Strafrecht

BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.

Gefährliche Körperverletzung, § 224 StGB

Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB): Influencerin spritzt Hyaluronsäure

Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB): Influencerin spritzt Hyaluronsäure

30. Dezember 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Influencerin I bietet via Instagram ohne Heilpraktiker-Zulassung Lippenvergrößerung und Nasenkorrekturen mittels Unterspritzungen mit Hyaluronsäure an. Aufgrund fehlerhafter Behandlung treten bei vielen Kundinnen teils sichtbare Knötchen in der Lippe auf. Laut Sachverständigem kann eine Injektion (versehentlich in ein Gefäß) "selten, aber im Einzelfall schwerwiegende Komplikationen bis hin zur Erblindung oder Schlaganfall nach sich ziehen".

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Einordnung des Falls

Gefährliche Körperverletzung224 StGB): Influencerin spritzt Hyaluronsäure

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem I die Hyaluronsäure in niedriger Dosierung gespritzt hat, hat sie ein "Gift" (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verwendet.

Nein!

Gift meint jeden organischen oder anorganischen Stoff, der durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit schädigen kann (z.B. Arsen, Zyankali, Gas, Alkohol, Pflanzengifte, Pfefferspray, Salzsäure). Der Giftbegriff wird weit verstanden. Zur Einschränkung muss das Gift aber auch gesundheitsschädlich sein, also unter den konkreten Bedingungen geeignet sein, die Gesundheit erheblich zu schädigen. Dabei kommt es maßgeblich auf die Dosierung an. Hyaluronsäure ist ein organischer, chemisch wirkender Stoff, der die Gesundheit schädigen kann und damit ein Gift. I verwendet die Hyaluronsäure jedoch in niedriger Dosierung für Unterspritzungen, sodass die Gesundheitsschädlichkeit zu verneinen ist.
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2. Indem I die Hyaluronsäure unter Verwendung einer Spritze verabreicht hat, hat sie eine gefährliche Körperverletzung mittels eines "anderen gefährlichen Werkzeugs" (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen.

Genau, so ist das!

Werkzeug ist jeder bewegliche Gegenstand, mittels dessen durch Einwirkung auf den Körper eine Verletzung zugefügt werden kann. Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (sog. potentielle Gefährlichkeit). Bei medizinischen Werkzeugen wie z.B. einer Spritze kommt es auf den Verwender an – Arzt oder sonstiges medizinisch geschultes Personal oder aber Laien – sowie auf die Art des Eingriffs. Die medizinisch nicht geschulte I verwendet die Spritzen in sensiblen Gesichtsregionen.

3. Indem I den Kundinnen die Hyaluronsäure gespritzt hat, hat sie eine gefährliche Körperverletzung mittels einer "das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) vorgenommen.

Nein, das trifft nicht zu!

Rspr. und h.L. verlangen eine Begehungsweise, die nach den Umständen des konkreten Falles, wie der Art, Dauer und Stärke der Einwirkung objektiv generell geeignet ist, das Opfer in Lebensgefahr zu bringen. Eine konkrete Lebensgefahr sei nicht erforderlich. Maßgeblich ist die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. BGH: Zwar könne es "selten" in Folge der Hyaluronsäure-Unterspritzung zu Komplikationen wie einem Schlaganfall kommen. Damit sei eine generelle Eignung der Behandlung, das Leben zu gefährden, aber noch nicht belegt. Um die gegenüber der einfachen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) höhere Strafandrohung begründen zu können, sei für die generelle Eignung der Lebensgefährdung mehr als der lediglich in "sehr seltenen" Fällen mögliche tödliche Ausgang der Verletzungshandlung zu fordern (RdNr. 11).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DIAA

Diaa

28.8.2023, 11:16:35

Verstehe ich das richtig, dass hier eine Körperverletzung gem. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 nur deshalb angenommen wird, weil I keine Zulassung hat und die Spritze an sensiblen Stellen einsetzt?

CAN

cann1311

28.8.2023, 17:40:40

Es ist egal ob zulassung oder nicht. Fraglich sind hier erstmal nur

Tat

bestände. Auch ein zugelassener Arzt hätte hier den TB erfüllt.

Jonas Neubert

Jonas Neubert

13.9.2023, 15:50:40

Der Kern m.E. liegt hier, dass der BGH die Gefährlichkeit bei Einzelfällen bejaht, aber nur wenn sie nicht sehr selten objektiv das Leben gefährden können

BAY

bayilm

12.7.2024, 13:59:28

Ich finde der BGH verkennt hier den Grad der Gefährlichkeit imEinzellfall. Es kommt bei solchen Unterspritzungen gerade bei der Durchführung von medizinischen Fachpersonal selten zu Komplikationen. Bei einer ungeschulten Person ist das Risiko ein Gefäß zu treffen und dadurch dann schlimme Folgen zu verursachen doch viel höher und damit dann auch nicht mehr nur selten der Fall.

MAG

Magnum

22.10.2024, 17:30:50

Mir leuchtet hier nicht ein, wie die Einordnung als Gift aufgrund der fehlenden gesundheitsschädlichkeit abgelehnt werden kann, aber eine Spritze mit diesem Gift ein gefährliches Werkzeug darstellen kann. Ist nicht für bei die Eignung zur Hervorrunfung von erheblichen

Gesundheitsschädigung

en maßgeblich. Die leere Spritze wäre ja kaum als gefährliches Werkzeug einzustufen, oder?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

27.10.2024, 21:05:37

Hallo @[Magnum](172647), Gift ist jeder Stoff, der unter bestimmten Bedingungen durch chemisch oder chemisch-physikalische Wirkung nach seiner Art und der vom Täter eingesetzten Menge geeigent ist, ernsthafte gesundheitliche Schäden zu verursachen (verkürzt von Fischer, StGB, 70. Aufl 2022, § 224 Rn 4). Für die Frage des Gifts nach § 224 I Nr 1, 1. Var StGB kommt es also primär darauf an, was I hier in welcher Dosierung und injiziert. Es geht also gerade um den Stoff selbst und nicht/weniger um die Art und Weise der Verabreichung. Hyaluronsäure in der verwendeten niedrigen Dosis erfüllt diese Giftdefinition nicht. Ein gefährliches Werkzeug ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven

Beschaffenheit

und der konkreten Art und Weise seiner Verwendung dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (Fischer, StGB, 70. Aufl 2022, § 224 Rn 14 mwN). Wir prüfen iRv § 224 I Nr 2, 2. Var StGB also zwar auch den Gegenstand als solchen, schauen aber vor allem auf die konkrete Art und Weise der Verwendung. Eine Vielzahl von Alltagsgegenständen kann deshalb bekanntlich ein gefährliches Werkzeug sein, zB ein Küchenmesser, eine brennende Zigarette oder ein fahrendes Kfz. So liegt der Fall auch für die verwendete Spritze (genauer: die Kanüle). Sie wird hier von nicht-medizinisch geschultem Personal im empfindlichen Gesichtsbereich verwendet, weshalb man gut vertretbar und mit der Rspr von einem gefährlichen Werkzeug ausgehen kann. Zur Erinnerung: Wir prüfen nicht das Gift, nicht den "Füllstoff", sondern den Stich mit der Nadel! Auch eine leere Spritze mit aufgesetzter Kanüle könnten wir deshalb unproblematisch und mit derselben Begründung als gefährliches Werkzeug einsortieren. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

MAG

Magnum

29.10.2024, 09:35:33

Danke, jetzt habe ich die Argumen

tat

ion nachvollziehen können!

LEO12

Leo123!

6.12.2024, 04:19:25

Sehr frustrierend, weil alles eine Wertungsfrage und mithin sehr widersprüchlich ist. In der Klausur am

Einzelfall

festmachen und sauber und schlüssig argumentieren. Mehr ist leider nicht machbar.


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