Öffentliches Recht

Grundrechte

Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)

Abhören (Maßnahme von innen nach Anbringen von Lauschern) (Lauschangriff)

Abhören (Maßnahme von innen nach Anbringen von Lauschern) (Lauschangriff)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Polizei vermutet, dass M und F einen großen Raubüberfall planen. Um Details zur Tatausführung schon im Vorhinein herauszufinden, um damit die Tat verhindern zu können, bringt sie in deren Wohnung einige Wanzen zum Abhören der Gespräche an.

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Einordnung des Falls

Abhören (Maßnahme von innen nach Anbringen von Lauschern) (Lauschangriff)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.

Genau, so ist das!

Unter Wohnung versteht man solche Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind. M und Fs privates Leben und Wirken findet in den Räumen ihrer Wohnung statt. Der sachliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.
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2. Das Anbringen von technischen Abhörgeräten stellt einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG dar.

Ja, in der Tat!

Ein Eingriff liegt vor, wenn eine staatliche Stelle die räumliche Privatsphäre beeinträchtigt, die die Wohnung gewährt. Zum Anbringen der Wanzen muss die Polizei M und Fs Wohnung betreten. Dies allein stellt bereits einen - punktuellen - Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG dar. Die Nutzung der technischen Geräte zum Abhören greift zudem fortdauernd in Art. 13 Abs. 1 GG ein. Bei in der Wohnung stattfindenden Gesprächen von M und F haben diese das Gefühl, sie wären in diesem Moment unter sich. Das Abhören der Gespräche greift damit in die räumliche Privatsphäre und den Rückzugsraum ein, die die Wohnung M und F gegenüber Hoheitsträgern sonst bietet.

3. Der Eingriff, der mit dem Einsatz von technischen Mitteln zur akustischen Überwachung von Wohnungen verbunden ist, unterliegt den gleichen Anforderungen wie sonstige Eingriffe in Art. 13 Abs. 1 GG.

Nein!

Die akustische Wohnraumüberwachung (sog. "großer Lauschangriff") ist ein besonders schwerer Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG. Seine Rechtfertigung unterliegt deshalb schon von Verfassung wegen den besonderen Anforderungen des Art. 13 Abs. 3 und 4 GG. Die Wohnraumüberwachung ist insbesondere nur aufgrund richterlicher Anordnung sowie zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten (Art. 13 Abs. 3 GG) bzw. zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Art. 13 Abs. 4 GG) zulässig.

4. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.

Genau, so ist das!

Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG ist, wer unmittelbarer Besitzer der durch Art. 13 Abs. 1 GG sachlich geschützten Räume ist. M und F sind unmittelbare Besitzer als in der Wohnung lebende Personen. Der persönliche Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG ist eröffnet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LH

L. H.

2.2.2021, 11:51:04

Wie ist denn die Lage im vorliegenden Fall? Ich nehme an, Abs. 3 scheidet aus, da ja noch keine Straftat begangen wurde. Außerdem würde ich vermuten, dass für eine Einschätzung, ob Abs. 4 hier einschlägig wäre, der Sachverhalt nicht genug hergibt (z.B. Wie genau soll der Raub ablaufen? Ist die

öffentliche Sicherheit

in Gefahr?). Oder kann man bei einem "großen

Raubüberfall

" eine Lage, wie sie Abs. 4 fordert, pauschal bejahen/verneinen?

Ferdinand

Ferdinand

30.6.2021, 17:47:57

Du hast recht damit, dass eine Rechtfertigung nach Art. 13 III GG hier ausscheidet, da es sich um eine präventive Ermittlungsmaßnahme und nicht um eine Maßnahme der (repressiven) Strafverfolgung handelt. In Betracht kommt daher nur die verfassungsrechtliche Rechtfertigung nach Art. 13 IV GG. Das setzt voraus, dass die Maßnahme der Abwehr einer dringenden Gefahr für die

öffentliche Sicherheit

dient. Das

Schutzgut der öffentlichen Sicherheit

umfasst grundsätzlich u.a. die gesamte Rechtsordnung, insb. die Normen des StGB. Aus der Formulierung des Art. 13 IV 1 GG („insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr“) ergibt sich m. E., dass an das bedrohte Rechtsgut besondere Anforderungen zu stellen sind. Dies muss erst recht gelten, wenn man sich bewusst macht, dass es sich um präventive Maßnahmen handelt, die ggü. repressiven Maßnahmen grundsätzlich restriktiv zu handhaben sind. Dafür spricht auch, dass nach Abs. 4 im Gegensatz zu Abs. 3 nicht nur akustische Überwachung, sondern auch die Installation von Kameras etc. grundsätzlich gerechtfertigt werden kann. Dazu kommt, dass es sich um eine dringende Gefahr handeln muss, also ein alsbaldiger Schadenseintritt zu befürchten ist. M. E. gibt der Sachverhalt hier nicht ausreichend Informationen, um diese Abwägung anzustellen - insbesondere in zeitlicher Hinsicht. Sofern der Polizei Erkenntnisse vorliegen, nach denen der möglicherweise geplante

Raubüberfall

von besonderer Gefährlichkeit insb. für das Leben von Menschen ist, könnte man hier zu einer Rechtfertigung kommen. Sofern es sich „nur“ um einen einfachen Raub handelt, könnte man in meinen Augen hier gut vertreten, dass der Eingriff verfassungswidrig ist, da die Schranken des Art. 13 IV GG nicht gewahrt wurden.

ri

ri

17.7.2021, 21:48:13

Ist ‚dringend‘ wirklich zeitlich zu verstehen iSv alsbald oder qualitativ im Sinne von gesteigerte Gefährlichkeit?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.12.2021, 11:59:23

Hallo ri, die dringende Gefahr ist vor allem quantitativ zu verstehen. Sie liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objkeitv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut schädigen wird. Je größer der Schaden, desto geringer die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG NJW 1975, 130). Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Ferdinand

Ferdinand

17.12.2021, 12:40:29

Dass die Qualifikation der dringenden gegenüber einer „normalen Gefahr“ ausschließlich in dem Gewicht des bedrohten Rechtsguts liegen soll, halte ich für zu kurz gegriffen. Im Wesentlichen werden drei verschiedene Ansatzpunkt für die Dringlichkeit vertreten, wobei diese Kriterien meist kumulativ vorliegen sollen. Papier (in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar) formuliert es folgendermaßen: „Für die Qualifikation einer Gefahr als dringend [sind] sowohl die zeitliche Nähe und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts als auch das Ausmaß des zu erwartenden Schadens, und hier vor allem die Hochrangigkeit des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung. Die besonders ausgeprägte Verwirklichung einer der Komponenten kann dazu führen, dass an eine jeweils andere weniger hohe Anforderungen zu stellen sind.“

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.12.2021, 17:50:21

Hallo Ferdinand, in der Tat lässt sich der kumulative Ansatz sehr gut hören. Auch Gornig (in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7.A. 2018, Art. 13 RdNr. 124) geht nur dann von einer dringenden Gefahr aus, wenn der Schaden auch zeitlich naheliegt und "in allernächster Zukunft" eintritt. Das BVerwG ist in der oben zitierten Entscheidung dagegen gar nicht auf eine zeitliche Komponente eingegangen. Für die Hinzuziehung des Zeitmoment spricht, dass "dringend" nach dem allgemeinen Verständnis synonym für eilig, drängend verwendet wird. Für die Auffassung, die ausschließlich auf die Qualität des bedrohten Rechtsguts abstellt, spricht, dass die beispielhafte Aufzählung in Art. 13 Abs. 4 GG (gemeine Gefahr/ Lebensgefahr) ausschließlich das Rechtsgut in den Blick nimmt. Jedenfalls in den Fällen, in denen sowohl ein enger zeitlicher Zusammenhang als auch ein hochwertiges Rechtsgut vorliegt, liegt unstreitig eine dringende Gefahr vor. Fehlt es an einer Voraussetzung, muss man argumentieren. Letztlich kann man sich aber in beide Richtungen entscheiden. Beste Grüße, Lukas


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