Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB
Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB): Influencerin spritzt Hyaluronsäure
Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB): Influencerin spritzt Hyaluronsäure
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Influencerin I bietet via Instagram ohne Heilpraktiker-Zulassung Lippenvergrößerung und Nasenkorrekturen mittels Unterspritzungen mit Hyaluronsäure an. Aufgrund fehlerhafter Behandlung treten bei vielen Kundinnen teils sichtbare Knötchen in der Lippe auf. Laut Sachverständigem kann eine Injektion (versehentlich in ein Gefäß) "selten, aber im Einzelfall schwerwiegende Komplikationen bis hin zur Erblindung oder Schlaganfall nach sich ziehen".
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Einordnung des Falls
Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB): Influencerin spritzt Hyaluronsäure
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem I die Hyaluronsäure in niedriger Dosierung gespritzt hat, hat sie ein "Gift" (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verwendet.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem I die Hyaluronsäure unter Verwendung einer Spritze verabreicht hat, hat sie eine gefährliche Körperverletzung mittels eines "anderen gefährlichen Werkzeugs" (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen.
Genau, so ist das!
3. Indem I den Kundinnen die Hyaluronsäure gespritzt hat, hat sie eine gefährliche Körperverletzung mittels einer "das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) vorgenommen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Diaa
28.8.2023, 11:16:35
Verstehe ich das richtig, dass hier eine Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 nur deshalb angenommen wird, weil I keine Zulassung hat und die Spritze an sensiblen Stellen einsetzt?
cann1311
28.8.2023, 17:40:40
Es ist egal ob zulassung oder nicht. Fraglich sind hier erstmal nur
Tatbestände. Auch ein zugelassener Arzt hätte hier den TB erfüllt.
Jonas Neubert
13.9.2023, 15:50:40
Der Kern m.E. liegt hier, dass der BGH die Gefährlichkeit bei Einzelfällen bejaht, aber nur wenn sie nicht sehr selten objektiv das Leben gefährden können
bayilm
12.7.2024, 13:59:28
Ich finde der BGH verkennt hier den Grad der Gefährlichkeit imEinzellfall. Es kommt bei solchen Unterspritzungen gerade bei der Durchführung von medizinischen Fachpersonal selten zu Komplikationen. Bei einer ungeschulten Person ist das Risiko ein Gefäß zu treffen und dadurch dann schlimme Folgen zu verursachen doch viel höher und damit dann auch nicht mehr nur selten der Fall.
Magnum
22.10.2024, 17:30:50
Mir leuchtet hier nicht ein, wie die Einordnung als Gift aufgrund der fehlenden gesundheitsschädlichkeit abgelehnt werden kann, aber eine Spritze mit diesem Gift ein gefährliches Werkzeug darstellen kann. Ist nicht für bei die Eignung zur Hervorrunfung von erheblichen
Gesundheitsschädigungen maßgeblich. Die leere Spritze wäre ja kaum als gefährliches Werkzeug einzustufen, oder?
Sebastian Schmitt
27.10.2024, 21:05:37
Hallo @[Magnum](172647), Gift ist jeder Stoff, der unter bestimmten Bedingungen durch chemisch oder chemisch-physikalische Wirkung nach seiner Art und der vom Täter eingesetzten Menge geeigent ist, ernsthafte gesundheitliche Schäden zu verursachen (verkürzt von Fischer, StGB, 70. Aufl 2022, § 224 Rn 4). Für die Frage des Gifts nach § 224 I Nr 1, 1. Var StGB kommt es also primär darauf an, was I hier in welcher Dosierung und injiziert. Es geht also gerade um den Stoff selbst und nicht/weniger um die Art und Weise der Verabreichung. Hyaluronsäure in der verwendeten niedrigen Dosis erfüllt diese Giftdefinition nicht. Ein gefährliches Werkzeug ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven
Beschaffenheitund der konkreten Art und Weise seiner Verwendung dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (Fischer, StGB, 70. Aufl 2022, § 224 Rn 14 mwN). Wir prüfen iRv § 224 I Nr 2, 2. Var StGB also zwar auch den Gegenstand als solchen, schauen aber vor allem auf die konkrete Art und Weise der Verwendung. Eine Vielzahl von Alltagsgegenständen kann deshalb bekanntlich ein gefährliches Werkzeug sein, zB ein Küchenmesser, eine brennende Zigarette oder ein fahrendes Kfz. So liegt der Fall auch für die verwendete Spritze (genauer: die Kanüle). Sie wird hier von nicht-medizinisch geschultem Personal im empfindlichen Gesichtsbereich verwendet, weshalb man gut vertretbar und mit der Rspr von einem gefährlichen Werkzeug ausgehen kann. Zur Erinnerung: Wir prüfen nicht das Gift, nicht den "Füllstoff", sondern den Stich mit der Nadel! Auch eine leere Spritze mit aufgesetzter Kanüle könnten wir deshalb unproblematisch und mit derselben Begründung als gefährliches Werkzeug einsortieren. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Magnum
29.10.2024, 09:35:33
Leo123!
6.12.2024, 04:19:25
Sehr frustrierend, weil alles eine Wertungsfrage und mithin sehr widersprüchlich ist. In der Klausur am
Einzelfallfestmachen und sauber und schlüssig argumentieren. Mehr ist leider nicht machbar.