immer Richtig

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

15.7.2024, 17:52:10

Hallo @[Magie99Capona](247187), danke für Deinen Hinweis und Deine Nachfrage. Du hast ganz Recht, dass man die Frage wegen der Möglichkeit einer abdrängenden Sonderzuweisung richtigerweise mit „nein“ beantworten muss. Ich habe mir gerade alle Aufgaben in diesem Kapitel angeschaut und meines Erachtens wird die Frage immer einheitlich mit „nein“ beantwortet. Falls ich etwas übersehen habe, kommentiere den Fehler doch gerne an der entsprechenden Aufgabe. Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team.


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